Projekte
Laufzeit:
1.1.2021 – 31.12.2022
Finanzierung:
FWF – Der Wissenschaftsfonds, Tausend-Ideen-Programm (TAI-257)
Projektleiter: Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Trebsche
ProjektmitarbeiterInnen:
Archäobotanik: Dr. Marlies Außerlechner
Geoarchäologie: Dr. Susanna Cereda
Laborantinnen im Mikroarchäologischen Labor: Tamara Döllinger BA
Kooperationen:
PD Mag. Dr. Alfred Galik (Archäozoologie – Ichthyologie; Österreichisches Archäologisches Institut der ÖAW)
Lost or Found? Mikroarchäologie bei Rettungsgrabungen
Normalerweise berichten ArchäologInnen darüber, was sie bei ihren Ausgrabungen gefunden haben. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was bei archäologischen Ausgrabungen verloren geht? Dieses Projekt stellt die traditionelle Vorstellung von „sichtbaren Funden“ als einzige archäologische Quelle in Frage. Stattdessen soll gezeigt werden, wie viel Information aus den winzigen „unsichtbaren“ Funden (auch als mikroarchäologische Quellen bekannt) gewonnen werden kann. Diese werden in der etablierten Grabungspraxis in Österreich häufig übersehen, weil bei kommerziellen Rettungsgrabungen (die etwa 90–95 % aller archäologischen Ausgrabungen ausmachen) keine adäquaten Techniken der Probenentnahme angewandt werden bzw. keine finanziellen Mittel dafür zur Verfügung stehen.
Forschungsziele:
Hauptziel des Projektes ist es, die erste systematische Stichprobe von mikroarchäologischen Funden aus Rettungsgrabungen in ganz Österreich zu erstellen und zu analysieren.
Auf der Grundlage dieser Quellen sollen drei Forschungsfragen bearbeitet werden:
- Welche Funde gehen – abhängig von den Methoden der Fundbergung – bei der Ausgrabung verloren?
- Wie verhalten sich die mit bloßem Auge entdeckten Makrofunde und die unsichtbaren mikroarchäologischen Funde in Quantität und Qualität zueinander?
- Welche „unsichtbaren“ Aktivitäten fanden an den Ausgrabungsstätten statt?
Um die oben aufgeworfenen Forschungsfragen zu beantworten, besteht die einzigartige Idee dieses Projekts darin, systematisch mikroarchäologische Funde aus Rettungsgrabungen zu gewinnen, für die es bisher keine Vorschriften für die Probenentnahme bei Mikrofunden gibt. Dieser beispiellose Ansatz wird von der enormen Anzahl von Rettungsgrabungen (ca. 650 pro Jahr) profitieren. Im Rahmen des zweijährigen Pilotprojektes soll eine stratifizierte Stichprobe von ca. 30 prähistorischen Siedlungsplätzen vom Neolithikum bis zur Eisenzeit untersucht werden, die möglichst gleichmäßig über verschiedene Regionen Österreichs verteilt sind.
Das Projekt „Lost or Found?“ wird zwei große Transformationen in der Feldarchäologie auslösen: Erstens wird sich die praktische Anwendung der Mikroarchäologie auf das weite Feld der kommerziellen Archäologie ausdehnen. Zweitens wird die Bedeutung des Begriffs ‚Mikroarchäologie‘ (im Sinne von Stephen Weiner, Microarchaeology. Beyond the visible archaeological record, Cambridge 2010) erweitert und als Oberbegriff für alle archäologischen Funde und Befunde verwendet, die mit dem bloßen Auge allein nicht entdeckt und untersucht werden können. Diesem Ansatz folgend hat die Mikroarchäologie das Potenzial, unser Wissen über viele Produktionstätigkeiten tiefgreifend zu verändern, insbesondere solche, die häufig nur winzige Rückstände in Form von Mikroabfällen hinterlassen (z.B. Getreideverarbeitung, Lebensmittelzubereitung, Metallverarbeitung, Fischerei usw.).
