Neue Forschungen in Ascoli Satriano
Die Stätte und ihr kultureller Kontext
Ascoli Satriano ist eine Gemeinde in Apulien, ca. 30km südlich der heutigen Provinzhauptstadt Foggia, dem Nachfolger des antiken Zentrums Arpi. In der Antike war die Stätte unter dem Namen Asculum bzw. Ausculum bekannt. Der Siedlungshügel bildet einen der letzten südöstlichen Ausläufer des Apennin in dieser Region, nach Osten senkt sich das Land zur nordapulischen Ebene, die sich im Westen und Süden bis ans adriatische Meer erstreckt. Für die klassische Antike ist der Ort aus schriftlichen Quellen v.a. als einer der Schauplätze der Auseinandersetzungen Roms mit dem Molosserkönig Pyrrhus von Epirus bekannt. Deren genaue Lokalisierung ist nicht ganz klar, befand sich aber wahrscheinlich im Bereich des nahe in der Ebene mäandernden Flüsschens Carapelle. Diese am Beginn des 3. Jh. v. Chr. für letzteren sieg- aber verlustreich ausgegangenen Schlachten führten zum geflügelten Wort des „Pyrrhussiegs“.
Das Gebiet von Ascoli Satriano war aber schon deutlich vor diesen Ereignissen ein Siedlungsplatz mit regionaler und überregionaler Bedeutung. Während bisher wenige vorgeschichtliche Befunde bekannt sind, lässt sich ab der Eisenzeit, insbesondere ab dem 7. v. Chr. in Form von Siedlungsspuren, aber insbesondere in Form von Gräbern, eine nicht unerhebliche Präsenz altitalischer Bevölkerung archäologisch dokumentieren. Diese Bewohner des heutigen Nordapulien werden in den griechischen und römischen Schriftquellen als „Daunier“ bezeichnet, die, so will es eine der (sicherlich spät konstruierten) Überlieferungen, von dem mythischen König Daunos abstammen sollen, der zur Zeit des Trojanischen Krieges hier regiert haben soll.
Das archäologische Fundgut des Siedlungsgebiets des „daunischen“ Nordapuliens weist einige besonders charakteristische Fundgattungen auf: Eine sind die in archaischer Zeit (7. – 5. Jh. v. Chr.) entstandenen sog. „daunischen“ Stelen: hochrechteckige Steinplatten in abstrakt-anthropomorpher Form, die menschliche Figuren mit reicher Tracht und Bewaffnung darstellen. Sie bilden ein einzigartiges Zeugnis indigener Ikonographie und belegen den hohen kulturellen und künstlerischen Stand der Einwohner dieser verhältnismäßig unerforschten Region. Auch die Keramikerzeugnisse des Gebiets zeugen vom hohen techn(olog)ischen und handwerklichen Können sowie einem eigenen, besonderen ‚Geschmack‘ seiner Bewohner. Sie zeichnen sich durch charakteristische regionalen Gefäße aus, etwa olla (großes bauchiges Vorratsgefäß), attingitoio (flache Schale mit hohem, teils plastisch ausgestaltetem Henkel) und askos (sackförmiges Schüttgefäß mit einem bis zwei Ausgüssen), die sich in ihrer Formgebung von anderen, umliegenden Keramiktraditionen unterscheiden. Die aus hellem Ton gebrannten Gefäße sind mit feinen dunkelbraunen, ab dem 7./6. Jh. v. Chr. auch zweifarbigen (rot und dunkelbraun) geometrischen Mustern überzogen. Charakteristisch und häufig für diesen Keramikstil sind auch einfache geometrische Vogel(?)figuren. Mit einigen stilistischen Abwandlungen (im 4. Jh. v. Chr. etwa werden horizontale florale Bänder eine beliebtes Verzierung, die die geometrischen Muster weitgehend verdrängt) setzt sich die Produktion der regionalen Keramik bis ins 3./2. Jh. v. Chr. fort – länger als bei allen anderen süditalischen Regionen, in denen die italischen Töpfereiprodukte deutlich früher von Keramik griechischen Stils verdrängt bzw. ersetzt werden.
