Süddeutsche Zeitung vom 30.12.1999 Seite 16 Aus dem Leben der Marionetten Abschied vom
Jahrmarkt der Eitelkeiten:
Von Dominik
Graf
Warum will ein Regisseur keine Schauspieler mehr in seinen Filmen haben? Warum gab Roberto Rossellini seiner Ehefrau Ingrid Bergmann vor den Einstellungen angeblich folgende Anweisung: "Geh einfach von hier nach da und sage den Satz dort - und zwar so, wie wir das besprochen haben. Ich will keinen Unfug!" Regisseure, die mit ihren Schauspielern so umgehen, tun das, weil sie wissen, dass ihr Spiel auf gewisse Bereiche der filmischen Erzählung fatale Auswirkung haben kann: denn Schauspieler, mit ihrem unbedingten Willen zu "spielen", Szenen zu "formen", mit ihren "Grimassen und Faxen", stören oft die konzentrierte, klare Oberfläche eines Films, durch die man auf dessen Grund hinab blicken soll. Sie machen buchstäblich zu viel Wind. Und gerade wenn sie mit ihrer Mimik, mit überlegten Satzmelodien, mit dramatischem Körpereinsatz versuchen, die Innenwelt der Figuren nach außen zu stülpen wie das Futter eines Mantels, dann banalisieren sie damit auch oft die Geheimnisse der Rolle - sie verbergen nichts mehr. Bressons Figuren huschen dagegen wie in sich gekehrte Schatten an Mauern entlang, öffnen konzentriert mit meist gesenktem Kopf Türen, schließen sie hinter sich wieder, gehen wie an einer Schnur gezogen aus dem Bild, betreten ebenso das nächste Bild, sagen manchmal mit scheinbar neutralem Ausdruck etwas, das völlig alltäglich ist, und manchmal sagen sie auch etwas aus dem tiefsten Innern ihrer Seelen - und sie sagen es stets mit der gleichen stimmlichen Intensität einer Computerstimme. Sie "leiern" ihre Texte, haben scheinbar kein Gefühl dafür, ihren Körper in Szene zu setzen, blicken meist selbstverloren auf den Boden, so als schämten sie sich ein wenig für ihren Auftritt im Film - und sie haben dennoch den professionellen Schauspielern eine unendliche Stärke voraus: sie sind vollends uneitel, sie sind "unschuldig". Sie zeigen gewissermaßen einen Rest unserer ursprünglichen menschlichen Natur - und zwar bevor der Terror des Individualismus, bevor die tiefenpsychologischen Injektionen des Kapitalismus, die jeden zum Werbemanager seiner selbst machen wollen, bevor all diese Mechanismen des Zwangs zum Besonders- und Erfolgreichsein in uns wirksam werden. Manchmal scheinen Bressons "Modelle" geradezu einen früheren Zustand der Menschheit darzustellen: Was sie tun und was sie vor allem weglassen, entspricht in gewisser Weise der Unschuld und Ernsthaftigkeit von Kindern - Bevor auch die sich ihrer Wirkung bewusst werden. Das Konzept solcher Anti-Schauspielerei im Film, diese Idee der Modelle konnte nur von einem Europäer erfunden werden. Amerikaner würden selbst ihren schwächsten, schmierigsten Serienschauspielern noch einen Antrieb von "Unschuld" (und guter Absicht) zugute halten wollen. Und zwar ganz unabhängig von den gnadenlos sarkastischen Kommentaren Amerikas zur Unfähigkeit oder Eitelkeit von Personen öffentlichen Interesses. Die Amerikaner sagen uns mit fast all ihren Filmen: Man kann eitel und karrieregeil sein und kann dennoch im Inneren seines Herzens unschuldig wie ein Neugeborener bleiben - jeder darf auf Erlösung hoffen. Das Menschenbild Amerikas ist in der Schauspieler-Inszenierung des Kinos so offenbar wie nirgends sonst. Und die "Actor's"-Methoden Stanislawskis und Strasbergs konnten - ob James Dean oder Robert De Niro - wohl auch nur in den USA diese Tradition von rekordsüchtigen Olympiaden der Filmschauspielerkunst begründen. Solches Grundvertrauen in die Unschuld der Menschen haben wir - "the great nations of Europe" - im Verlauf unserer Geschichte schon öfter aus den Augen verloren. Die historische Nähe des zweiten Weltkriegs sieht man Bressons Inszenierungen sehr deutlich an: Von der Präsenz der Körper - geschweige denn von ihrer Verherrlichung oder