KooperationspartnerInnen
Entscheidend für den Erfolg des Projektes ist die Kooperation mit dem Bundesdenkmalamt und den ausführenden Grabungsfirmen. In den letzten Jahren ist es bereits gelungen, in Kooperation mit Grabungsfirmen zahlreiche Proben aus eisenzeitlichen Siedlungen in Ostösterreich (z.B. hallstattzeitliche Siedlung in Hollabrunn, frühlatènezeitliche Siedlungen in Perchtoldsdorf, Prellenkirchen, mittel- bis spätlatènezeitliche Siedlungen in Zendorf, Wullersdorf, Aspersdorf, Sarasdorf) und in Tirol (spätbronze- und eisenzeitliches Werkareal in Kundl) zu gewinnen und aufzubereiten. Das Projekt „Lost or Found?“ trägt dazu bei, das Mikroarchäologische Labor am Institut für Archäologien der Universität Innsbruck als Anlaufstelle für Grabungsfirmen zu institutionalisieren und so eine interdisziplinäre Plattform für mikroarchäologische Analysen zu etablieren.
Projektpartner (alphabethisch nach Bundesländern; Stand: Jänner 2022):
- Mitterpullendorf (Burgenland), hallstattzeitliche Siedlung (Grabungsleitung: Maciej Karwowski)
- Pöttsching (Burgenland), frühneolithische und latènezeitliche Siedlung (Grabungsleitung: Kurt Fiebig)
- Gattendorf (Burgenland), hallstattzeitliche und latènezeitliche Siedlung (Grabungsleitung: Maciej Karwowski)
- Feistritz an der Drau (Kärnten), eisenzeitliche befestigte Siedlung (Grabungsleitung: Georg Tiefengraber, ISBE)
- Schwechat (Niederösterreich), frühneolithische und spätneolithische Siedlung (AGA Arbeitsgemeinschaft Geschichte und Archäologie OG; Grabungsleitung: Judith Schwarzäugl, Nikolaus Franz, Astrid Tögel)
- Oberndorf (Niederösterreich), bronzezeitliche Siedlung (ASINOE GmbH; Grabungsleitung: Katharina Adametz)
- Theiß (Niederösterreich), hallstattzeitliche und kaiserzeitliche Siedlung (ASINOE GmbH; Grabungsleitung: Judith Benedix)
- Großmugl (Niederösterreich), frühbronzezeitliche und hallstattzeitliche Siedlung (Novetus GmbH; Grabungsleitung: Dominik Bochatz)
- Ebreichsdorf (Niederösterreich), spätbronzezeitliche und latènezeitliche Siedlung (Novetus GmbH; Grabungsleitung: Michal Sip)
- Viehhofen (Salzburg), bronzezeitlicher Schmelzplatz (Universität Innsbruck; Grabungsleitung: Manuel Scherer-Windisch)
- Frauenberg bei Leibnitz (Steiermark), spätlatènezeitliche Siedlung (ASIST – Archäologisch-Soziale Initiative Steiermark; Grabungsleitung: Bernhard Schrettle, Helmut Vrabec)
- Rannersdorf (Steiermark), mittelneolithische Siedlung (ASIST – Archäologisch-Soziale Initiative Steiermark; Grabungsleitung: Bernhard Schrettle)
- Neumarkt (Steiermark), latènezeitliche Siedlung (Universalmuseum Joanneum; Grabungsleitung: Marko Mele)
- Langkampfen (Tirol), spätbronzezeitliche Siedlung (Firma Talpa GnbR, Grabungsleitung: Maria Bader, Roman Lamprecht)
- Wörgl (Tirol), spätbronzezeitliche Siedlung (Firma Talpa GnbR, Grabungsleitung: Maria Bader)
- Hohe Birga, Birgitz (Tirol), eisenzeitliche Siedlung (Universität Innsbruck; Grabungsleitung: Florian Müller)
- Rankweil (Vorarlberg), eisenzeitliche Siedlung (Firma Talpa GnbR, Grabungsleitung: Maria Bader)
- Tisis (Vorarlberg), neolithische Kulturschicht (Firma Ardis GmbH, Grabungsleitung: Carsten Wink)
Um die Stichprobe zu vervollständigen, suchen wir derzeit vor allem urgeschichtliche Proben aus den Bundesländern Kärnten, Oberösterreich und Salzburg sowie neolithische Proben aus Tirol und Vorarlberg.
Informationsmaterial
Kurzanleitung zur Probenentnahme
Publikationen
Peter Trebsche, Lost or Found? Ein Projekt zur Implementierung mikroarchäologischer Untersuchungen bei Rettungsgrabungen in Österreich. In: Franz Pieler/Elisabeth Nowotny (Hrsg.), Beiträge zum Tag der Niederösterreichischen Landesarchäologie 2021 (Asparn/Zaya 2021) 68–70.