Diskussionsbeitrag Muck zu: 6. April 2000

Absolutheit der Wahrheit –

etwas berechtigt für wahr halten –

Kontextualität dieser Berechtigung

 

Ich halte es für nützlich, einen für berechtigt gehaltenen Anspruch auf Wahrheit einer Aussage von deren Wahrheit zu unterscheiden. Der Begriff der Wahrheit und die Wahrheit als Ideal der Geltung der Erkenntnis lassen keine Relativität zu. Wohl aber hängt der Sinn der berechtigten Aussage vom vorausgesetzten Anwendungs­bereich (Kontext) ab.

Aus der Geschichte der Wissenschaften wie auch aus der eigenen Denkentwicklung kennen wir wohl Beispiele dafür, daß etwas für wahr gehalten wurde, das sich später als voreilige Verallgemeinerung oder bloße Näherung erwiesen hat. (vgl. Newton – Einstein) Dennoch wurde diese Meinung vorher sowohl für vernünftigerweise bejahbar gehalten - für eine "Wahrheit" – und sie hat sich auch als für den üblichen Anwendungsbereich hinreichend verläßlich erwiesen.

Erst durch Erweiterung des Anwendungsbereiches sind Schwierigkeiten aufgetreten und hat sich die Korrekturbedürftigkeit der früheren Auffassung gezeigt. Die Grenzen des Anwendungsbereichs, durch die der Sinn der berechtigten Aussage präzisiert werden konnte, ließen sich aber erst nachher genauer angeben.

Wenn wir die Grundlagen unserer Lebensgestaltung für wahr halten, dann sollten wir es zugleich auch als für typisch menschlich betrachten, daß wir manche Aussagen berechtigt für wahr halten, die sich später als nicht wahr erweisen. Dennoch waren sie in einem auf ihren früheren Anwendungsbereich eingeschränkten Sinn verläßlich und die aus ihnen gezogenen Folgerungen zutreffend, so daß sie in diesem Sinn berechtigt für wahr gehalten werden konnten.
Bedenken wir das, dann werden wir gegensätzliche Auffassungen in einem Licht sehen, das uns für einen Dialog öffnet, der zu einer gemeinsamen Suche nach Wahrheit wird, indem unbedachte Verallgemeinerungen und darauf beruhende Irrtümer aufgewiesen werden. Hier kommt auch der Argumentation eine wichtige Rolle zu. Sie vermag die Anwendungsbereiche (Kontext) und Einschränkungen deutlicher herauszuheben.

Ein solcher Dialog ist aber ein nicht abgeschlossener Prozeß und in der Einschätzung, wie weit die Partner dabei gekommen sind, muß nicht Übereinstimmung bestehen.
So wird es dazu kommen, daß im Sprechen darüber zwei Ausdrucksweisen abwechseln werden.

Eine direkte Ausdrucksweise, welche die Aussagen mit ihren Begründungen vorbringt und in der sich der Gegensatz der Meinungen ausdrückt. Durch sie hofft man, zu einem besseren Verständnis und zur Klärung der Berechtigung der vorgebrachten Auffassungen zu kommen.

Eine andere reflektierende Ausdrucksweise braucht es, wenn gemeinsam über diesen dialogischen Prozeß gesprochen wird und er von den Partnern als gemeinsame Suche nach Wahrheit verstanden wird. Dann braucht es eine Ausdrucksweise, welche die aus der Sicht eines Beobachters noch nicht erreichte Übereinstimmung der Partner zum Ausdruck bringt. Hier wird nicht von der Wahrheit der Auffassungen gesprochen, sondern von dem Wahrheitsanspruch der Partner, es wird also die subjektive, persönliche Einschätzung durch den betreffenden Dialogpartner betont. Wenn dies auch relativierend klingt, so sollte das nicht als ein relativistischer Wahrheitsbegriff mißverstanden werden. Denn die Relativität bezieht sich auf das faktische Für-wahr-Halten und setzt jenes Verständnis von Wahrheit als zugrundegelegt voraus, das Gegensätze überhaupt erst als störend empfinden läßt.

 

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