Profil des Forschungsprogramms Dramatischen Theologie
Die Dramatische Theologie verfolgt methodische und inhaltliche Anliegen. Sie integriert verschiedene Ansätze in der modernen Theologie (Exegese, ‚Theodramatik' von H.U.v. Balthasar, geschichtliche Perspektive von W. Pannenberg, empirische Anthropologie und Sozialtheorie von R. Girard).
Methodisch möchte sie Geschichte und Wissenschaft miteinander verbinden und sich insofern sowohl von der scholastischen Theologie, die keine zentrale geschichtliche Perspektive kannte, als auch von modernen Tendenzen, die im Namen der Geschichte dem Relativismus und der Beliebigkeit verfallen, klar abheben.
Das dramatische Modell kennt eine Vielfalt von Akteuren mit ihren Interaktionen, und es verfolgt den Handlungsablauf durch verschiedene Situationen - sprich Akte - hindurch. Mit Hilfe eines solchen Modells läßt sich die biblische Offenbarungsgeschichte mit ihren sehr unterschiedlichen Handlungsträgern - Jahwe, Volk, Propheten, Götzendiener, fremde Völker, etc - durch verschiedene geschichtliche Phasen hindurch verfolgen, ohne daß einerseits die Vielfalt der Erfahrungen gewalttätig unter einen Hut gebracht wird und ohne daß anderseits die eine Geschichte in eine Vielfalt unzusammenhängender Episoden zerfällt. Die Unterschiede und Zusammenhänge lassen sich besonders deutlich im neutestamentlichen Geschehen um Jesus Christus herausarbeiten und führen dort zu einem dramatischen Modell mit fünf Akten (vgl. R. Schwager, Jesus im Heilsdrama. Innsbruck 21996). Dank dieses Modells kann einsichtig gemacht werden, wo aus unterschiedlichen und vielfältigen Perspektiven geredet und wo Kontradiktorisches behauptet wird. Diese Unterscheidung ist wesentlich für jede echte Wissenschaft.
Inhaltlich ist für die dramatische Theologie die Kategorie vom Handeln Gottes zentral. Sie wird vom Handeln der Menschen her erschlossen, und zwar durch folgende These: "Ein tiefer, echter und dauerhafter Friede zwischen Menschen, der nicht auf Opferung Dritter aufgebaut ist und ohne Polarisierung auf Feinde auskommt, ist sehr schwer erreichbar, ja übersteigt menschliche Kräfte. Wenn er dennoch Wirklichkeit wird, ist dies ein klares Zeichen, daß Gott selber (der Hl. Geist) in den Menschen am Wirken ist." (vgl. R. Schwager, u.a., Dramatische Theologie als Forschungsprogramm). Diese These orientiert sich am ersten und fünften Akt des neutestamentlichen Heilsdramas (Anbruch der Gottesherrschaft; Pfingsterfahrung), den entsprechenden alttestamentlichen Voraussetzungen (z.B. Ez 28,24-26) und an der Theologie des zweiten Vatikanischen Konzils. Die weiteren Akte im neutestamentlichen Drama haben je ihre besondere Bedeutung. Die Gerichtsworte (2. Akt) decken - gemäß einer vorwiegenden Deutung - die Mächte der Lüge und Gewalt auf, die der Gottesherrschaft widerstreiten und die Menschen in einen Prozess der Selbstbestrafung - bis hin zur Hölle - gefangen nehmen. Bei der Deutung des Kreuzes (3. Akt) ist entscheidend, dass das Tun der drei Akteure - Menschen, Jesus, himmlischer Vater - klar unterschieden wird. Die Menschen schieben das Böse, das in ihnen aufgedeckt wurde, auf den Aufdecker ab und machen ihn so zum Träger der Sünde (Sündenbock). Jesus antwortet auf die erlittene Gewalt mit Gewaltfreiheit, Feindesliebe und Hingabe (Lamm Gottes). Der himmlische Vater schweigt. Wegen dieses Schweigens erhält der vierte Akt (Ostern) eine entscheidende Bedeutung für das neutestamentliche Drama und für das neutestamentliche Gottesverständnis. Durch die Auferweckung stellt sich Gott ganz auf die Seite Jesu und erweist sich damit selber als ganz gewaltfreier Gott, der beim Kreuz deshalb nicht eingegriffen hat, weil er nicht mit Gewalt siegen will. Im Osterfrieden wird den Jüngern, die - vielleicht als einzige - moralisch versagt haben, die Verzeihung zugesprochen. Damit ergibt sich rückwirkend auch eine Klärung jener Gerichtsbilder, die auf der Ebene des zweiten Aktes zweideutig blieben, und ein Interpretationsschlüssel für die Glaubensgeschichte Israels als Altes Testament (vgl. Lk 24,44 - 47). Der fünfte Akt (neue Sammlung durch den pfingstlichen Geist) greift den ersten Akt (Verkündigung Jesu von der anbrechenden Gottesherrschaft) wieder auf, integriert aber zugleich die dramatische Konfrontation mit den Mächten des Bösen und des Todes und ihre siegreiche und gewaltfreie Überwindung.
Die Kirche auf Erden wird von der dramatischen Theologie - in Entsprechung zu Augustinus - als eine Misch-Wirklichkeit ('realitas mixta') verstanden. Einerseits besteht ihr Wesen in der neuen Sammlung durch den Hl. Geist, anderseits wirken in ihr die alten gesellschaftlichen Mechanismen (Sündenbockmechanismus) weiter. Trotz dieser Vermischung wird das neutestamentliche Drama je neu und unverfälscht im liturgischen Drama Gegenwart. Das große Dogma - vor allem das christologische und trinitarische - hat sich in einem dramatischen Prozess entwickelt, bei dem einerseits immer auch Vorurteile und Gewalt im Spiel waren, bei dem aber andererseits die negativen Elemente nachträglich schrittweise ausgeschieden wurden.
Die Zeit nach dem Kommen Christi ist im Verständnis der dramatischen Theologie eine Zeit der 'Verschärfung', in der die Auseinandersetzungen zwischen Gut und Bös zunehmen (vgl. die Rolle der Naturwissenschaften und Technik) und zugleich verworrener wird (vgl. Apokalyptik).
Als Geschichtstheologie integriert die dramatische Theologie auch die Schöpfungstheologie mittels der Annahme, dass erst durch die Aufdeckung der Lügen- und Gewaltmechanismen (Mythen) ein unverstellter Blick auf die Schöpfung möglich wird. Sie situiert sich innerhalb eines dramatisch-evolutionären Verständnisses der gesamten geschaffenen Wirklichkeit.
Mit Hilfe der Theorie René Girards stellt die dramatische Theologie klare Beziehungen zu den heutigen Human- und Sozialwissenschaften und zu vielen Phänomenen des heutigen Lebens her (Nachahmung, Rivalität, Gewalt, Sündenbockmechanismus, Sakralität, Opfer, Riten, Mythen, Justizsystem, Konkurrenz und Marktwirtschaft, Medien, Film, Aufklärung, Friedensproblematik, interkulturelle und interreligiöse Begegnung, etc.) Vgl. Leseraum von "Religion - Gewalt - Kommunikation - Weltordnung".