Teilprojekte
Projekt A
Schmidt, Kira Janina: Netzwerkbildung und Aushandlungsprozesse in der europäischen Alpentransitpolitik
Projektnummer: 392198021 (DFG)
Das Teilprojekt A untersucht die Alpentransitpolitik der Europäischen Union auf der zwischenstaatlichen und supranationalen Ebene. Die wichtigsten Gremien der EU (und deren Vorläufer), wie die Europäische Kommission und das Europäische Parlament stehen im Fokus, es werden jedoch auch einflussreiche internationale und zwischenstaatliche Institutionen sowie relevante Nichtregierungsorganisationen in die Analyse miteinbezogen.
Die besonderen geographischen Verhältnisse des Alpenbogen stellten für den europäischen Kontinent u.a. in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht eine Grenze dar, die den transalpinen Austausch erschwerte. Im Zuge der europäischen Integration im 20. Jahrhundert bildeten die Alpen und besonders die Nichtmitglieder der EU Österreich und Schweiz nun eine Grenze innerhalb der sich entwickelnden Gemeinschaft – eine „,Barriere‘“, in den Worten des Europäischen Parlaments. Enge nachbarschaftliche Beziehungen zu den Transitländern wurden als maßgeblich betrachtet.[1] Nichtsdestoweniger wurde der alpenquerende Transitverkehr zu einem wichtigen Streitpunkt im Rahmen der Etablierung eines gemeinsamen europäischen Binnenmarkts in den 1980er Jahren. Die Kosten für die notwendige Infrastruktur, wie Tunnel und Brücken, und Handelszölle führten zu Kontroversen innerhalb der EU und mit den Transitländern. Hinzu kamen ökologische Bedenken hinsichtlich des fragilen Ökosystems der Alpen, die von Alpenschutzbewegungen in Österreich und der Schweiz gegen den Transitverkehr formuliert wurden.
Dieses Spannungsfeld zwischen ökologischen und ökonomischen Interessen steht im Zentrum der Untersuchung. Mittels eines akteurszentrierten Ansatzes werden die formellen und informellen Netzwerke betrachtet, die sich bei den Verhandlungen um die Alpentransitpolitik innerhalb des komplexen Mehrebenensystems der EU bildeten.Es wird der Frage nachgegangen, wie sich die verschiedenen Akteure für oder gegen den alpenquerenden Verkehr positionierten, wie sie ihre Argumente präsentierten, wie sie Expertenwissen nutzten und wie kooperiert wurde. Dadurch sollen transnationale Netzwerke und institutionelle Verbindungen offengelegt werden. Die Fallstudie zur Alpentransitpolitik verweist auf den Einfluss verschiedener nationalstaatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure auf Agenda-Setzung und Politikgestaltung und ferner auf die Bedeutung transnationaler Netzwerke innerhalb der EU.
[1]Europäisches Parlament: Sitzungsdokumente 1975-1976 (Dokument 500/75), HAEU PE0-2156.
Projekt B
Buck, Maria: „Für eine neue politische Kultur in den Alpen“ – Transitwiderstand und Alpenschutz in Tirol (1975-2005)
Projektnummer: FI036970 (FWF)
Der Alpentransit ist in Tirol bis heute eine umstrittene Angelegenheit. In der Nachkriegszeit setzte sich im politischen Diskurs die Parole „Verkehr ist Leben“ durch. Aus Angst vor einer Umfahrung Tirols durch die Schweiz und den damit verbundenen Verlust des Transitverkehrs lancierten Tiroler Politiker Infrastrukturprojekte zur Förderung des alpenquerenden Verkehrs. Im Zuge eines sich wandelnden Umweltbewusstseins formierte sich in den 1970er Jahren ein breiter Widerstand gegen den LKW-Transit unter den Anwohnern entlang der Hauptverkehrstrassen, der Inntal- und Brennerautobahn. Es kam zur Gründung von Bürgerinitiativen, die sich zunächst vor allem gegen den Lärm zur Wehr setzten, später gegen die Abgasbelastung und die daraus resultierenden Gesundheits- und Umweltschäden protestierten. Eine neue Dynamik erhielt die Transit-Debatte während der Diskussion um einen möglichen EU-Beitritt Österreichs und durch den Abschluss des Transitabkommens mit der EU im Jahr 1992. Der Beitritt 1995 führte zu einer Europäisierung und Liberalisierung der österreichischen Verkehrspolitik. So wurde die EU einerseits verstärkt als Ansprechpartner der Transitgegner greifbar, andererseits symbolisierte sie gleichzeitig deren Gegner im Transitstreit.