Dieser Traditionalismus mag darauf zurückzuführen sein, dass an der adriatischen Küste Apuliens keine griechischen Ansiedlungen (apoikien oder sog. ‚Kolonien‘) erfolgten, wie sie an anderen Orten Süditaliens und Siziliens schon seit dem 8. Jh. v. Chr. belegt sind. Gerade diese regionale Eigenständigkeit macht Nordapulien zu einem besonders interessanten Forschungsgebiet – eine Region, die seit dem 7. Jh. nur indirekt griechischem Einfluß ausgesetzt war, sicherlich jedoch Kenntnis von und Beziehungen zu den Neuankömmlingen der Stadtstaaten im Ionischen Golf (z. B. Tarent, Metapont) hatte und auch selektiv deren Sachgut (z. B. Keramik) in die eigene Lebenswelt integrierte. Ab dem späten 4. und 3. Jh. v. Chr. war die Region dann Schauplatz der Auseinandersetzungen zwischen den westgriechischen Küstenstädten, den mit ihnen verbündeten nordgriechischen (epirotisch-makedonischen) Königen und ihrer Armeen und der aufstrebenden Macht Rom, das seinen Einflußbereich auf die gesamte italische Halbinsel ausdehnte.
Vor allem seit dem 4. Jh. v. Chr., etwas später als in den Gebieten nahe den griechischen Gründungen, wird auch in Nordapulien Keramik griechischen Stils produziert und in deutlich größerem Maße als zuvor in die indigene Lebenswelt und v.a. Funeralkultur integriert. Werkstätten in Orten wie dem nahegelegenen Canosa und auch in Ascoli Satriano selbst fertigen nun reich mit Figuren verzierte Vasen im rotfigurigen Stil, die in den Gräbern der örtlichen Eliten deponiert werden und deren Hang zu luxuriösem Bestattungskult vor Augen führen.
Das beeindruckendste Zeugnis des lokalen Gräberluxus des 4./3. Jh. v. Chr. ist allerdings ein Ensemble aus monumentalen Steinobjekten aus einem von Grabräubern geplünderten und daher nicht sicher lokalisierten Grab im Bereich Ascolis, das 1985 auf den internationalen Kunstmarkt gelangte, mittlerweile aber wieder restituiert wurde. Auf diesen Marmorobjekten (einige Vasen, ein Becken und v.a. ein Tischfuß in der Form von zwei eine Hirschkuh reißenden Greifen) sind außerdem zahlreiche Bemalungsspuren gut erhalten, die die heute zum größten Teil verlorene Farbigkeit dieser antiken Objekte belegen.
Im Spannungsfeld der wissenschaftlichen Erforschung dieser unterschiedlichen kulturellen Einflüsse geriet das Element der italischen Bevölkerung des Gebiets lange zugunsten der auch aus den antiken schriftlichen Quellen deutlich besser bekannten Protagonisten (Griechen und Römer) aus dem Fokus. Daher ist außer den genannten materiellen Hinterlassenschaften und kunsthandwerklichen Erzeugnissen noch eher wenig über die antiken einheimischen Bewohner Nordapuliens bekannt; ihre Lebens- und Wirtschaftsweise, ihre religiösen Vorstellungen und ihre gesellschaftliche Organisation liegen noch weitgehend im Dunkeln, was die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihnen umso ertragreicher macht.
Die älteren Innsbrucker Forschungen
Die Innsbrucker Forschungen in Ascoli Satriano konzentrieren sich auf die vorrömischen Siedlungsspuren der Stätte. Sie begannen im Jahre 1997 und wurden bis 2015 von Dr. Astrid Larcher geleitet. Die Untersuchungen der Jahre bis 2002 konzentrierten sich auf den sog. Colle Serpente – eine der Anhöhen, auf denen das heutige Ortsgebiet liegt und die seit 1995 auch einen archäologischen Park beheimatet. Hier wurden, gemeinsam mit italienischen Fachkollegen, Grab- und Siedlungsreste des 6. bis 4. vorchristlichen Jahrhunderts freigelegt (genauere Infos unter diesem link zur alten Homepage/Webpräsenz der älteren Untersuchungen bis 2015).
