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Die neue Gemeinschaft

Was Schwager nun mit diesem letzen Akt andeutet, sind die Grundlagen einer neuen Gemeinschaft, die nicht mehr durch den Sündenbockmechanismus strukturiert ist und auf diese Weise den Teufelskreis von Lüge und Gewalt fortschreibt; vielmehr ist es eine Gemeinschaft, die in der geistgetragenen Erinnerung (memoria) an jenen gründet, der diesen Mechanismus in seinem eigenen Leben besiegt hat. Aus der Kraft dieser Erinnerung kann der prinzipiell überwundene Teufelskreis auch empirisch stückweise überwunden werden. Es ist die kirchliche Gemeinschaft. Zwar ist die empirische Kirche stark in die sakrale Welt verstrickt. Deswegen muß sie auch ihre friedensstiftende Rolle im Kontext der zweideutigen, auf Gewalt bauenden, aber gewalteindämmenden Institutionen wahrnehmen.(32) Diese haben aber nicht das letzte Wort. Schwager sucht die theologischen Momente in der Ekklesiologie zu benennen, die diesen Auseinandersetzungsprozeß um die gewaltfreien Strukturen sakramental fördern. Das wichtigste Element ist in der Struktur der Eucharistie zu sehen, die das genaue Gegenmodell der aus dem Sündenbockmechanismus entspringenden Gesellschaft darstellt. In der Eucharistiefeier versammeln sich die Menschen um den Ausgestoßenen. Die Memoria der Ausstoßung, das Schuldbekenntnis und die aus dem versöhnenden Handeln des ausgestoßenen und getöten Opfers entspringenden Impulse haben hier den gemeinschaftsstiftenden Charakter. So ist die eucharistische Gemeinschaft nicht eine jenseits des Teufelskreises von Lüge und Gewalt angesiedelte, sondern eine, die durch diesen hindurch möglich und wirklich wurde.(33) Sie bleibt auch dem ethischen Bemühen der Christen vorgeordnet, motiviert dieses und bleibt dessen kritisches Korrektiv.

Das Drama Jesu wird demnach weitergehen, es ist nicht nur ein lebenslänglicher, sondern auch ein weltgeschichtlicher Prozeß. Auch wenn es ihm durch die prinzipielle Zuordnung der verschiedenen Akte an Eindeutigkeit nicht mangelt, so bleibt es trotzdem von der apokalyptisch-dualistischen Klarheit unterschieden. Weder apokalyptischer Pessimismus noch der liberale Optimismus prägen Schwagers Weltbild. Auf den ersten Blick scheint seine Lösung nur eine Wiederholung einer anderen, seit Jahrhunderten bereits vorgegebenen zu sein. Auf die Frage nach der Zuordnung der erlösten zur geschichtlichen Wirklichkeit antwortete Augustinus mit seiner Unterscheidung zweier civitates. Civitas Dei und civitas diaboli, konstituiert durch die amor dei und die amor sui, sind nie voneinander getrennt und in der Geschichte immer ineinander verwoben. Bei aller Ähnlichkeit ist der entscheidende Unterschied nicht zu übersehen. Die augustinische Unterscheidung beider civitates bleibt dem Bereich des Prinzipiellen verpflichtet; im Kontext der konkreten geschichtlichen Wirklichkeit wirkt sie sich nicht aus. Im Gegenteil: Weil Augustinus seine Perspektive auf das zu erlösende Individuum fixiert, stellt für ihn die kultur-politische Zweideutigkeit kein theologisches Anliegen dar. Anders bei Schwager. Der Unterschied und die Beziehung zwischen der Basileia-Botschaft und dem Mechanismus von Lüge und Gewalt, wie sie im Leben und Geschick Jesu Christi zum Vorschein traten, müssen geschichtskonstituierend in allen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens bis hin in den Bereich der Tagespolitik bleiben. Gemäß dem Drama Jesu darf nämlich die Aufklärung über den Topos des Opfers weder als eine Rechtfertigung des Status quo, noch als Anstachelung zum mimetischen Wunsch, den Platz des Täters einzunehmen, verstanden werden. Die Aufklärung über das Opfer und seine Integration vollzog sich in diesem Drama über dessen gewaltsamen Tod und den von ihm selbst ausgegangenen Versöhnungsimpuls durch den Tod hindurch, einen Impuls, der die Bekehrung der Täter erst ermöglichte. Dieses versöhnende Handeln Jesu war aber möglich, weil er in seinem Leben und Sterben vom Gott der grenzenlosen Güte getragen und von diesem Gott auch auferweckt wurde. Ein solcher ­ für den wahren Frieden ­ konstitutiver Wert des Versöhnungshandelns, das vom getöteten Opfer ausgeht, ist als ein Wert anzusehen, der zwar über den Bereich von Recht und Unrecht hinausreicht, aber eine prinzipielle politische Bedeutung hat. Von solchem Versöhnungshandeln legt die Kirche Zeugnis ab.

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