Neben dieser (verkehrs-)politischen Dimension ist zu beobachten, dass die Transitpolitik ein zentrales Thema österreichischer bzw. Tiroler Umweltschutzorganisationen war. Transit stand dabei im Widerspruch zum Alpenschutz, woraufhin sich Umweltschutzorganisationen und Bürgerinitiativen für eine Ökologisierung des alpenquerenden Verkehrs einsetzten. Auf politischer Ebene gewannen diese Bemühungen Unterstützung durch die Unterzeichnung der Alpenkonvention 1991, in der die Alpenanrainerstaaten und die EU erstmals eine Kooperation zum Schutz der Alpen erklärten. In Tirol kam es so zu zwei kontrastierende Positionen zwischen Transitbefürwortern und Alpenschützern, die zu einem fortwährenden Konflikt führten.
Die Dissertation widmet sich den komplexen Aushandlungsprozessen in der Verkehrs- und Umweltpolitik im Kontext der Europäischen Integration am Beispiel des Alpentransits. Mit Hilfe netzwerkanalytischer Ansätze sollen die unterschiedlichen Akteure aus Bürgerinitiativen und Politik sowie Umwelt- und Alpenschutz, die sich auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene mit dem Problem des Transitverkehrs und Alpenschutzes in Tirol auseinandersetzten, im Mittelpunkt stehen. Ziel der Dissertation ist es, die politischen und zivilgesellschaftlichen Netzwerke auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene nachzuzeichnen. Des Weiteren soll der zweiteilige Prozess von Europäisierung und Ökologisierung in der Diskussion um den Alpentransit am Brenner vor dem Hintergrund der Europäischen Integration nachgezeichnet werden.
Projekt C
Aschwanden, Romed: Im Herzen Europas, am Rande der Schweiz – Entwicklung und Schutz der Schweizer Alpen im Kontext der Europäischen Integration (1975–2005)
Projektnummer: 100019E_176479 (SNF)
Auch in der Schweiz waren die Politiker in der Nachkriegszeit bemüht, dass die Schweiz ihre Funktion als “Verkehrsdrehscheibe” könne und förderte Straßen- und Bahninfrastruktur durch die Alpen. Ähnlich wie in Österreich entstanden auch in der Schweiz Ende der 1970er Jahre Gruppen, die sich gegen den Bau von Verkehrsinfrastruktur wehrten, später gegen die Verkehrsemissionen und den wachsenden Straßengüterverkehr protestierten. Der Anstieg des alpenquerenden Güterverkehrs, gefördert durch die fortschreitende wirtschaftliche Integration Europas, war auch den Verkehrspolitikern nicht geheuer, die finanzielle Einbussen der Schweizerischen Bundesbahnen befürchteten. Als der Schweizer Souverän 1992 gegen den EWR-Beitritt entschied, schlug die Kontroverse zwischen der Schweiz und der EU, wie der alpenquerenden Verkehr abgewickelt werden müsse, in Streit um. Ein Streit, den die Annahme der Volksinitiative “zum Schutze des Alpengebietes vor dem Transitverkehr” 1994 zusätzlich verschärfte. Obwohl die Alpenschützer und Transitgegner in der EU ein ideales Feindbild hatten, gab es auch innerschweizerische Debatten, denn die linksalternativen Alpenschützer zweifelten am guten Willen der Regierung. Angesichts dieser Konstellation sahen die Alpenschützer die Möglichkeit, grüne Verbündeten in der EU zu mobilisieren und gegen die wirtschaftsfreundlichen Schweizer Politiker einzusetzen.
Das Dissertationsprojekt untersucht diese komplexen und vielschichtigen Allianzen der Alpenschützerinnen und Alpenschützer aus einer Schweizer Perspektive. Mit netzwerkanalytischen Ansätzen soll zum einen die Gruppe der Alpenschützerinnen und Alpenschützer genauer charakterisiert und ihre internen Strukturen beschrieben werden. Zum anderen dient der Ansatz auch dazu, die komplexen Vernetzungen mit nationalen und europäischen Politikerinnen und Politikern sowie Alpenschützern in den Nachbarstaaten aufzuzeigen. Anschliessend an die Konzeption des europäischen Regierens als Mehrebenenmodell dient dieser Ansatz dem Verständnis von politischen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen in der werdenden Europäischen Union. Mit Fokus auf den alpenquerenden Transitverkehr wird auch der Wandel des schweizerischen “Alpenmythos” in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts analysiert werden. Ein Wandel, der nur im Kontext der Europäisierung und Ökologisierung verstanden werden kann.