Zur Ausstellung
Michael Klingler
Erdfarbe
im Kunstgang der Theologischen Fakultät
am 16.03.2007
Michael Klingler goutiert das kunstvolle Drechseln von vielen
Worten um seine Person und vor allem um seine Kunst gar nicht,
daher haben wir zu seiner Beruhigung nur eine Rede auf der
Einladung angekündigt. Und gegen die jetzt beginnende – ganz
spontane Rede – kann er sich ja nur mehr schlecht zur Wehr
setzen. Aber man – oder er – möge auch mich verstehen.
Es ist einfach zu verlockend, den heutigen Tag im Leben eines langjährigen Kollegen und Freundes ein wenig zu kommentieren. Die Griechen zögerten nicht, dazu das Wort vom kairoV, dem geglückten und gelungenen Augenblick, in den Mund zu nehmen. Drei Fäden weben die Moiren, die Schicksalsgöttinnen, da zusammen.
Da ist einmal die Eröffnung dieser Ausstellung. Im dalmatinischen Städtchen Trogir ist Kairos dargestellt als geflügeltes Bürschchen mit Haarschopf, an den man bekanntlich den glücklichen Moment zu fassen versuchen muß, ehe er entschwindet. Er ist offenbar ein kleiner Himmelsbote, denn dort im Himmel wohnt nach gemeinhinniger Meinung nicht nur in der heidnischen Antike, sondern auch in diesen Hallen das Glück. In der philologisch-historischen Gerüchteküche hält sich allerdings hartnäckig die Fama, dass Kairos eine Liaison mit vegetativ-chtonischen Schichten gehabt hätte. Damit wären wir nun doch flugs bei der Erdfarbe des Künstlers. Und nun macht es auch Sinn, wenn diese durch die Klänge der himmlischen Harfe, ähnlich der Lyra wohl ein Instrument des Apoll und der Musen, begleitet wird.
Die Erdfarbe ist vor allem die Farbe der von Michael Klingler so geliebten griechischen Erde. Sie wurde sein Malgrund und sie schimmert überall, auch in den im garstigen Norden oder im bäuerlichen Atelier in Hötting entstanden Bildern hindurch. Sie steht für die Kraft der Erde und für das sich stets erneuernde Leben. Seinem Malen geht ein starker emotionaler Impuls voraus, ausgelöst von einem Gedanken, von einem Eindruck in der Natur, in der er sich gerne bewegt und befreit bewegt – abseits von der Stadtkultur, die er – so hat zumindest ein unbeteiligter Beobachter wie ich den Eindruck – stets mißtrauisch beäugt. Sie ist ihm allenfalls Ladestation seiner kreativen Batterie mit Literatur, Kunst, darunter der Film. Aber schon hüte ich mich vor zu vielen Worten, Michael Klingler will nicht in ein Schema gepresst werden und – und das sage ich nun mit weniger Vorsicht und weiß mich auf festerer Erde – er will auch mit seiner Kunst niemanden ein vorfabriziertes Weltbild aufzwingen. Im Dialog mit der Leinwand, im Wachsen des Bildes mit und unter seinen Händen, entsteht etwas für den Betrachter Offenes, Mehrdeutiges, im besten Sinne Un-fertiges, das ihm Raum lassen muß für das eigene Erleben. So wie er in der Einladung formuliert hat: «Auf Deine Art musst Du die Bilder erleben nicht auf meine. Verstehst Du durch sie etwas, dann Dich selbst.»
Der zweite Schicksalsstrang, an dem seine Moiren weben, ist der berufliche. Seit 1974 arbeitet Michael Klingler in der Papierrestaurierung des Museums Ferdinandeum und tritt in wenigen Wochen seinen Ruhestand an. Es ist ein Beruf, der ihm viel Spaß und Freude gemacht hat und gerne erzählt er – die Normallebensgeschwindigkeit der Zeitgenossen außer Kraft setzend – ausschweifend und kautzig über Urkunden und Embleme, über das Flechtwerk von Siegelkordeln, mit leuchtenden Augen über manch eine erotische Trouvaille. Aber er hat auch häufig geseufzt, wenn er in den inneren Spiegel geschaut und darin Sisyphus gesehen hat. Immer wenn Bücher und Graphiken unter seinen Händen und denen seiner Mitarbeiter wieder zu Perlen geworden sind, setzt am Tag der Fertigstellung wieder der Verfall ein – manchmal scheinbar boshaft beschleunigt durch eine Nutzung, die dem Restaurator nie schonend genug sein kann. Vielleicht ist das das Geheimnis des kahlgeschorenen Hinterkopfs des Kairos. Man kann seinen Schopf noch so schön pflegen, auf die Dauer festhalten lässt er sich eben nicht.
