Wir freuen uns, als Gäste unserer ersten Leserunde Joachim Leitner, Literaturredakteur bei der Tiroler Tageszeitung, sowie von der Universität Innsbruck Kurt Scharr (Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie) und Andrea Zink (Institut für Slawistik) begrüßen zu dürfen. Gemeinsam mit Yana Lyapova werden sie vier aktuelle Titel aus Osteuropa diskutieren.
Folgende Bücher werden besprochen:
"Fang den Hasen" von Lana Bastašić
(aus dem Bosnischen von Rebekka Zeinzinger, erschienen bei S. Fischer)
Nicht ohne Grund ziert ein Ferrante-Vergleich den deutschen Klappentext von Lana Bastašićs Debütroman, denn von weiblicher Freundschaft sowie der Macht des Erzählens handelt ihr Text allemal. Ein Roadtrip durch Bosnien und ein lange verschwiegener Konflikt zwischen den Protagonistinnen Lejla und Sara sorgen für Spannung beim Lesen und zeigen den kultur-historischen Riss, der sich seit den Jugoslawienkriegen durch das Land zieht, in einem gänzlich anderen Licht. Die starke Metaphorik des Textes und die bis zum Ende versteckte Doppelbödigkeit seiner Handlung liefern beeindruckende Szenen, die die Autorin Bastašić bereits jetzt auf die ersten Plätze der spannendsten jungen Stimmen Bosniens katapultiert haben.
"Tschefuren raus! oder Warum ich wieder mal zu Fuß in den zehnten Stock musste!" von Goran Vojnović
(aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof, erschienen bei Folio)
Wer sind diese Tschefuren und warum müssen sie raus? Der Protagonist des Romans, Marko Đorđić, ist zwar in Ljubljana geboren, seine Eltern kommen jedoch aus Bosnien und leben im Brennpunktviertel Fužine, was Marko automatisch zum Außenseiter und aus Sicht der slowenischen Mehrheitsgesellschaft zum Problemfall macht – ein Tschefur also. Die wütende Jugendsprache und ihre Kraftausdrücke, die Marko und seine drei Kumpels – Adi, Dejan und Aco – verwenden, spiegelt sowohl ihre Auflehnung gegen die unverhohlene Diskriminierung im Alltag als auch die ungeschminkte Lebensrealität der Ausgegrenzten wider. Ein äußerst wichtiges Buch, mit dem Goran Vojnović den Finger in eine lange versteckte Wunde der sonst so mustergültigen slowenischen Gesellschaft legt.
"Das Provisorium der Liebe" von Gabriela Adameşteanu
(aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme, erschienen beim Aufbau Verlag)
Wie haben Privatpersonen den Alltag in der Zeit vor der Machtübernahme Ceauşescus in Rumänien wirklich empfunden? Wie haben sie sich geliebt, und wie getrennt? Die Wahrheit wissen wohl nur Zeitzeugen, aber Gabriela Adameşteanu erzeugt mit ihrem Roman gekonnt die Illusion, man zähle selber dazu und habe das alles ebenfalls miterlebt. Mit einem guten Sinn für die Darstellung des Zeitgeistes sowie für die menschliche Unfähigkeit, außerhalb der Gegenwart zu funktionieren, beschreibt die Autorin eine Zeit, in der Menschen und Personalakten vollkommen austauschbar zu sein scheinen. Ein Liebesroman und ein Gesellschaftspanorama aus dem Bukarest der 70er Jahre zugleich, erzählt der Text von der Ohnmacht des Menschen im Strom der Geschichte und von seinem provisorischen Ausweg in einer unsicheren Zeit – der Liebe.
"Lebende Bilder" von Polina Barskova
(aus dem Russischen von Olga Radetzkaja, erschienen bei Suhrkamp)
"Lebende Bilder" ist ein ungewöhnlicher Erzählband, der Texte von unterschiedlicher Form und Thematik um ein prosaisches Sprachexperiment der Autorin zentriert. Bisher vor allem als lyrisches Wunderkind sowie als Literaturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt in der Leningrader Blockade bekannt, legt Polina Barskova mit "Lebende Bilder" nun ihr Prosadebüt vor. Ihr zentrales Werkzeug bei diesem Erstversuch ist die Sprache: lyrisch, und experimentierfreudig, liegt in ihr eine enorme Anziehungskraft, wobei durch eine eisigkalte Schönheit die Schrecken der Blockade und die tiefe Trauer über menschliche Verluste wirklich begreifbar werden.
Neben diesen vier Titeln werden die Diskussionsteilnehmer*innen noch jeweils kurz einen Überraschungstext vorstellen. Alle besprochenen und vorgestellten Titel werden beim Büchertisch unseres Kooperationspartners liber wiederin vor Ort erhältlich sein.
Moderation und Organisation: Yana Lyapova, Institut für Slawistik der Universität Innsbruck
Eine Veranstaltungsreihe des Russlandzentrums in Kooperation mit dem Institut für Slawistik und der Buchhandlung liber wiederin