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2.1 Offenbarung als göttliche Selbstmitteilung (Karl Rahner)

Rahners Theologie wurzelt in einer Gnadenerfahrung von Gott als einem unsagbaren, beglückenden Geheimnis. Diese Erfahrung kann mittels zweier spannungsvoller Aspekte näher umschrieben werden: einerseits ­ in einer Tendenz zu negativer Theologie ­ ist Gott gegenüber jeder Erfahrung und Beschreibung der je größere; anderseits ­ in einer Tendenz zu positiver, inkarnatorischer Theologie ­ ist Gott jener, der sich in allen Dingen finden läßt. Dabei gilt für beide Erfahrungsaspekte, daß Gott nicht als abstraktes Prinzip erschlossen, auch nicht als richtende und strafende Instanz wahrgenommen, sondern als liebende, begnadende und vergebende Gegenwart erfahren wird.

Man kann versuchen, Rahners Theologie als eine universale Hermeneutik der so beschriebenen Gotteserfahrung zu verstehen: als den Versuch, die überkommenen Vorstellungen von Welt, Mensch und Gott dermaßen zu korrigieren, daß jene Gotteserfahrung, die als unzweifelhaft wahrgenommen wurde, auch denkmöglich und ein Leben auf der Grundlage dieser Erfahrung vernünftig und kommunikabel ist.

Vor diesem Hintergrund stellt Rahner die transzendentale Frage nach den Bedingungen für die Möglichkeit einer offenbarenden Selbstmitteilung des liebenden Gottes. Selbstmitteilung besagt hierbei, daß Gott nicht einzelne Wissensinhalte über sich und über die Welt offenbart, sondern sich selbst in seiner unausschöpfbaren Fülle, welche die Gesamtheit seiner Schöpfung mitumfaßt. Mit einem solchen Offenbarungsverständnis ändert sich auch das Verständnis des Glaubens, d. h. der gesamtmenschlichen Rezeption der Offenbarung. Während eine Offenbarung von Einzelinhalten stets in eine vorgegebene Weltanschauung integriert werden kann, bedeutet Offenbarung als Selbstmitteilung, daß Gott sich dem Menschen als organisierende Mitte, sozusagen als ­ für sich unbegreifbares ­ Referenzzentrum für sein Handeln und Begreifen anbietet, von dem her die Gesamtheit seiner Erfahrungen neu integriert werden kann.(11) Zugleich kann ausgehend von diesem Zentrum eine erfahrungszentrierte, systematische Reformulierung der traditionellen Theologie unternommen werden, wie Rahner es versucht hat.

Dieses Referenzzentrum ist geschichtlich erschienen in Jesus Christus als dem Ort des vollständigen Einbruchs göttlicher Selbstmitteilung in die menschliche Welt. Christus ist nicht trotz seiner Göttlichkeit auch Mensch, sondern wegen seiner absoluten Gottesbeziehung der Mensch schlechthin, auf ursprünglichere Weise als alle anderen Menschen. Daß für Rahner Anthropologie und Christologie zusammenfallen, bedeutet deshalb keine anthropologische Verkürzung der Theologie, sondern vielmehr umgekehrt eine christologische Revision und Überbietung der Anthropologie. Vom Idealbild Jesu Christi her kann und muß das Wesen des Menschen auf ganz neue Weise verstanden werden.(12)

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