die tageszeitung, 08.01.2000 Seite 28
Von Andreas Eisenhart
Ob er die Geschichte eines Esels erzaehlt oder den "Prozess der Jeanne d'Arc" beinahe dokumentarisch nachstellt; ob er die Fingerfertigkeit eines einsamen Taschendiebes schildert ("Pickpocket", 1959) oder die Winkelzuege einer verletzten Frau nachzeichnet, die sich raechen will ("Die Damen vom Bois de Boulogne", 1944): die dichte, elliptische Erzaehlweise ist typisch. (Deshalb wirkt es wie ein Schock, wenn das Prinzip einmal durchbrochen wird, wenn in "Lancelot" einem Ritter im Zweikampf der Kopf abgeschlagen wird und aus dem Rumpf tatsaechlich Blut stroemt.) Kein Bild steht fuer sich allein; jedes wird von den vorangehenden und den nachfolgenden Bildern beeinflusst. So wie die Farben auf der Leinwand sich gegenseitig beeinflussen und ein Gelb neben einem Blau anders wirkt als neben einem Rot. Deshalb hat Bresson alle seine Bilder auf das Wesentliche reduziert. Es gibt bei ihm kaum Totalen, stattdessen: Details, Fragmente, angeschnittene Koerper, einzelne Gliedmassen, Raumecken, Moebelstuecke, Scherben und vor allem Haende, immer wieder Haende, die etwas ergreifen, etwas loslassen, etwas in andere Haende uebergeben. "Die Schoenheit deines Filmes wird nicht in den Bildern sein, (...) sondern in dem Unsagbaren, das sie ausloesen werden", schreibt Bresson in seiner Aphorismensammlung "Noten zum Kinematographen". Kinematograph - Bewegungsschreiber - hatten die Brueder Lumiere den von ihnen erfundenen Aufnahme- und Projektionsapparat genannt. Bresson benutzt diesen Begriff, um sich vom gaengigen Kino abzugrenzen, das sich darauf beschraenkt, verfilmtes Theater zu sein. Nicht nur die Bilder - und uebrigens auch der Ton -, auch das Spiel der Darsteller, die Bresson Modelle nennt, ist auf das Wesentliche reduziert. Mimik und Koerperhaltung sind moeglichst neutral, ausdruckslos, ebenso wie die Stimme, die Bewegungen oft seltsam verlangsamt. Einem Betrachter, der das herkoemmliche Kino gewohnt ist, mag das hoelzern und naiv erscheinen. Doch Modelle spielen nicht, repraesentieren nicht, sie fuehren - ganz brechtisch - etwas vor: Handlungen, Haltungen, Gesten. Und das so klar und einfach wie moeglich, ohne Schnoerkel. "Ornament ist Verbrechen", dieser Satz des Wiener Architekten Adolf Loos koennte das Motto Robert Bressons sein. Die Einfachheit in der Darstellung ist das Ergebnis einer langwierigen Arbeit. Bresson war dafuer beruechtigt, dass er eine Szene dreissig oder vierzig Mal drehen liess. Erst wenn Bewegungen und Dialoge der Modelle quasi automatisch kamen und nicht mehr von ihrem Willen kontrolliert wurden, war er zufrieden. Den Konventionen der Filmindustrie sich derart konsequent zu verweigern hat seinen Preis. Fast jedem der der 13 Filme, die Bresson zwischen 1943 und 1983 gedreht hat, ging ein langwieriger Kampf ums Geld voraus. Keiner wurde ein Erfolg beim Publikum, und "Das Geld", sein letzter Film, wurde 1983 in Cannes sogar ausgepfiffen. Doch jeder dieser Filme ist ein kleines Juwel, ohne das die Filmgeschichte aermer waere. Und der Einfluss Bressons, der sich einmal als "Einaeugiger im Koenigreich freiwillig Blinder" bezeichnet hat, auf andere Filmemacher ist bedeutend - zeitweise reichte er, dank dem Drehbuchautor und Regisseur Paul Schrader, sogar bis nach Hollywood: Das Ende von Schraders "American Gigolo" zitiert die Schlussszene von "Pickpocket", und "Taxidriver" von Martin Scorsese, zu dem Schrader das Drehbuch geschrieben hat, steckt voller Anspielungen auf "Tagebuch eines Landpfarrers" und "Pickpocket". Ueber sein Privatleben weiss man uebrigens wenig. So diskret war er mit persoenlichen Angaben, dass selbst in den Nachrufen zu seinem Tod im letzten Dezember als Geburtsjahr mal 1907, mal 1901 genannt wird. Paul Schrader hat ihn im Rahmen eines Interviews einmal fotografiert. Da haelt Bresson einen Stuhl hoch, wie um sich dahinter vor der neugierigen Kamera zu verstecken. Retrospektive Robert Bresson. Bis 23. Januar im Filmkunsthaus Babylon.
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