Projektbeschreibung
Interreligiöse Bildung als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Gesellschaft
Pluralitätsfähigkeit und Kontingenzkompetenz als Ziel von Bildung
In einem Bildungsgeschehen, das darauf zielt, die Kontingenz- und Pluralitätsfähigkeit zu fördern, sind die Religionspädagogik, die sich religiösen Bildungsprozessen und ihren Bedingungen widmet, sowie die Religionsdidaktik, die sich mit der Planung, Leitung und Evaluierung von Bildungsprozessen beschäftigt, vor große Herausforderungen gestellt.
Diese Herausforderungen wurden durch die Etablierung von religionspädagogischen und religionsdidaktischen Aus- und Weiterbildungsprogrammen, die auf Interreligiosität und damit auf Pluralitäts- und Kontingenzkompetenz im Bereich Religion abzielen, angenommen.
Trotz dieser wachsenden Aufmerksamkeit hat es bis jetzt auf wissenschaftlicher Basis noch wenig Zusammenarbeit in interreligiöser Hinsicht gegeben. In diesen Raum stößt das Projekt einer interreligiösen Religionspädagogik und Religionsdidaktik in Innsbruck.
Aufgabe und Ziel
Bildungsinstitutionen, insbesondere Schulen, spiegeln einem Mikrokosmos gleich gesellschaftliche Bedingungen wider. Ihre Aufgabe ist es, inmitten dieses pluralen Kontextes (religiöse) Bildungsprozesse zu initiieren, zu begleiten und zu reflektieren.
Ziel einer wissenschaftlich orientierten interreligiösen Religionspädagogik und Religionsdidaktik ist die Erforschung dieses Prozesses auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Handlungsfeldern wie Universität, Schule, Erwachsenenbildung etc.
Forschungsanliegen und Struktur des Projekts
Die Theoriebildung im Kontext des Projektes „Interreligiöse Religionspädagogik und Religionsdidaktik“ hat das Ziel, eine interreligiöse Didaktik zu entwickeln. Dies schließt folgende Anliegen ein:
- die Entwicklung eines didaktischen Modells interreligiöser Bildung,
- die empirische Untersuchung der interreligiös durchgeführten Lehrveranstaltungen bzw. Praktika und
- die Erarbeitung von Konsequenzen für Planung, Leitung und Evaluierung von interreligiösen Bildungsprozessen.
Entsprechend den Forschungsanliegen umfasst das Projekt „Interreligiöse Religionspädagogik und Religionsdidaktik“ ein Bündel von Teilprojekten. Diese Teilprojekte können folgenden Bereichen zugeordnet werden:
- Grundlagenforschung, die sich mit der Entwicklung von Modellen interreligiöser Lehre und Forschung beschäftigt,
- evidenzbasierte Hochschul- und Schulforschung,
- Interreligiöse Foren der Begegnung und Forschung.
Kriterien einer interreligiösen Haltung in Lehre und Forschung
Die zu entwickelnden Grundzüge interreligiöser Lehre und Forschung sowie interreligiöser Bildung speisen sich aus den Quellen der Themenzentrierten Interaktion nach Ruth C. Cohn, des Innsbrucker Modells der Religionsdidaktik (IMRA) und der Kommunikativen Theologie. Gleichzeitig aber musste eine neue gemeinsame Verständigungsbasis beider religionspädagogischer Zugänge gefunden werden. Bisherige Erfahrungen haben vor allem folgende Kriterien qualitätsvoller interreligiöser Forschung und Lehre sowie interreligiösen Bildungshandelns erkennbar werden lassen:
Vernetzung von religiöser Innen- und Außenperspektive: Speziell im Kontext öffentlicher religiöser Bildungsprozesse wird – vor allem angesichts von Pluralität – die Notwendigkeit einer „neutralen“ Außenperspektive betont und die konfessionell konnotierte Innenperspektive ausgeblendet. Ein bedeutsames Charakteristikum des Innsbrucker Modells interreligiöser Bildung ist die Verbindung von Innen- und Außenperspektive als Verbindung von ‚intra‘ und ‚inter‘.
Mehrperspektivität: Perspektivität und auf dieser Basis Mehrperspektivität sind weitere Charakteristika interreligiöser Religionspädagogik und Religionsdidaktik. Interreligiöse Lehr- und Lernprozesse zu gestalten bedeutet, die einzelnen Personen als Individuen mit ihrer je eigenen Biografie und ihren Erfahrungen in den Blick zu nehmen und diese Perspektive zu vernetzen mit jener der Interaktion und Kommunikation in der Gruppe, des umgebenden gesellschaftlichen Kontextes und der weltanschaulichen religiösen Traditionen.
