Bei der aktuellen Betrachtung der Weltwirtschaft spricht der Chefvolkswirt von einer dreigeteilten Lage: während sich die Industrie mittlerweile sehr gut an das Virusgeschehen angepasst hat und sich auch der Einzelhandel von den Einbrüchen in den Lockdowns relativ schnell erholen konnte, sehen wir im Bereich der privaten Dienstleistungen nach wie vor einen starken Rückgang im Vergleich zum Niveau vor der Pandemie. Mit der Coronapandemie war – insbesondere in Zeiten des Lockdowns – auch eine Verringerung des Niveaus der Freizeit- und Konsumaktivitäten verbunden. Bereits im zweiten Halbjahr 2020 hat allerdings die Korrelation zwischen diesen Aktivitäten, Virusgeschehen und BIP abgenommen, wodurch erkennbar ist, dass sich viele wirtschaftliche Bereiche besser an die Pandemie angepasst haben.
Betrachtet man die Entwicklung des realen BIP sind starke Unterschiede zwischen den USA und dem Euroraum erkennbar. Dafür sind drei wesentliche Faktoren ausschlaggebend: die USA setzen nicht auf starke Lockdowns, es gibt einen schnelleren Fortschritt bei den Impfungen und Joe Biden setzt ein enormes staatliches Aufbauprogramm um. Dadurch kann in den USA voraussichtlich bereits 2021 ein Wirtschaftswachstum von knapp 5 % erreicht werden. Stellt man Österreich und Deutschland gegenüber, ist in Österreich ein stärkerer Einbruch des BIPs erkennbar, was aber vorrangig auf strukturelle Branchenunterschiede mit dem Schwerpunkt auf private Dienstleistungen, insbesondere im Tourismus, zurückzuführen ist.
Hinsichtlich der Zukunftsaussichten geht Herr Bruckbauer davon aus, dass bei einem konstanten Impftempo in Österreich im November 2021 Herdenimmunität erreicht werden kann, bei einem leichten Anstieg der Geschwindigkeit wäre dies bereits zum Ende des Sommers möglich. Der Chefvolkswirt hat zudem aufgezeigt, dass er davon ausgeht, dass das Virusgeschehen in Deutschland derzeit jenem in Österreich stark ähnelt, Österreich aber aufgrund der mehr als zehnmal so hohen Anzahl an Testungen mehr Fälle dokumentiert. Für diese Annahme sprechen auch die in Österreich konstant niedrigeren Todesfälle pro 100.000 Einwohner.
Herr Bruckbauer erläuterte in seinem Vortrag, dass der Euroraum deutlich weniger fiskalische Impulse setzt als die USA und betonte, dass hierin ein Risiko besteht, die Erholung dadurch zu verschleppen. Durch den Realzinseffekt können in Kombination mit einem realen Wirtschaftswachstum Staatsschulden in den kommenden Jahren jedoch schnell wieder reduziert werden. Der Chefvolkswirt betonte auch, dass sich seiner Ansicht nach das europäische Bankensystem derzeit in einer sehr schwierigen Lage befindet, welche von der Politik jedochnoch nicht vollständig wahrgenommen wird.
Derzeit sind knapp 900.000 Menschen in Österreich arbeitslos oder in Kurzarbeit, wobei von einer langsamen Erholung des Arbeitsmarkts erst 2022 ausgegangen werden kann. Zuletzt hat sich die Arbeitslosenquote insbesondere im besonders stark von der Pandemie betroffenen Bereich des Tourismus und der Gastronomie drastisch erhöht. Nach der Betrachtung des Arbeitsmarktes und einem kurzen Schwenk zum Finanzmarkt schloss Herr Bruckbauer seinen Vortrag mit möglichen Risiken der wirtschaftlichen Entwicklung. Dabei erwähnte er insbesondere die Impfskepsis der Bevölkerung sowie ein zu niedriges Impftempo in Österreich – vor allem im Vergleich zu den USA und Großbritannien. Da derzeit erst 3 % der Weltbevölkerung geimpft sind, ist es noch ein langer Weg bis wir wieder offene Touristenmärkte haben werden. Doch in einer Sache ist sich der Chefökonom sicher: Wie jede Pandemie bisher, wird auch die Coronapandemie ein Ende haben.