auch ihrer Verstümmelung - hatte man im Nachkriegs-Europa allgemein genug. Bressons "geistiger Stil" (Susan Sontag) scheint der Höhepunkt einer Bewegung der "Stille", der körperlosen Askese zu sein, einer Reduktion aller erzählerischen Mittel auf der Suche nach neuer Wahrhaftigkeit. "L'argent", "Pickpocket", "Mouchette" - überall in diesen Filmen hüten die Hauptfiguren in ihrem schweigenden Inneren irgendein radikales, spirituelles Geheimnis der menschlichen Seele. Die stilistische Klarheit und Konsequenz von Bresson entspricht dabei manchmal verblüffend den emotionslosen MaskenSpielen der Stars in den französischen Gangsterfilmen Melvilles. Die allerbesten Schauspieler und die größten Regisseure haben nämlich viel von Bresson gelernt: Truffaut beispielsweise hat seine Frauen oft mit derselben selbstvergessenen Anmut inszeniert. (Übrigens erkennt man bei Truffaut manchmal deutlich die Nähe dieser Art der Inszenierung zum modernen Tanz: etwa in der Art, wie er als Regisseur in der "Amerikanischen Nacht" seiner Hauptdarstellerin präzise Gesten und Kopfhaltung beibringt.) In diesen Momenten findet eine Art Versöhnung des Stils von Bresson mit breiteren Schichten des Kinopublikums statt. Und von diesen Filmen seiner Nachfolger aus, von denjenigen, die Bressons Filme verstanden, in sich aufgenommen und sie sozusagen in Geheimschrift in ihre eigenen Filme eingefügt haben - von dort aus könnte man sich Bressons Dogmatismus auch anders nähern. Wenn man beispielsweise die gläserne, puppenhafte Ruhe des Spiels der rätselhaften Hauptfigur (Catherine Deneuve) im "Geheimnis der falschen Braut" sieht und sie der einsamen, berührenden Verzweiflung des "Taxi Drivers" (Robert de Niro) gegenüberstellt, dann sieht man, dass beide aus derselben Quelle gespeist werden. Aus der Erkenntnis, dass die größte Leistung des Schauspielers im Film - ob er nun eher Bressons Schattenrissen oder den grandiosen Explosionen der Actor's-Studio-Helden zuneigt - darin besteht, gewisse Geheimnisse des Menschen vor dem Zugriff des psychologisierenden Theaterspiels zu bewahren! Stattdessen geht es doch in bestimmten Augenblicken im Kino nur noch darum, eine Projektionsfläche für unsere Empfindungen zu sein. In Strasbergs Schule gibt es die Übung, den sogenannten "private moment" herzustellen, das heißt: ganz bei sich und unbeobachtet zu sein - also radikal unschuldig. Ein Stück weiße Leinwand. Das ist es, darauf kommt es im Kino an. Kurzer Epilog: Was Bressons Modelle von der Unschuld von Kindern wiederum fundamental trennt, ist die Tatsache, dass sie niemals lächeln. Lachen gibt es auch selten: nur das wilde Lachen Mouchettes; der Esel Balthazar lächelt vielleicht unsichtbar ab und zu traurig und weise in sich hinein; und das kleine Kind des Protagonisten aus "L'argent" lacht, wenn es zu Beginn des Films den Vater begrüßt. Im Universum Bressons gibt es überhaupt wenig zu lachen - wenn man von den scheppernden Rüstungen der Ritter in "Lancelot" mal absieht. Umso wertvoller, seltener, erstaunlicher ist der erste Auftritt des steppenden, tanzenden jungen Mädchens in "Les Dames du Bois de Boulogne". Bresson scheint hier selbst einen Beweis für die Widersprüchlichkeit seiner Dogmen hinterlassen zu haben. Die Schauspielerin Elina Labourdette strahlt nämlich Freude aus beim Tanzen; sie scheint sogar Spaß an den lustvollen Blicken ihrer Zuschauer zu haben. Sie wirkt für eine Minute in Bressons Werk erotisch und trotzdem unberührt. Man traut seinen Augen kaum. Aber sie wird bald darauf das Werkzeug der Rache einer Frau an einem Mann werden - und sie wird daran zu Grunde gehen. "Unschuldig"? Dominik Graf ist Regisseur von "Die Sieger", "Spieler" und "Die Katze" und arbeitet gerade an einem neuen Kinofilm.
Übernahme dieser Seite in die Bresson Homepage mit
freundlicher Genehmigung des Autors.
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