Begegnung als Ausgangspunkt interreligiöser Bildungsprozesse: Ausgangspunkt des Konzepts bildet die interreligiöse Begegnung und unmittelbare Beteiligung in Bildungsprozessen. Durch Begegnung wird authentisches Lehren und Lernen ermöglicht und Toleranz, Achtung vor dem Anderen, Anerkennung des Anderen gefördert. In Begegnung geschieht aber nicht nur Harmonisches. Ungewissheit wird sichtbar. Differenzen und Konflikte zeigen sich. Gerade der Umgang mit Konflikten erfordert die Entwicklung besonderer Kompetenzen, in der LehrerInnenbildung genauso wie im Unterricht oder in anderen Bildungshandlungsfeldern.
Die doppelte Perspektive – das konsequente interreligiöse „Vier-Augenprinzip“: Wenn nicht ausschließlich das distanzierte „Reden über“ die jeweils andere Religion, sondern lebendige Begegnung im Zentrum stehen soll, dann muss auch die gemeinsame wissenschaftliche Arbeit auf Augenhöhe geschehen. Es sind – sowohl in der Forschung wie auch in der Lehre – jeweils beide religiöse Perspektiven mit einzubeziehen und zu reflektieren bzw. Lehre und Forschung werden aus diesen beiden Perspektiven wahrgenommen und gestaltet. Diese Arbeit aus der konsequenten Doppelperspektive kennzeichnet den Innsbrucker Ansatz. Dabei ist ein Wechselspiel zwischen intra- und interreligiöser Perspektive unerlässlich.
Angemessene Theologie: Eine Konzeption, die die Innenperspektive von Religion („in religion“) in den Blick kommen lässt, ist naturgemäß stark mit der Theologie verwoben. Nicht jede Theologie ist für die Zusammenarbeit mit der Religionspädagogik/Religionsdidaktik geeignet. Es gilt, die theologische Perspektive ausgehend von den religionspädagogischen und religionsdidaktischen Anliegen zu entwickeln und so die Religionspädagogik und Religionsdidaktik als einen Ort theologischer Erkenntnis ernst zu nehmen.
Haltung entscheidender als Methode: Die geschilderten Charakteristika des Innsbrucker religionsdidaktischen Modells stellen keine ausschließlich methodischen Elemente dar. Sie sind vielmehr Teile zur Kultivierung einer Haltung, die gegenseitige Anerkennung, einen vorurteilsfreien Umgang mit Pluralität, die kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Traditionen, die eigene Begrenztheit (auch des eigenen Wahrheitsanspruches[1]) angesichts des Anderen („in der Gegenwart des religiös Anderen“[2]) fördert.
Offenheit und Groundedness: Im Hinblick auf die empirische Forschung folgt das Projekt interreligiöse Religionspädagogik und Religionsdidaktik den Prinzipien der Offenheit, der ‚Groundedness‘, der Prozessorientierung und Kontingenzsensibilität. Erkenntnisse aus der Ethnografie machen es möglich, das Prinzip der doppelten Perspektive in der empirischen Forschung umzusetzen.
Räume eröffnen
Nicht zuletzt geht es in der interreligiösen Bildung und Ausbildung, Lehre und Forschung um die Eröffnung von Räumen (neuen Denkmöglichkeiten, Formen von Anders-Sehen) angesichts von eingespielten, ‚zementierten‘ Machtverhältnissen, ‚Sackgassen‘, binären Logiken, dualistischen Denkformen.
Im Kontext der postkolonialen Forschung führte der Literaturwissenschaftler Homi Bhabha[3] das Konzept des „Dritten Raumes“ ein. Im Zuge der Errichtung des Studiums Islamische Religionspädagogik in Innsbruck hat sich gezeigt, dass die – säkulare – Universität zu einem neuen („dritten“) Raum werden kann, in dem Möglichkeiten eröffnet werden, die beispielsweise die Glaubensgemeinschaften in dieser Art und Weise nicht hätten ermöglichen können.
Dritte Räume lassen „ein neues semiotisches Feld“ entstehen, das die Möglichkeit eröffnet, „sich mit der Macht auseinanderzusetzen“[4]. Dritte Räume – ebenso wie dritte Personen – können Auswege darstellen und Möglichkeiten sichtbar werden lassen, die es in binär konstruierten und essentialistisch verstandenen Verfassungen nicht gibt.
[1] Die Begrenztheit des eigenen Anspruchs erkennen können, heißt, ‚mit dem Vielleicht zu lernen‘: Vielleicht haben die Anderen doch (auch) Recht.
[2] Bert Roebben hat hier die Diktion von Mary C. Boys („learning in the presence of the other“) aufgenommen. (Roebben, Bert, Religionspädagogik der Hoffnung. Grundlinien religiöser Bildung in der Spätmoderne, Berlin: Lit 22011 (= Forum Theologie und Pädagogik 19), 151).
[3] Vgl. dazu
[4] Bhabha, Homi K., Über kulturelle Hybridität. Übertragung und Übersetzung. Herausgegeben und eingeleitet von Anna Babka und Gerold Posselt, Wien: Verlag Turia + Kant 2012, 64.