ANTWORT
von Univ.-Prof. Dr. Justus Piater
Fakultät für Mathematik, Informatik und Physik
„Digitalisierung“ ist ein breiter Begriff, und sie prägt praktisch alle Lebensbereiche wie Kommunikation, soziale Medien, Internet-Suchmaschinen, Online-Einkäufe, Streamingdienste, zunehmend von Mikroprozessoren gesteuerte Konsumgüter, tiefgreifende Veränderungen in den Wissenschaften, elektronische Verwaltungsabläufe, automatisierte Herstellungsprozesse, und vieles mehr.
NutzerdatenInternet-Dienstleister verdienen viel Geld mit der Analyse von Daten, die Menschen bewusst oder unbewusst im Netz hinterlassen, indem sie z.B. Links klicken, Kontakte pflegen, Artikel kaufen, oder Suchanfragen stellen. Dies gilt nicht nur für Facebook, Google, Amazon & Co., sondern ebenso für herkömmliche Dienstleister wie Banken und Versicherungen, die sich brennend für Details aus dem Leben ihrer Klienten interessieren, um beispielsweise ihre Risiken treffsicher abschätzen zu können.
Solche Interessen sind grundsätzlich legitim, aber es besteht auch ein hohes Missbrauchspotenzial. Daher müssen die Interessen der Datennutzer, der Bürger*innen, und des Staats sorgfältig miteinander abgewogen werden. Die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die im Mai 2018 in Kraft trat, ist weltweit ein Vorreiter in der Betonung der Hoheit von Personen über ihre Daten. Sie schreibt u.a. vor, dass Nutzer ihre über sie gespeicherten Daten einsehen und löschen lassen können, und dass sie automatisiert getroffene Entscheidungen anfechten können.
InformationBis vor wenigen Jahren informierten sich die Menschen vor allem über Tageszeitungen und Fernsehnachrichten. Dieser professionelle, unabhängige Journalismus hat die Kontrolle demokratischer Regierungen durch ihre Bürger*innen ermöglicht und politische Freiheit und Stabilität garantiert.
Heute verlassen sich die Menschen zunehmend auf das Internet als Informationsquelle. Neben sauber recherchierte Fakten und unabhängige Analysen gesellen sich dort jedoch agendagetriebene Propaganda-Kampagnen und unbelegte Meinungen. Viele Menschen konsumieren Nachrichten so, wie sie Facebook, Google und diverse Nachrichten-Apps für sie auswählen.
Menschen, die dadurch verstärkt Inhalte von Randgruppen zu sehen bekommen, werden dazu verleitet, ihren Wahrheitsgehalt und ihre Bedeutung zu überschätzen. Fakten verlieren an Überzeugungskraft; Meinungen dominieren zunehmend das Stimmungsbild. Überspitzt gesagt, stellen Facebook und Twitter eine extrem leistungsfähige Propaganda-Maschinerie dar. Dass z.B. Russland sie zu nutzen versteht, hat es u.a. in der jüngsten U.S.-Präsidentenwahl und in der britischen Volksabstimmung zum EU-Ausstieg bewiesen.
Dies ist ein Problem aller freien, demokratischen Gesellschaften, wie sie Europa auszeichnen. Demokratien sind darauf angewiesen, dass bei Wahlen die Vernunft siegt und dass Regierungen wirksam von ihren Bürger*innen kontrolliert werden. Beides erfordert unabhängigen, hochwertigen Journalismus als wichtigste, vertrauenswürdige und Vertrauen schaffende Informationsquelle.
Künstliche IntelligenzDieser Begriff bezeichnet von Daten lernende Systeme, die Muster in diesen Daten erkennen und daraufhin automatisiert Entscheidungen treffen. Während die Mustererkennung in den vergangenen Jahren bemerkenswerte Fortschritte erzielt hat, wird ihre - derzeitige oder in Kürze zu erwartende - Leistungsfähigkeit im Sinne allgemeiner Intelligenz weit überschätzt.
Dennoch müssen wir als Gesellschaft debattieren, wie viel Macht wir diesen Systemen zubilligen wollen. Während sich die bisherigen Vorreiter der künstlichen Intelligenz, vor allem in den USA und zunehmend in China, hauptsächlich ihrer Funktionalität widmen, gewinnt ein spezifisch europäisches Forschungsfeld an Kontur: Wie können wir künstliche Intelligenz entwickeln, der wir begründet vertrauen können, die erklären kann, auf welcher Grundlage ihre Entscheidungen beruhen, und deren Entscheidungsprozesse wir nachvollziehen können?
ArbeitsmarktDie Digitalisierung wird zweifellos den europäischen Arbeitsmarkt verändern. Ein massiver Verlust von Arbeitsplätzen ist in der vorhersehbaren Zukunft jedoch unwahrscheinlich. Solche Szenarien überschätzen jedoch die Fähigkeiten der künstlichen Intelligenz und beruhen auf der irrigen Annahme, dass die Menge der Arbeit konstant ist: Wenn Maschinen zunehmend menschliche Arbeit übernehmen, bleibt für letztere weniger übrig. Tatsächlich jedoch herrscht beispielsweise in Deutschland derzeit nahezu Vollbeschäftigung, und auch in Österreich ist die Arbeitslosenquote niedrig und zeigt keine Parallelen zur Automatisierung.
Die Arbeit wird sich jedoch inhaltlich weiter verändern. Manche Menschen werden dabei ihren Job verlieren; andere Jobs werden neu entstehen. Bildung und Flexibilität schaffen nach wie vor gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Umgekehrt bietet die Digitalisierung für Europa große Chancen, im globalen Wettbewerb zu bestehen. Ihre Förderung - verbunden mit geeigneten Maßnahmen zum Wohle der Bevölkerung - stellt eine wichtige Investition in die Zukunft Europas dar.