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3.1 Rahners Theorie vom anonymen Christen

Wie bereits gezeigt wurde, kann gemäß Rahners Theologie von Gottes Selbstmitteilung in Jesus Christus her die Gesamtheit menschlicher Erfahrungen auf neue und einzigartige Weise integriert werden. Von daher lassen sich auch Erfahrungen anderer Menschen, die sich nicht als Christen verstehen, interpretieren. So können die Christen erstens für sich selbst in der gelebten Glaubens-, Hoffnungs- und Opferexistenz von Nichtchristen die Zeichen eines gelebten Christseins erkennen und von daher ihr Vertrauen in die Heilsuniversalität des christlichen Glaubens, sowie ihren Respekt vor der Authentizität fremder Lebensvollzüge durch die Rede von anonymen Christen artikulieren. Darüberhinaus können sie im Dialog mit Nichtchristen zweitens ausgehend von deren gelebten Erfahrungen ihnen die Kernbegriffe und -überzeugungen des eigenen Glaubens erschließen und verständlich machen. Schließlich können sie drittens für die gelebten Erfahrungen ihrer nichtchristlichen Gesprächspartner eine vielleicht bessere Interpretation ausgehend vom eigenen christlichen Referenzzentrum anbieten. Dies geschieht, indem sie auf die Zielaussage hinsteuern, daß das spontan gelebte, selbstlos liebende Engagement der Nichtchristen im Letzten nur begründbar ist aus der Hoffnung auf einen absoluten Heilbringer, wie ihn die Christen in Jesus Christus bekennen.

Dabei läßt sich ­ über Rahners ausdrückliche Reflexionen hinaus ­ die Folgerung ziehen, daß ein solcher Erschließungsversuch stets auch riskant ist. Wo er gelingt, folgt nicht schon automatisch die Konversion des Nichtchristen. Vielmehr wird dieser damit erneut vor die Entscheidung gestellt, die eigenen, bisher impliziten Glaubensvollzüge mit all ihren Konsequenzen anzunehmen oder abzulehnen. Solche »suchende Christologie« ­ wie Rahner sie bezeichnet ­ kann auch dazu führen, daß ein Mensch bisherige gute Taten aufgibt, weil ihm klargeworden ist, auf welche (zutiefst unerwünschte) Implikationen er sich damit unvermeidlich einläßt. Wegen dieses Risikos ist ein Dialog auf der Grundlage einer Theologie suchender Christologie und anonymen Christentums wirklich ein offenes Deutungsangebot und kein Vereinnahmungsversuch. Auf dem Weg zum vollen Christsein wird eine Bekehrung des »anonymen Christen« weder einfach vorausgesetzt noch unterschlagen, sondern angesichts der angebotenen Neudeutung neu erforderlich. Deshalb ist die Theorie vom anonymen Christen nicht nur anknüpfende und bestätigende, sondern auch wirklich kritische Theologie.

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