Befund des Monats

Oktober 2022

Scherben bringen Glück!
Die Fenster der Granatarbeiterhütten

 

Bei den archäologischen Grabungen im Sommer 2022 konnten Funde geborgen werden, die Einblick in das Leben und die Arbeitswelt der Granatarbeiter im Zemmgrund geben. Glasscherben bilden eine solche Fundgattung. Obwohl für den Laien auf den ersten Blick nicht besonders aufregend, hält zerbrochenes Glas aus dieser Zeit eine ganz eigene Geschichte parat.

 

 

Abb. 1

Abb. 1 Fensterglasscherben von der ältesten Granathütte am Fuß des Rossruggs; gut erkennbar sind der Grünstich, die gebogenen Schlieren und die Luftblasen – typische Merkmale für Tellerscheiben 1

 

Bei den Glasfunden aus den Ruinen der „versunkenen Granathütte“ (s. Befund des Monats Juli 2022) handelt es sich größtenteils um Scherben von mundgeblasenen „Tellerscheiben“. Die Herstellungsweise dieser Fensterglasart erkennt man an einigen Merkmalen wie dem Grünstich, eingeschlossenen Luftblasen, einer unregelmäßigen Dicke des Glases und den oftmals rundgezogenen Schlieren, sogenannte „Winden“ (Abb. 1). Letztere sprechen eindeutig für Tellerscheiben. Zu deren Produktion wurden Hohlgläser mit flachem Boden geblasen, der anschließend abgetrennt und in rechteckige Stücke geschnitten wurde.2 Diese Teller- oder auch „Mondscheiben“, welche seit dem 12./13. Jahrhundert angefertigt wurden, können einen Durchmesser von 12 bis 23 cm und eine Stärke von 2 bis 3 mm erreichen.3 Die Scheiben wurden meist in Bleiverglasungen oder - wie vermutlich im Fall der Granathütte - in Holzrahmen mithilfe von Kitt eingesetzt.

 

 

Abb. 2

Abb. 2: Bei manchen Almhütten finden sich auch heute noch die alten Holzschiebefenster 4

 

Weil von den beiden archäologisch untersuchten ehemaligen Granathütten weder Pläne, Zeichnungen noch Fotos oder anderweitige Beschreibungen existieren, ist die Auswertung der archäologischen Funde und Befunde für die Rekonstruktion unerlässlich. Meist wurden bis Ende des 19. Jahrhunderts in hochgelegenen Almhütten nur hölzerne Schiebefenster eingebaut, welche man für das Licht und zum Lüften öffnen konnte (Abb. 2). Anhand der archäologischen Funde können nun aber bei der ältesten Granatarbeiterhütte am Fuß des Rossruggs zwei kleine Kasten- bzw. Sprossenfenster jeweils in der Ost- und Westwand der ehemaligen Hütte rekonstruiert werden. Die einfache Holzhütte wurde sehr wahrscheinlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts von den Granatgrubenbetreibern Andrä und Jakob Kreidl erbaut; die Existenz der Hütte ist erstmals 1807/1808 auf einer Karte der franziszeischen Landesaufnahme Salzburg überliefert.5 Bis zum Jahr 1839 wurde die Hütte von den Granatarbeitern saisonal bewohnt und genutzt. Nachdem sie jedoch im Frühjahr 1840 in einem Schmelzwassersee im Rückstau der beiden Gletscher Hornkees und Waxeggkees versunken war, wurde eine neue Hütte etwas oberhalb des alten Standorts errichtet (Abb. 3, s. auch Befund des Monats September 2021).6 Auch dort fanden sich bei der archäologischen Geländeprospektion Glasscherben – jedoch nur mehr in Form von „modernem“ Flachglas. Dieses erkennt man anhand des entfärbten Glases, ohne jegliche Einschlüsse und mit regelmäßiger Dicke.

 

 

 

Abb. 3

Abb. 3: Blick in das Innere der nach 1840 erbauten „neuen“ Granathütte mit drei Fenstern, die vermutlich mit modernem Flachglas besetzt waren 7


 

 

Bianca Zerobin & Gert Goldenberg

Fortsetzung folgt!


Quellen:

1Foto: Bianca Zerobin

2 Tarcsay, Kinga, Frühneuzeitliche Glasproduktion in der Herrschaft Reichenau am Freiwald, Niederösterreich. Fundberichte aus Österreich, Materialhefte Reihe A, Band 19, Wien 2008 (194-195).

3Froehlich, Bernd (2013), Butzen, „Monde“ und Scheiben. Traditionelle Glasherstellung. Der Holznagel – Zeitschrift der Interessengemeinschaft Bauernhaus e. V., Heft 6, 2013, 13-19.

4Foto: Bianca Zerobin, mit Roland Köchl im Sundergrund.

5Franziszeische Landesaufnahme Salzburg 1807/1808, Quelle: maps.arcanum.com

6Andrä Kreidl 1941, Granatengewinnung im Rossrücken. Handgeschriebenes Manuskript, Zell am Ziller 1941. Kopie im Archiv Walter Ungerank, Aschau, Original in Privatbesitz Ilse Dahm, Wien.

7Ausschnitt aus einer Originalzeichnung von W. Püttner, Bei den „Granatnern“ im Schwarzensteingrund (Tirol). Das Buch für alle, illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann 29, 1894, 263-265.




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