Ringvorlesung WiSe 2023/24
Geschlecht, Ethnizität, Kultur: Macht, Gewalt und Wissenschaft

Interdisziplinäre und interuniversitäre Ringvorlesung der
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Universität Innsbruck, Sigmund Freud PrivatUniversität Linz


'Theorie ist etwas, das man nicht sieht' – Queer-feministische Perspektiven auf Objektivität und Wissenschaft
Elisabeth Schäfer

 

Abstract:

Der Vortrag argumentiert aus queer-feministischer Perspektive, dass Objektivität in der Wissenschaft oft (noch immer) auf einer vermeintlichen Neutralität basiert, diese jedoch von sozialen Normen, Machtstrukturen und Herrschaftsverhältnissen geprägt ist, die nicht mitreflektiert werden. Queer-feministische Diskurse hingegen fordern die Reflexion und Dekonstruktion einer solchen vermeintlichen Neutralität ein und betonen die Bedeutung von Subjektivität, Pluralität und jenes Wissens, das durch singuläre Erfahrungen und marginalisierte Perspektiven entsteht.

Theoretische Bewegungen, zu denen auch die Queer Theory gehört, verbleiben jedoch, wie Hans Blumenberg mit dem titelgebenden Zitat – „Theorie ist etwas, das man nicht sieht“ – pointiert, oftmals auf der Ebene des Unsichtbaren. Theorie ist Vollzug. Theorie ist prozesshaft. In zweierlei Hinsicht trifft dies besonders auch auf Geschlechtertheorien zu: Übersehen werden die Virulenz ihrer unabdingbaren Existenz sowie die geschichtlichen und materiellen Bedingungen der Theoriebildung. Zum anderen verbleiben ungesehene Bereiche auch in den Geschlechtertheorie selbst. In Anlehnung an Blumenbergs Zitat widmet sich der Beitrag dem Aufspüren geschlechtertheoretischer Denkbewegungen und nimmt sich vor, dabei das un/sichtbare Theoriegebäude der Subjektivierungstheorien zu durchschreiten: Dabei wird insbesondere Paul B. Preciados Frage sowie der gleichnamige Vortrag „Can the Monster Speak?“, gehalten 2019 auf der Jahrestagung der École de la Cause Freudienne in Paris vor einigen 1000 Psychoanalytiker*innen, im Zentrum stehen und macht sich zur Aufgabe, das offenbar „Unerträgliche“ (der Vortrag wurde nie zu Ende gehalten, weil er bei den versammelten Psychoanalytiker*innen einen solchen Aufruhr verursachte, dass er abgebrochen werden musste) des Preciado’schen Textes herauszuarbeiten, das sich gleichsam jedoch auch auf der Ebene des Unsichtbaren der Theoriebildung vollzieht. Zugleich soll betont werden, dass Prozesse der Sichtbarmachung stets selbst auch kritischer Analysen bedürfen: Kippmomente von „Sichtbarmachung“ und „Ausstellen“ müssen dahingehend befragt werden, wie wir das „monstrare“ (lat. u.a. zeigen, weisen, bezeichnen, unterweisen, verordnen, bestimmen, vorschreiben, anklagen), das in Preciados Figur des „Monsters“ steckt, verstehen und wie wir damit umgehen. Nicht jedes Zeigen ist schon aktivistisch oder politisch.

Teil des Ganzen und zugleich kritischer Rand oder gar das ganz andere sein zu wollen, für diese Tätigkeiten, oder – um auf Blumenberg zurückzukommen, „Verrichtungen” – ist das ethisch wie ästhetisch sensible Sichtbarmachen und Thematisieren von Subjektivierungsmechanismen virulent, also die Weise, wie Menschen durch Machtverhältnisse einer bestimmten Gesellschaftsformation hervorgebracht werden. 

 

Zur Person:

Elisabeth Schäfer ist Philosoph*in und forscht zu den Bereichen: Dekonstruktion, Queer-Feministische Philosophie, Psychoanalytische Theorie, Körper, Gewalt und Traumata, Écriture feminine, Schreiben als widerständige Praxis sowie zu künstlerischen Positionen zum Climate Change. Elisabeth Schäfer unterrichtet seit 2010 u. a. am Institut für Philosophie der Universität Wien, sowie an anderen nationalen, wie internationalen Universitäten. Seit 2023 ist Elisabeth Schäfer Postdoc am Department für Psychotherapiewissenschaft der Sigmund Freud Privat Universität Linz. Website: https://elisabethschaefer.com

 


 

Zeit: Donnerstag, 16. November 2023, 17:30-19:00
Ort: Campus Innrain, Hörsaal 4 (EG)


MA Gender, Kultur und Sozialer Wandel, Wahlmodul 4, und Angebot für alle MA Studien, Interdisziplinäre Kompetenzen

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