Wintersemester 2021/22: Verena Gfall und Marietta Luise Jecht
Weltweit kämpfen Gesundheitssysteme gegen Krebs und Herzkreislauf-Erkrankungen und die massiven
Anstiege von Diabetes, was auf Adipositas zurückzuführen ist.1
Abbildung 1: Hochgerechnete Anzahl der Menschen mit Diabetes weltweit und nach Regionen:
Der Ist-Zustand 2015 und die Prognose der IDF für das Jahr 2040. Von IDF2 (2015)3
„We’re losing more people to the sweets than to the streets”, so der amerikanische Pastor
William Lamar 2017 beim Kampf gegen den Coca-Cola Konzern.4
Amerika, vom amerikanischen Traum nach Freiheit hin zur Cola- und Burgerabhängigkeit. Alle
sechs Sekunden stirbt weltweit ein Mensch an Diabetes.5 Eine Krankheit, die vor 40 Jahren
noch eine Seltenheit war, gehört heute zum ärztlichen Alltag. Wie und warum hat sich in den
letzten 40 Jahren unsere Ernährung so stark verändert?
Zucker ist das neue Fett
In den 70er Jahren wurden Fette als größte Ernährungssünde dargestellt und als Dickmacher
verbannt. Ersetzt wurden sie durch billigen Zucker, Getreide und Geschmacksverstärker,
wobei die staatlich subventionierte Getreideproduktion, durch Marketing, einen großen
Beitrag leistete. Zucker steuert den Insulinhaushalt, je mehr Zucker wir konsumieren desto
höher wird der Insulinhaushalt. Die Folge ist ein immer stärkeres Hungergefühl, eine
entwickelte Abhängigkeit nach Junkfood und eine dauerhafte und generationsübergreifende
Schädigung der Darmflora. Verarbeitete Lebensmittel erlangten über die Jahre immer mehr
Beliebtheit. Ein Tag, welcher früher aus drei nahrhaften Mahlzeiten bestand, wird heute mit
Snacks gefüllt, welche etwa ein Viertel der Kalorien ausmachen.6
Machtlos durch Konzerndominanz
Nestlé und Co dominieren unsere Ernährung durch industriell produzierte und ungesunde
Lebensmittel, was durch die hohen Ausgaben für selbstausgelegte Studien, Lobbyarbeit und
viel Marketing erreicht wird. Eine von der Politik vorgeschlagene Zuckersteuer wird der
Gesellschaft von den Lebensmittelkonzernen als Bevormundung verkauft. Michelle Obama
unternahm den Versuch, industriell verarbeitete Lebensmittel aus Schulkantinen zu
verbannen. Der fragwürdige Versuch scheiterte: Zwar setzte sich die Kampagne „Move your
Body durch“, doch das schlechte Essen blieb.7 Auch in Deutschland lief es ähnlich. Der
klägliche Versuch der deutschen Bundesministerin für Ernährung, Julia Klöckner, die Giganten
der Lebensmittelindustrie zu bitten, den Zuckergehalt ihrer Produkte auf den Verpackungen
deutlich zu kennzeichnen, ist auch acht Jahre später noch nicht in die Realität umgesetzt
worden.8 Dass freundliches Bitten nicht hilft, muss einer Politikerin in diesem Amt klar sein
und darf nicht toleriert werden. Es drängt sich die Frage auf: Sind Politiker*innen die
Marionetten großer Konzerne?
Gesunde Lebensmittel sind im Verhältnis zu Junk-Food deutlich teurer, weshalb
einkommensschwache Haushalte mehr darunter leiden. Des Weiteren spielen Bildung und
Aufklärung über einen gesunden Lebensstil eine große Rolle. Fakt ist, dass Chancen nicht
gleich verteilt sind und Länder wie Mexiko, Chile und Uruguay stärker betroffen sind. In
Mexiko stieg der Anteil an Übergewichtigen in den letzten Jahren massiv an und heute leiden
73 Prozent an Übergewicht. Kein Wunder. Ein Land, welches von Vincente Fox, einem
ehemaligen Coca-Cola Manager regiert wird und in dem Wasser teurer als Limonade ist,
Taccos durch Toast ersetzt wurden und der Apfel im Supermarktregal schwer zu finden ist.9
Chile als Vorreiter
Chile zeigt: Kämpfen lohnt sich. Senator Guido Girardi schaffte es 2016 ein revolutionäres
Gesetz auf den Weg zu bringen. Nationale als auch internationale Fertigprodukte müssen
hinsichtlich ihrer Inhalte wie Zucker-, Fett- und Salzgehalt, auch für Kinder, lesbar
gekennzeichnet werden. Sobald ein Produkt einen Warnaufdruck enthält, dürfen diese nicht
mehr beworben werden. Aufklärungsarbeit fängt in der Grundschule an. Die Bedeutung der
Symbole sowie deren Folgen, welche diese mitbringen, werden veranschaulicht. Kinder
erklären jetzt ihren Eltern, was sie nicht mehr kaufen sollen und wie schädlich Soft Drinks sind.
