Der Atem der Stille
Giancarla Frares Zuneigung zu Trakl
Carlo Carli zur Eröffnung von Giancarla Frare "Gewaltig ist das Schweigen im Stein"
Der Bilderzyklus Le condizioni del volo (Flugbedingungen), den Giancarla FRARE durch Überlegungen zur Dichtung von Georg Trakl konzipiert hat, spielt eine bedeutende Rolle in dem sehr kohärenten Werdegang der Malerin. Sie beschäftigte sich damit fast ein Jahrzehnt lang, von 1979 bis 1987. Ohne die ganze Tätigkeit der Künstlerin vollkommen zu beanspruchen, hatte doch diese ständige Recherche in dieser Zeit absoluten Vorrang.
Am Ende der Siebzigerjahre in Italien war ein solches Interesse für Trakl nicht so selbstverständlich wie es heutzutage der Fall wäre. Im Jahre 1979 erschien im Verlagshaus Einaudi die "Collezione di Poesia", die gelungene Übersetzung von Ida Porena. Damit wurden die Werke des Salzburger Dichters in Italien bekannt. Giancarla Frare näherte sich Trakls Werken nach langer Beschäftigung mit der deutschen Dichtung um die Jahrhundertwende (Symbolismus und Expressionismus), vor allem mit Hugo von HofmannsthaI.
Der Zyklus „Le condizioni deI volo“ besteht aus 25 grossen Blättern, ausgeführt in schwarz-weiß mit Tusche auf Papier. Eine Ausnahme bildet das letzte Werk, in welchem die Epiphanie des Roten die anderen strengen Kompositionen mit einem Zeichen des erlebten Dramas, der Zerrissenheit, des Blutes bereichert. Alle Werke sind im Format 70xl00, sodass sie eine ideale Folge bilden, als wären sie Fotogramme eines Filmes.
En passant bleibt noch daran zu erinnern, wie dem ständig wachsenden Wert dieses Zyklus im künstlerischen Werdegang von G. Frare relevante öffentliche Anerkennung entsprach: der Sieg im Wettbewerb 1981 ( Stiftung Bevilacqua La Masa), die Aufnahme einiger Blätter in die permanente Sammlung der venezianischen Institution, so wie die Einzelausstellung, die zwei Jahre später in Ca' Pesaro stattfand.
Was die technische Ausführung betrifft, zeigen die Werke Frares ein stetiges Weiterschreiten. Sie sind Zeugen eines minutiösen, kontrollierten Eingriffs der Feder, auch dort, wo man beim ersten Blick den schnellen Synthetismus eines Pinselstriches erahnen möchte.
Mit dieser durch Trakl inspirierten Suite wird man in eine malerische Ausdrucksart einbezogen, die ausgedürrt und essentiell ist, als ob man Mineralienresten nach einem Brand gegenüber stehen würde, aus welchen jede klare figurale Vorstellung verbannt ist. Eventuell könnte das erste Werk einen Vogel erahnen lassen, der doch nur durch ein Federnbüschel erkennbar ist. Es handelt sich um Malerei in absolutem Stillstand, außerhalb von Raum und Zeit, für den Beobachter vollkommen fremd und trostlos, nicht entgegenkommend, als wäre sie in eine existentielle Felsspalte aufgesogen, vielleicht und gerade deswegen von der Künstlerin als eine unwiderrufliche Ausdrucksmöglichkeit empfunden.
Es handelt sich um Kunstwerke, in denen der Stein als Substanz und Sinn des Seins, des Immerwährenden, steht gegenüber der unvermeidlichen Vergänglichkeit des Ganzen. Der Stein ist unbeweglich an seiner Stelle, unveränderlich in seiner strengen Struktur, der Garant einer tektonischen Ordnung. Er wird aber auch als Form mit geometrischen Elementen vernommen, Elemente, die im Raum kreisen und einen perspektivischen Wert erhalten können, als ob sie mysteriöse und metaphorische Steinschachteln wären. Zu diesem Zeitpunkt, obwohl die Gefahr besteht, die Grenzen der Kunstkritik zu überschreiten und in die Literatur einzudringen, darf man sich die Frage stellen, welches die Berührungspunke zwischen der Lyrik Trakls und diesem Zyklus von G. Frare sind. Es sind mehrere Berührungspunkte, die zwischen Trakls Versen und den grossen Blättern von Frare bestehen.
