Kommentar zur politischen Situation in Österreich
Gegen Ausgrenzung auftreten ist eine urchristliche Haltung, die Jesus beispielhaft vorgelebt hat. Sein Geschick zeigt aber, welch unangenehme, ja bittere Konsequenzen eine solche Haltung haben kann, denn normal im alltäglichen Sinn ist etwas anderes. René Girard beschreibt es genau, und die Politik bestätigt es fast jeden Tag von neuem: Menschen finden sich am leichtesten durch Polarisierung auf Feinde zusammen. Haider hat mit dieser Methode Erfolg gehabt, und die EU versucht es mit einem ähnlichen Mittel.
Heuchlerisch wird alles, wenn man den Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung als Argument benützt, um gerade damit Ausgrenzungen zu betreiben. In einer anständigen demokratischen Ordnung dürfen nur Taten und nicht Vermutungen, was in Zukunft geschehen könnte, bestraft werden. Österreich hat keine solchen Taten gesetzt, und wird trotzdem ausgegrenzt. Bei der freiheitlichen Partei kann ich, auch wenn mir diese Partei sehr fremd und ihre Rhetorik oft abstoßend ist, ebenfalls keine solchen Taten feststellen. Sie muß deshalb für das normale demokratische Spiel in Frage kommen. Der Bundeskanzler Schüssel versucht dies und verteidigt damit demokratische Grundwerte. Damit verstößt er aber gegen jene öffentliche Meinung, die Sündenböcke braucht, und kriegt dafür entsprechende Schläge. Die Art und Weise und die Nervenstärke, mit der er dies bisher durchgestanden hat, nötigen Respekt ab.
Europa tut sich schwer. Es will mit Recht eine Werte Gemeinschaft sein, obwohl es angesichts des heutigen Pluralismus kaum noch gemeinsame Werte gibt. Nur die Verurteilung des Nationalsozialismus verbindet Europa noch. Eine Verurteilung als letzte moralische Basis ist aber aus einem doppelten Grund problematisch. Erstens tendiert jede rein negative Einigung, auch wenn sie sachlich noch so berechtigt ist, längerfristig zu Fixierungen. Zweitens liegen die Untaten der Nazis schon mehr als ein halbes Jahrhundert zurück und verlieren deshalb ihre abschreckende Wirkung auf die heranwachsenden Generationen. Um dieser Erosion zu entgehen, liegt es in der Logik der negativen Einigung, krampfhaft nach stets neuen Hitlern zu suchen, um die alte Abschreckungskraft neu zu stimmulieren. Wenn aber Haider zu einem Hitler hochstilisiert wird, wie dies manche europäische Organe in den letzten Tagen getan haben, dann wird umgekehrt Hitler banalisiert und zu einer durchschnittlichen Figur herabgezogen. Gerade so wird aber die letzte moralische Grundlage Europas zerstört. Schüssel verdient deshalb Anerkennung, daß er Europa nötigt, aus der verbalen Mechanik bloß negativer Einigung einen Ausweg zu suchen. Die Kulturschaffenden, die sich dagegen ereifern, sollten, wenn sie es ehrlich meinen, eher mithelfen, sich der großen und für die Zukunft entscheidenden Frage zu stellen: welche gemeinsame Grundlage kann es - angesichts des heutigen Pluralismus - für Europa noch geben? Individualistisches Streben nach Geld und Konsum bilden auf alle Fälle keine genügende Basis für die Zukunft und die moralische Fixierung auf vergangene Untaten ebensowenig. Positive Werte sind gefragt.
Ein weiterer Punkt in der neuen Regierung verdient Beachtung. Sie scheint mit der alten Schuldenpolitik brechen zu wollen, die ein moralisches Krebsübel war. Schulden lasten erstens den kommenden Generation Bürden auf, ohne daß diese mitreden konnten. Schulden beinhalten ferner eine dauernde Umverteilung von den durchschnittlichen Steuerzahlern zu jenen Reichen, die dem Staat Geld vorschießen und dafür Zins und Zinseszins einstreichen. Auch für diese Neuorientierung wird die Regierung unter Schüssel Schläge bekommen, vor allem von jenen, die im Namen der sozialen Gerechtigkeit die soziale Ungerechtigkeit des Schuldenmachens weiterbetreiben wollen. Hoffentlich besitzen die Regierung und die Regierungsparteien auch in diesem Punkt genügend Nervenstärke.
Raymund Schwager, Innsbruck