die tageszeitung, 13.01.2000, Seite 2
Von Birgit Glombitza
Was der Taschendieb Michel mit einer Mischung aus Furcht und Vorfreude erbeutet, verliert im Moment der Inbesitznahme fuer ihn jeden Sinn. Es zu ertricksen, bedeutet dem manischen Dieb alles. Es zu haben, nichts. Nie benutzt er es als das, was es ist: als Gegenwert. Als Substitut im Tauschhandel der Waren und Wuensche. "Die Form bildet und erzieht weit mehr als der Inhalt", sagte Bresson einmal in einem Interview. Der Regisseur, der am 21. Dezember letzten Jahres im Alter von 98 Jahren starb, blieb zeitlebens ein Genauigkeitsfanatiker, dem die Formel "Ordnung gleich Kreation und Unordnung gleich Leben" zum kuenstlerischen Credo geworden ist. In den 14 Filmen, die er zwischen 1943 und 1983 gedreht hat, will er vor allem von "der Unvermittelbarkeit des Menschen" erzaehlen. Und das so schlicht und wahr, wie es nur eben geht. Jedes Zuviel sortiert er aus in den Topf, den er "photographiertes Theater" nennt und als Ansammlung schnoeden Dekorwillens ablehnt. Bressons Werk beschreibt eine Fahndung nach der aeussersten Oekonomie filmischer Mittel. Statt Schauspieler suchte er lieber Laien. Bei der Auswahl seiner Modelle, kam es ihm vor allem auf die moralische Aehnlichkeit zur Filmfigur an. Er arbeitete weitgehend mit Originalton, erzaehlte zunehmend elliptischer, speckt Handlung und Gespraeche auf das Notwendigste ab und hinterlaesst so Bilder, mit eigentuemlicher Dringlichkeit. "Bei jedem Strich riskiere ich mein Leben", zitiert Bresson gelegentlich Paul Cezanne und wurde selbst zum ernsten Fall, dem sein Arzt das Malen verbot, weil es ihn zu sehr aufzehre. "Jetzt male ich mit den Augen." In Pickpocket konzentriert sich Bresson ganz auf das Geheimnis des Rituals selbst, die Virtuositaet der Form, die kalte Perfektion. Sie stuelpt sich ueber die Wirklichkeit, wie die Haende des Trickbetruegers ueber sein Diebesgut. Die taenzerische Fingerfertigkeit in Pickpocket fasst Bresson in strenge, hermetische Bildausschnitte. Kaum merkliche Kamerafahrten verfolgen das Spiel der Blicke und Finger. Ein dramaturgischer Kreisel rund um die Mathematik der Manien und Abhaengigkeit, der vieles aus seinem letzten Film L'Argent bereits vorwegnimmt. Hier folgt die Geschichte einem Falschgeldschein, der eine unselige Kettenreaktion in Gang setzt, die schliesslich bei der Ermordung einer kompletten Familie endet. Ein gesellschaftlicher Formfehler ist es in Les dames du Bois de Bologne (1945), der den Abstieg in die Verachtung mit sich bringt. Dies ist der letzte Film, in dem Bresson sich noch theatraler Mittel in Ausstattung, Ton und Licht bedient - wenn auch nur, um sie an der Automatik der Geschichte wieder zu brechen. Dazu triezte er die Darsteller so lange, bis sie komplett entnervt und erschoepft ihre Texte nur noch ganz mechanisch sprechen. Bleibt in dem Rachereigen die Liebe auch solider als die Intrige. Fuer Schuld gibt es in Bressons Kosmos kein Pflaster. Sie hockt allen Schicksalen und fehlgeschlagenen Revolten seiner Protagonis-ten wie ein Fluch im Nacken. Bresson, der aus seinem Katholizismus nie einen Hehl gemacht hatte, glaubte nicht nur an Gott und die christliche Vererbungslehre der Suende, sondern seit seiner 18-monatigen Kriegsgefangenschaft 1940 in einem deutschen Lager, auch an einen Teufel. An die totale Ohnmacht, das Ende aller Optionen. Seither wurde die Welt seiner Filme enger, waren Mauerwerk und Umzaeunung staendig im Anschnitt zu sehen. Befreiende Totalen gibt es gar nicht. Das freie Spiel der Moeglichkeiten wurde zum Solisten-Schach. Dabei ging es immer um alles. "Ein kultureller Reaktionaer" schimpfte Paul Schrader einmal ueber Bresson, und fuegt dann "aber ein kuenstlerischer Revolutionaer" hinzu. L'Argent:Fr, 14., 19 Uhr, + Mo, 17. JanuarLes Dames du Bois de Boulogne:Mo, 24. Januar, 21.15 UhrPickpocket:So, 30., 17 Uhr + Mo, 31. Januar, 21.15 Uhr
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