Aber seine Unverdrossenheit in der liebevollen Pflege dessen, was andere Künstler und Poeten hinterlassen haben, macht es mir leicht, als Vorstandsmitglied des Museums Ferdinandeum mich hier in diesem feierlichen Rahmen im Namen des Sammlungseigentümers und jahrzehntelangen Arbeitgebers ganz herzlich für diese Arbeit zu bedanken. Dies nicht nur, damit er meine gedrechselten Worte leichter erduldet, sondern es soll damit auch öffentlich klargestellt werden, wie fundamental das Bewahren und Pflegen für jedes museale Sammeln ist. Es ist ein Bewahren und Pflegen des kulturellen Gedächtnisses einer europäischen Region und wir legen grössten Wert darauf, dass dieses Tun auch weiter nicht am Rande, sondern im Zentrum unserer Sammlungen bleibt.
Der dritte Strang, nein jetzt muß ich anders formulieren: das dritte Kardeel der zu flechtenden Schicksalsleine, ist ein besonders originelles. Michael Klingler hat Ende der 80ger Jahre, spät in seinem Leben, dafür umso heftiger, die Liebe zur Seefahrt entdeckt und er hat vor fünf Jahren begonnen, sich einen Lebenstraum zu erfüllen, den Traum vom eigenen Schiff. Die Lachesis, jene Moira, die den Lebensfaden heftig zwirbelt und verwickelt, hat ihm dabei einige Knoten hineingedreht. Akkurat als ein mächtiger Kran den leeren Schiffsrumpf – Ausbauschale nennt man so etwas glücksverheißend im Fachjargon – auf eine grüne Wiese in Kramsach setzte, lag Klingler mit einem Herzinfarkt in der Intensivstation. Aber zu seinen Eigenschaften gehört auch, dass er mit trotziger Zähigkeit einen eingeschlagenen Weg zu Ende geht – der unbeteiligte Beobachter meinte dazu: koste es, was es wolle! Das ist durchaus wörtlich zu nehmen! Mit unglaublicher Mühe, dem Einsatz von Lebenszeit, Kraft und Geld, hat der Künstlerseemann die Knoten zerschlagen und vor wenigen Wochen die letzte Schraube – vielleicht am Wasserabscheider des Dieselzulaufs zum Motor– festgedreht. Nun steht seine fou-fou, was man auch übersetzen könnte mit: ein bißchen verrückt, wie eine Perle auf der Wiese, Keilrahmen, Leinwandrolle, Aquarellpapier sind im kleinen Schiffsatelier verstaut, und sie wird in einer Woche die Reise zum Salzwasser antreten.
Am Ende seines beruflichen Lebens steht daher heute kein Rückblick, keine Retrospektive, sondern ein in die Zukunft eines neuen Lebensabschnittes weisender Impuls, selbst wieder in die Erd- und nun neu auch: Wasserfarben (das ist wörtlich zu nehmen, weil sich Klingler in Zukunft neben dem Öl auch vermehrt dem Aquarell widmen möchte) einzutauchen. Bleibt uns hier nur, sehnsüchtig, diesem „ein bißchen verrückten“ Künstlerleben nachzusinnen, das sich mit geblähten Segeln auf Südkurs begibt und darüber zu grübeln, was es denn eigentlich antreibt. Vielleicht der Geist dieser vier Zeilen von Euripides, mit denen ich zugleich als Motto des Abends uns allen viel Freude wünsche und die letzten Harfenklänge damit einleite:
„Allzeit will ich zu holdem Vereine
Chariten laden und Musen:
ohne die Kunst kein Leben,
immer kränze mein Haupt der Efeu.“