die tageszeitung, 23.12.1999, Seite 16


Die Stimme ist das Fleisch der Seele - Robert Bresson ist tot. Er hat das Kino vom Zwang des Erzaehlens befreit. Und die Welt so gefilmt, wie sie ist, nicht wie wir sie haben moechten. Mit der ungeheuren Wucht der Einfachheit.

Ein Nachruf Von Hanns Zischler

Seine Filme haben uns getroffen mit der Wucht der Desillusionierung. Ihre Wirkung laesst nicht nach, sie verstaerkt sich allenfalls. Entzaubert war das Kino, das ploetzlich keine Macht mehr zu haben schien. Oder mehr Macht denn je. Was in der Regel - und dem herrschenden Geschmack zufolge - in der Ueberwaeltigung durch Montage muendet, zerfaellt bei Bresson in die Ernuechterung immer neu und rabiat gesetzter Augenblicke. Mit der Unnachgiebigkeit eines Empoerten hat er den Geschichten das Tarnnetz der Psychologie heruntergerissen. Geschichten von Strauchelnden, Fallenden, Verurteilten, Geschaendeten, Ueberwaeltigten, Verworfenen. Sein moralischer Rigorismus fand eine Form - forma heisst, auch, Schoenheit - und eine aesthetische Kraft, die man sakral nennen muss.

Mit dieser Aesthetik der Kinematographie, die er ganz allein ohne erkennbare Vorbilder von Film zu Film neu erfunden hat, bekaempfte er die profanste aller Welten: das theaterbesessene und schauspielerverhexte Kino. Seine Herkunft aus der Malerei mag ihn daran gehindert haben, Bilder zu "schiessen". Doch es ist nicht das Malerische der Malerei, das er in den Film uebersetzen oder fuer ihn "retten" wollte, sondern das Gestische in der Fuelle seiner Fragmentierung, das eine Erzaehlung dominiert, sobald sie dem Text entwunden und vom Kinematographen ergriffen wird. Immer wieder ist die Hand, die gibt, haelt, greift, andeutet, verweist, schreibt, erwartet und entwendet, die er wie eine verbindende Zaesur ins Bild rueckt, die Hand und das Auge, vermittelt durch die Stimme, die seiner (und einer sehr alten) Ueberzeugung zufolge die Fleisch gewordene Seele ist. Der so begriffenen und belauschten und von ihm "provozierten" Stimme hat er die grossen Geheimnisse entlockt. Und er wurde nicht muede zu betonen, dass diese geradezu mechanische Eucharistie (der Stimme) von Schauspielern nicht zu leisten, ja nicht einmal zu erwarten ist.

Die Kraft der disjunktiven Bilder, in der Gegenstaende mit Fragmenten von menschlichen Koerpern aufeinander prallen, hat er ganz allein entdeckt. Diese Bilder sind da, gesetzt, mit der Willkuer eines Wuerfelwurfs - und was in ihnen geschieht, scheint von keinem dramaturgischen oder narrativen Willen geleitet - es geht darin zu wie in der Welt. Der gewohnheitsmaessige Realismus (oder Verismus) des Kinos versagt vor seiner Vision. Bresson gestattet den Raeumen nicht, in der homogenen Form einer geschlossenen Erzaehlung aufzugehen. Im Extremfall bedeutet dies, dass wir die Zelle des zum Tode Verurteilten ("Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen", 1956) nie komplett sehen, sondern immer nur in Ausschnitten, die zudem so gewaehlt sind, dass man glaubt, sie blickten uns an. Damit aber schlaegt Bresson von seinem ersten Film an eine Schneise in das fest gefuegte Universum des narrationsbesessenen cinema, er zerbricht die schoenen "harmonisch fliessenden" Bilder (und die sakrosankten Kadragen) wie Moses die Gesetzestafeln.

Dinge und Gesten treten in seinen Filmen an uns heran und ruecken uns auf den Leib, als waeren wir, die Zuschauer, in der Rolle des unglaeubigen Thomas, der sagen muss: "Zeige deine Wunde." Die Finger Pickpockets, die augenfoermige, von sickerndem Blut umfeuchtete Wunde Balthasars, der Staubsauger auf dem roten Teppich von Notre Dame ("Der Teufel moeglicherweise", 1976), die Weisswaesche hinter dem Haus des Opfers, der Fuellstutzen an der Tankstelle ("Das Geld", 1982) - waehrend bei Hitchcock diese schreckhaften Vergroesserungen wie aus dem Schattenkabinett Hans Christian Andersens entliehen wirken und unsere Fantasie Alarm schlagen lassen, betreibt Bresson damit keinerlei psychologischen suspense. Gesten und Dinge sind da, blind. Und sie sind bedrohlich, weil sie blind sind.

Wenn das Maedchen Mouchette (in dem gleichnamigen Film) von dem Landstreicher Arsene vergewaltigt wird, sehen wir sie erschrecken und fallen und verschwinden unter dem Zugriff seiner Gier. Und wenn sie sich spaeter, am Ende, in ein Leintuch wickelt, um ins Wasser und in den Tod zu rollen, macht sie unter Aufbietung aller Kraefte diesen letzten Akt ihres Lebens zu einem des Widerstands gegen die erlittenen Graeuel ihrer Schaendung. Dieser Wunsch, nur noch Koerper (und dann nicht mehr) zu sein, wird noch gesteigert in " Zum Beispiel Balthasar", von dem geliebten und gefolterten Esel, dessen bildsprengende Praesenz (und Schwaerze) uns tief verstoert, weil wir an dem Schicksal dieses Tieres der menschlichen Rohheit unabwendbar ansichtig werden. Keine Versoehnung, nirgends.

Er hat uns gelehrt, nicht wegzuschauen. Es sind "nur" dreizehn Filme, die er im Verlauf eines halben Jahrhunderts gemacht hat. Filme, so schlackenlos und kompakt wie ein Stueck Kohle, das unter ungeheurem Druck zu einem Diamanten umgeformt wurde. Wenn man sie (wieder) sieht, scheint es unbegreiflich, woher er die schiere Ausdauer und die immer radikaler werdende aesthetische Vision bezog, diese Filme ueberhaupt zu realisieren. Grund fuer Empoerung hat es genug gegeben, doch bedeutet das nicht notgedrungen, Kraft und Mittel zu haben, sie darzustellen. 1983, waehrend eines Interviewfilms mit Jean Rouch, trafen wir Robert Bresson in einem Bistro auf der Ile-St. Louis, unweit seiner Wohnung. Er erwaehnte, dass er immer noch hoffe, das Geld fuer seinen geplanten Film "La Genese" finden zu koennen. Das Buch sei lange fertig. Die Kosten bezifferte er auf zehn Millionen Dollar. Er hat sie nicht gefunden, und der Film wurde nie gedreht.

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