Forschungsprojekt zum Rückschaufehler bei der richterlichen Urteilsfindung im Schadenersatzprozess
Die vorliegende Seite bietet ergänzende Informationen zum Artikel Knötzl/Schacherreiter/Schopper, zum Rückschaufehler bei der richterlichen Urteilsfindung im Schadenersatzprozess JBl 2017, 2.
Das Forschungsprojekt
Gemeinsam mit RA Mag. Bettina Knötzl und Priv.-Doz. Dr. Judith Schacherreiter führte Prof. Alexander Schopper im Jahr 2016 ein Forschungsprojekt zum Thema des Rückschaufehlers bei der richterlichen Urteilsfindung in Schadenersatzprozessen durch. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts wurden in der Fachzeitschrift Juristische Blätter veröffentlicht (Knötzl/Schacherreiter/Schopper, Zum Rückschaufehler bei der richterlichen Urteilsfindung im Schadenersatzprozess JBl 2017, 2).
Die Fallstudie
Ein Teil des Projekts bestand darin, die Wirkungen des Rückschaufehlers bei der Beurteilung von schadenersatzrechtlichen Fragestellungen empirisch zu erforschen. Daher wurde eine Fallstudie mit Studierenden der Rechtswissenschaften durchgeführt. Die Fallstudie wurde an der Universität Innsbruck, der Johannes-Kepler-Universität Linz (mit freundlicher Unterstützung von Univ.-Prof. Dr. Stefan Perner) und der Wirtschaftsuniversität Wien (mit freundlicher Unterstützung von Univ.-Prof. Dr. Martin Spitzer) durchgeführt.
Insgesamt wirkten 168 Studierende des Diplom- und Bachelorstudiums Rechtswissenschaft bzw Wirtschaftsrecht im Rahmen von unterschiedlichen Lehrveranstaltungen zum bürgerlichen Recht und zum Unternehmensrecht mit. Die Studierenden standen teilweise am Beginn des Studiums des bürgerlichen Rechts, teilweise waren sie fortgeschrittener. Im Rahmen der Lehrveranstaltungen, in denen die Umfrage auf freiwilliger Basis durchgeführt wurde, wurden die jeweiligen LehrveranstaltungsteilnehmerInnen jeweils in drei gleich große Gruppen aufgeteilt. Das Verhältnis von Studierenden, die am Beginn des Studiums des bürgerlichen Rechts standen und jenen, die bereits etwas fortgeschrittener waren, war in jeder Gruppe gleich.
Die Aufgabenstellungen an die Teilnehmer der Fallstudie
Die Teilnehmer der Umfrage mussten ein schadenersatzrechtliches Fallbeispiel im Hinblick darauf beurteilen, ob eine Sorgfaltspflicht verletzt worden war. Bei dem Fallbeispiel handelte es sich um eine (für die Studie geringfügig adaptierte) OGH-Entscheidung (OGH 29.03.2000, 7 Ob 51/00a), die sich mit dem Schadenersatzanspruch einer Eisläuferin gegen den Betreiber eines Eislaufplatzes beschäftigt. In dem Verfahren brachte die Eisläuferin als Klägerin vor, der Eislaufplatzbetreiber hätte bei der Absicherung des Eislaufplatzes gegen Verkehrssicherungspflichten (Schutz- und Sorgfaltspflichten als vertragliche Nebenpflichten) verstoßen.
Die Entscheidung OGH 29.03.2000, 7 Ob 51/00a finden Sie hier.
Die drei Studierendengruppen erhielten jeweils unterschiedliche Varianten des Fallbeispiels:
Die erste Gruppe wurde in eine echte ex ante Sicht versetzt. Sie hatte keine Information über Unfallhergang und -folgen, sondern nur über die vom Betreiber getroffenen Sicherheitsvorkehrungen. Die Aufgabe bestand darin, vorab zu beurteilen, ob allfällige Sorgfaltspflichten eingehalten werden und der Eislaufplatz in dieser Form betrieben werden könne.
Die Aufgabenstellung für die erste Gruppe finden Sie hier.
Die zweite Gruppe erhielt zusätzlich zur Information über die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen Information über Hergang und Folgen eines konkreten Unfalls am Eislaufplatz. Man versetzte sie damit in eine ex post Perspektive. Die Fragestellung war dieselbe, nämlich ob der Betreiber Sorgfaltspflichten verletzt hatte.
Die Aufgabenstellung für die die zweite Gruppe finden Sie hier.
Die dritte Gruppe erhielt dieselbe Information wie die zweite Gruppe, allerdings mit einer ausdifferenzierteren Aufgabenstellung, die explizit auf das Erfordernis einer ex ante Beurteilung und das Problem des Rückschaufehlers hinwies.
Die Aufgabenstellung für die die dritte Gruppe finden Sie hier.
Das Ergebnis der Fallstudie
Der Vergleich der Ergebnisse sollte die Frage beantworten, ob die zweite Gruppe – beeinflusst durch das Wissen um den Unfall – strenger urteilt als die erste Gruppe und ob dieser Rückschaufehler durch die spezifische Handlungsanleitung in der dritten Gruppe ausgeglichen werden kann.
Die Ergebnisse der Studie lassen sich wie folgt zusammenfassen:
In der ersten Gruppe erachteten 53% der Studierenden die Sicherheitsmaßnahmen als ungenügend und nahmen eine Schutzpflichtverletzung an. In der zweiten Gruppe bejahten 71% eine Schutzpflichtverletzung und daher eine Schadenersatzpflicht. In der dritten Gruppe, die mit konkreter Handlungsanleitung auf den Rückschaufehler hingewiesen wurde, gingen nur 29% von einer Schutzpflichtverletzung aus.
Eingehend analysiert werden diese Ergebnisse im Aufsatz Knötzl/Schacherreiter/Schopper, Zum Rückschaufehler bei der richterlichen Urteilsfindung im Schadenersatzprozess, JBl 2017, 2.
Bei allen TeilnehmerInnen der Studie bedanken wir uns sehr herzlich!