Ein schlichtes Gesetz führte in Chile zu einem Rückgang an gesüßten Getränken von 25
Prozent, weshalb Mexiko und Peru dem Vorbild Chiles fünf Jahre später folgten.10
Freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie zur expliziten Sichtbarmachung von Nutri Scores
funktionieren nicht. Die EU (oder Europa) sollte reagieren, um solche Ausmaße von
Fettleibigkeit wie in Mexiko zu verhindern. Lösungen könnten positive Nudgets11,12 die
Regulierung des Trittbrettfahrer-Problems13,14 und Social Tipping Dynamics15,16 zur
Stabilisierung des Problems sein. Mit der veralteten Klischeebedienung, alle seien selbst für
sich verantwortlich, wird das Problem nicht bekämpft. Fettleibigkeit ist ein kollektives
Versagen der großen Lebensmittelkonzerne, der Politik und Gesellschaft. Doch sind die
Nahrungsmittelhersteller an gesünderen Produkten interessiert?
Anmerkung
Das Thema des Blogposts entstand bei unserer gemeinsamen Reise durch Zentralamerika. Uns
viel auf wie viele Menschen dort, vor allem in Mexiko, übergewichtig sind. Wir nahmen an
einer Zeremonie in der Chamula Church teil. Es ging um die Heilung eines kleinen Kindes die
gesamte Kirche war mit Pinienblättern und Kerzen geschmückt und die Leute beteten für die
Gesundheit. Im Anschluss wurden ein Huhn und eine Dose Coca-Cola an den Altar gebracht.
Dies war ein fester Bestandteil des Rituals, für uns unvorstellbar. Später sprachen wir mit
Einheimischen über dieses Erlebnis und fanden heraus, dass die Chamula Church auch als
Coca-Cola Kirche bezeichnet wird. Falls ihr mehr darüber erfahren wollt, empfehlen wir euch
den Podcast:
https://www.businessinsider.com/coca-cola-church-in-mexico-uses-coke-religiousceremonies-
2018-8
1 Vgl. https://www.ifb-adipositas.de/adipositas/entwicklungen
2 International Diabetis Federation
3 Vgl. https://www.diabetes-online.de/a/wie-viele-diabetiker-gibt-es-eigentlich-1740881
4 Vgl. https://www.washingtonpost.com/news/wonk/wp/2017/07/13/were-losing-more-people-to-the-sweets-than-to-the-streets-whytwo-black-pastors-are-suing-coca-cola/
5 Vgl. https://www.marienhaus-klinikum-mainz.de/aktuelles-undmedien/
einzelmeldung?tx_ttnews%5Btt_news%5D=6497&cHash=41a3338b2bbe8df759d562a8a373ea1c
6 Vgl. https://core.ac.uk/download/pdf/20641352.pdf
7 Vgl. https://www.forbes.com/sites/brucelee/2017/01/15/michelle-obamas-top-10-accomplishments-as-first-lady/?sh=2b6105301889
8 Vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/kloeckner-ernaehrung-gesund-lebensmittel-lobbyismus-1.4477633
9 Vgl. https://orf.at/stories/3182501/
10 Vgl. https://media.suub.uni-bremen.de/bitstream/elib/5136/3/Dorlach_2018_LM.pdf
11 Beispiel: bessere Informationen bezüglich des Nutri-Score (Zuckerampel)
12 Vgl. https://dash.harvard.edu/bitstream/handle/1/16205305/shortguide9_22.pdf?sequence=4&bcgovtm=SYS2017Q101%20-
%20List%20Buy%20Opt-In%20Email
13 Beispiel: Verbesserung des Steuersystems, zugunsten der Verbraucher und zum Nachteil der Produzenten
14 Kirchler, M (2021) Morals_Climate_Markets [pdf]
15 Beispiel: Aufklärung über Ernährung
16 Vgl. https://www.pnas.org/content/117/5/2354
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