Da ist der eher strenge, manchmal sogar trübe Inhalt, die vorwiegende Angst vor dem Hinwelken der Dinge, eine im eigenen Ich versteinerte Situation, ein unabwendbares und unerlösbares Schicksal der Auflösung, das sowohl Klage als auch Trost und Hoffnung nicht zulässt. Weitere Elemente sind die hervorragende Rolle der Nacht, die Stille ("eine absolute Stille, als ob die Zeit nicht wäre"), so wie die Wurzel oder der Stein ("ich bin von seiner Körperlichkeit fasziniert, weil sie überlebt und nicht vergeht") und wenn man will – mit einer gewaltigen Umwälzung – der Flug der Vögel, als Metapher fur einen Fluchtweg, fur Bedingung einer Befreiung, die in Trakls Poesie bereits für die Menschheit ausgeschlossen ist.
Mir scheint es, dass in dieser Hinsicht die Federn, denen man in den Blättern von Giancarla Frare öfters begegnet, eine Deutung beinhalten, die sehr bezeichnend ist. Sie werden ihres Inhalts und Sinnes beraubt oder durch Überbelastung vernichtet, wenn nicht sogar um ihre natürliche Leichtigkeit gebracht.
Zusätzlich zu dem Zyklus Le condizioni del volo (Flugbedingungen), werden in dieser dritten Etappe der Ausstellung in Österreich weitere lO Werke gezeigt, die Giancarla Frare im letzten Jahr geschaffen hat. Der Grund dafür ist der folgende: diese Erweiterung erlaubt dem Besucher einen Überblick über die aktuellen Richtungen in der Arbeit der Künstlerin. Der Trakl gewidmete Zyklus geht auf 20 Jahre zurück, die Bereicherung der Ausstellung erlaubt deswegen vor allem die Kontinuitätselemente im Schaffen Frares festzustellen, vor allem zwischen dem heutigen Werk und jenen intellektuellen Stimulationen, die für die Reihe Le condizioni del volo wichtig waren.
Was die Technik betrifft, handelt es sich um Arbeiten auf Papier. In diesen neuen Werken erkennt man den Gebrauch von Erdpigmenten, die oft durch Eitempera fixiert werden. Die ernste Monochromie der Tusche wird durch aufeinenderliegende Lasierungen farbig bereichert. Wie früher bildet der Stein das Sinnbild der Künstlerin, es handelt sich dabei aber nicht um Natursteine, sondern eher um architektonische Steine, die abgewetzt und abgenutzt sind und gerade deswegen Zeugnis von Erlebtem sind. Öfters werden diese Werke von der Künstlerin mit inserierten Photos ergänzt. Bei einer näheren Betrachtung kann man in diesen letzten Werken eine Art Besänftigung der Lebensauffassung erkennen, wenn man sie mit den Blättern der Reihe Le condizioni del volo vergleicht: Trakls Flugversuch scheitert; es gelingt ihm nicht seinem Schicksal zu entgehen, das er schmerzvoll wie einen Kerker empfindet. In den letzten Blättern der Künstlerin wird auf etwas außerhalb hingedeutet (sinnbildlich ist das ständige Fehlen der Bedeckung bei einigen der dargestellten Räumlichkeiten, die wie wahre Behälter aus Stein aussehen). Der Betrachter wird die Anwesenheit des Menschen vermissen; die immerwährende Lage scheint die ständige Erwartung eines Ereignisses oder eines Menschen zu sein.