Ab dem Jahre 1999 wurde zusätzlich mit Untersuchungen in der Giarnera Piccola begonnen. Dieses durch hohes Fundaufkommen und weite Streufundverteilung auffällig gewordene Areal liegt ca. 1km westlich des Colle Serpente in Hanglage unter den Hügelkuppen. Insbesondere der hohe Anteil frühen Fundmaterials, das bei landwirtschaftlichen Arbeiten zutage getreten war, gab Anlass zur archäologischen Erkundung. Bereits durch vorbereitende geophysikalischen Untersuchungen ließen ich zwar neben den antiken Befunden auch zahlreiche Spuren von teils systematischer Raubgräberaktivität feststellen, jedoch bargen die diesem Bereich geöffneten Schnitte immer noch sehr zahlreich und in großer Dichte ungestörte Schichten aus der Zeit zwischen dem 8. und 4. Jh. v. Chr. Zu den spektakulärsten Befunden gehören großräumige Kieselpflasterungen. Solche Strukturen sind auch aus anderen nordapulisch-daunischen Siedlungen bekannt, ihre Bedeutung aber bisher nicht eindeutig erfasst. In der Giarnera Piccola führen sie beispielsweise zu (leider oft durch Raubgräberaktivitäten stark gestörten) Kammergräbern des 4. Jh. v. Chr., die sicherlich mit Angehörigen der lokalen Elite zu verbinden sind. Eines etwa barg die sterblichen Überreste von vier Individuen, die von reichen Grabbeigaben, insbesondere Bankettgeschirr, begleitet wurden. Zudem scheinen zum den Grabkomplexen auch kleinere überirdische Gebäude gehört zu haben. Die gesamte Anlage wurde allerdings schon gegen Ende des 4. Jh. v. Chr. rituell aufgelassen, was beispielsweise die sorgfältige Entfernung einzelner Pflasterungsteile und die Abdeckung anderer zugehöriger Bereiche mit Ziegeln belegt.
Das neue Projekt
Ziel des neuen Projektes, das seit 2016 die Untersuchungen fortführt, ist die detaillierte Aufnahme und Auswertung insbesondere der Architekturreste im Bereich der Giarnera Piccola und ihr Verhältnis zu den oft in einem direkten Zusammenhang stehenden Grabbefunden. Dies trifft nicht nur für die Ziegelpflasterungen des 4. Jh. v. Chr. zu, sondern insbesondere auch für die früheren Bestattungen der archaischen Zeit (6./5. Jh. v. Chr.), die in und unter kleineren Pfostenhütten angelegt wurden und möglicherweise als direkte funerär-kultische Vorstufe der mit größeren Gräbern und Steinbauten verbundenen Kieselpflasterungen gelten können. In Ascoli Satriano bietet sich aufgrund der großen Anzahl solcher Befunde, ihres in direkter Nachbarschaft mehrfach dokumentierten Auftretens und der günstigen Erhaltungslage die einmalige Gelegenheit, diesen Zusammenhang von Grab und Architektur genauer zu untersuchen. Dabei sollen feinstratigraphische Detailuntersuchungen den zeitlichen Zusammenhang zwischen Gräbern und Baustrukturen klären, Untersuchungen der Fundzusammenhänge und des Beigabenmaterials sowohl Aufschlüsse über die konkrete Konstruktion der Pfosten- und Steinkonstruktionen geben (die bisher im süditalisch-indigenen Bereich nur unbefriedigend geklärt ist) als auch über die soziale Rolle der Bestatteten selbst und ihre Stellung in der sie bestattenden Gemeinschaft. Die enge Verbindung zwischen Grab und (wenn auch u. U. nur symbolischer) „Wohnstatt“ könnte überdies weitere Aufschlüsse über Vorstellungswelt auch religiöser Art dieser indigenen Gemeinschaft erbringen. (Näheres siehe hier).