Kurzer Filmführer
Historische Einstellungen –
Die Geschichte Ost-/Südosteuropas im Europäischen Film
Danton
Mittwoch, 20. Oktober 2021
Beginnzeit unter: www.leokino.at
Leokino (Anichstraße 36, 6020 Innsbruck)
Regie Andrzej Wajda, Frankreich 1983, 136 min.
Ce film […] dit que Danton, le juste sacrifié, incarnait Walesa, et Robespierre, tyran froid, Jaruzelski. Et la Terreur? On dit que Danton représentait l’Occident, et la défense d’un statu quo, et Robespierre l’Est, la propension à soumettre l’action à l’idéologie. Que Wajda s’était représenté lui-même dans le peintre David...
Jean-Luc Douin, Danton, le juste sacrifié, selon Wajda... LeMonde 12 février 2010
The course of the Revolution was shaped by a small group of extraordinary men, all young, who started out as idealists, then became comrades and close friends, godfathers to one another's children. Within four years, they had split into factions as mortal enemies. Men did not hesitate to send to the guillotine former boon companions, now branded as traitors to the fatherland […] Mr. Wajda presents us with a Danton who is the articulate conscience of the Revolution, someone, perhaps, not entirely unlike Lech Walesa, the popular spokesman of Poland's Solidarity movement. On the other hand, Robespierre is seen as being completely removed from the practical needs and real feelings of the people, a stern father-figure of a dictator, a man who doesn't hesitate to approve the murder of thousands of people for the fatherland's ultimate good.
Vincent Canby Wajda’s ‘Danton’, inside the French Revolution
The New York Times, Sep. 28. 1983
Danton, P / F / D 1983, Regie Andrzej Wajda, mit Gérard Depardieu (Danton) und Wojciech Pszoniak (Robespierre) in den Hauptrollen
„Eines Tages wird man die Wahrheit erkennen“…
1794 – vor knapp fünf Jahren setzte eine breite bürgerlich getriebene Revolutionsbewegung dem Ancien Régime Frankreichs mit dem Sturm auf die Bastille ein gewaltsames und für viele in Europa völlig überraschendes Ende – jetzt steht der Revolutionär George Danton selbst vor der Guillotine, verurteilt auf Betreiben seines früheren Mitstreiters Maximilian Robespierre. Das revolutionäre Geschehen tritt in eine nahezu unkontrollierbare Eigendynamik ein, Gerechtigkeit – so Robespierre – scheint nur mehr durch Schrecken zu erreichen und der Schrecken selbst gilt als Tugend.
Den Stoff rund um das Schicksal von G. Danton verarbeitet Georg Büchner 1835 zu einem Theaterstück und bezieht ihn dabei klar auf die eigene Situation: des nach der Restauration am Ende der Napoleonischen Kriege im Untergrund brodelnden ‚Deutschlands‘. Das Stück wie das Schicksal Dantons sind gewissermaßen zeitlos anwendbar auf Bewegungen, die radikale Änderungen herbeisehnen und dabei übersehen, dass sie selbst zur Ursache ebenso radikaler Reaktionen werden. Auch Danton gelangt zu dieser bitteren Erkenntnis: „Die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eigenen Kinder“ (G. B.: Danton / Ein Zimmer).
Der polnische Regisseur Andrzej Wajda greift diese Thematik, basierend auf einem Stück von Stanisława Przybyszewska, bewusst auf und dreht den Film teilweise in seiner Heimat Polen. Die Erinnerung an die Französische Revolution ist im sozialistischen Polen omnipräsent. Und doch, das Bild ist brüchig, die Erzählung lückenhaft. Wajdas Film erscheint im Jänner 1983, zwei Jahre nach der Verhängung des Kriegsrechtes in Polen und ein halbes Jahr vor dessen Aufhebung.
„Eines Tages wird man die Wahrheit erkennen […] Das ist die Diktatur; sie hat ihren Schleier zerrissen, sie trägt die Stirne hoch, sie schreitet über unsere Leichen.“ (G. B.: Danton / Das Revolutionstribunal). Es scheint, als ob die Worte Dantons über die Tore der Danziger Werft hinaus das Schicksal der ‚Robespierres‘ Polens neuerlich mit Gewissheit verkünden, ohne jedoch gehört zu werden.
Kurt Scharr (Universität Innsbruck)
Vergangene Termine:
Das Testament Lenins / Завещание Ленина
Mittwoch, 18. November 2020
18:30 Uhr
Stream
Regie Nikolai Dostal / Николай Досталь
9. Serie (von 12), Russland 2007
Untertitelung Mag.a Ksenia Scharr
Auf Basis der Erzählungen aus der Kolyma von Warlam Schalamow (1907-1982) sowie eines gebürtigen Innsbruckers – Peter Demant (1918-2006) – schildert Dostal‘ in seiner Serie (hier wird nur ein Teil gezeigt) die endlos grausamen Facetten eines absurden Alltages der stalinistischen Vernichtungsmaschinerie im Archipel GULag. Schalamow bezeichnete sich einmal als Künstler der Schaufel, mit seinem Werk zählt er zu den wichtigsten Zeugen des 20. Jahrhunderts.
Die drei großen Lagergebote: Glaube nicht – glaube niemand. Fürchte nicht – fürchte nichts und niemand. Bitte nicht – bitte niemanden um irgendetwas. Zähle auf nichts. Die schreckliche Redensart im Lager ‚Stirb du heute, und ich morgen‘.
W. Schalamow
Ţara Moartă – Die tote Nation
Mittwoch, 9. Dezember 2020
18:30 Uhr
Stream
Regie Radu Jude, Rumänien 2017, 83 min
in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte
Aufnahmen eines Fotostudios in der rumänischen Provinz auf dem Weg in den Faschismus bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Von hyperrealer Schärfe die einen, die anderen im Laufe der Zeit bis zur grafischen Abstraktion verwischt, zu Phantomen stechender Augenpaare und stolz präsentierter Preisbullen vergilbt und zerrissen. Hypnotische Bilderfolgen, die so viel erweisen, wie sie zu verbergen scheinen im Aufeinandertreffen mit den erschütternden Klartext-Sätzen aus der epochalen Schreckenschronik „Tagebuch aus den Zeiten der Verfolgung“ des jüdischen Arztes Emil Dorian.
nach Viennale
In Zusammenarbeit mit:
Universität Innsbruck, Frankreich-Schwerpunkt, Russlandzentrum – Русский центр, Doktoratskolleg Austrian Studies, Leokino