Zur Ausstellung
Zita Oberwalder
07. November 2014
Christoph Ransmayr lässt die Hautpfigur in seinem Roman Die letzte Welt, Cotta, in Tomis, dem Verbannungsort von Publius Ovidius Naso am Schwarzen Meer, nach dem Dichter suchen. Er findet ihn nicht. Aber er erlebt auf allen Ebenen – psychischen wie physischen – Verwandlungen, jene Metamorphosen, die Ovid in seinem Hauptwerk beschreibt.
Die Verbannung Ovids im Jahr 8 nC ist schon deshalb eine so anregende Sache, weil sie historisch unklar ist. Es könnte auch sein, dass die tristen Berichte über das Ausgestoßensein eine kluge Vermarktungsstrategie des Dichters waren. Mit dieser Unschärfe spielt Ransmayrs Roman, indem dem suchenden Cotta nach langer und Übelkeit erregender Seefahrt eine mimetische Abbildung der Stadt durch die ständigen prozesshaften Verwandlungen verloren geht. Der Bericht über eine Stadt wird so unversehens zu einem Bericht über Verwandlungen und Zwischenräume.
Künden will ich, wie sich Gestalten in andere Körper wandelten.
Dieser Satz, mit dem Ovid seine Metamorphosen anheben lässt, fasst nicht nur einleitend seine Absichten zusammen, sondern könnte als Programm der Ambition einer Künstlerin im Allgemeinen und der Absicht der Fotografin Zita Oberwalder im Besonderen stehen:
Künden will ich, wie sich Gestalten in andere Körper wandelten.
Zita Oberwalder setzt ihr fotografisches Gerät nicht ein, um eine mimetische Abbildung der Realität festzumachen und weiterzureichen, sondern um Verwandlungen zu zeigen – transitions – und die in solchen Verwandlungen sich öffnenden Zwischenräume.
Oberwalder stieß auf Ovid über die Exilgefühle, die sie selbst auf ihren vielen Reisen begleiteten. Sie verstand das Leid des Ausgegrenzten, das er in den Tristitien zu Papier brachte, und sie begann mit einem Ovid-Projekt, auf seinen Spuren zu forschen. Diese Spurensuche im Exil erinnert an das Schicksal des von Ovid beschriebenen Phaeton, der sein geliehenes Gefährt, den Sonnenwagen, nicht beherrscht und das Aus-dem-Gleichgewicht-Geraten mit dem Leben bezahlt. Den Pappeln an den Wegrändern im Süden, die einst Phaetons Schwestern waren, sind die Tränen über den Verlust eingeschrieben.
In dieser Dramatik sieht unsere Künstlerin nur einen Extremfall der Abschweifungen, ihr geht es aber darum, den spröden Charme der Räume des Dazwischen, das vielbeschworene Niemandsland, in dem Übergänge stattfinden, fruchtbar zu machen. Dieser Raum wird ihr zum Phantasieort der Sehnsucht, der erst im Kopf oder in der Dunkelkammer, die zu der bewusst analogen Fotografie der Künstlerin gehört, seine Bilder findet.
Es gibt in dieser Ausstellung nur ein Bild, das ein konkretes Ziel darstellt, zu dem die Künstlerin hin wollte: ein Wald in den Abruzzen mit einem uralten Buchenbestand. Alle anderen Bilder zeigen die Zwischenräume, die Abweichungen der Phantasie auf der Reise dorthin.
Oberwalder dokumentiert diese Räume mit bildlichen Mitteln, so wie Ransmayr mit literarischen. Ut pictura poesis.
Der von Plutarch dem Dichter Simonides aus Keos zugeschriebene Spruch, der die Literatur als durch Worte erzeugtes Bild und die Malerei als Texterzählung deutet, trifft besonders schön auf die eindringlichen Bilder der Metamorphosen zu, von denen viele zu Kalauern des Bildungsbürgertums geworden sind.
Er trifft auch auf die heutige Ausstellung zu, die wie ein geöffnetes Buch vor uns liegt – auf der einen Seite die Bilddokumente, auf der anderen die Textdokumente.
Dieses ut pictura poesis wird in der Inszenierung der Künstlerin ein Gewebe gegenseitig verweisender Texte, Erzählungen vom Leben, welche Oberwalder sozusagen nur mehr arrangiert. Die Ausstellung fügt sich damit nicht nur wunderbar in das von Ursula Groser und Patrick Bonato entworfene Rhizom-Sujet dieser Premierentage, sondern sie wandelt auf den Spuren Ovids, dessen Texte und Bilder stets auf andere Texte verweisen. Hier verliert sich jede Mimesis zugunsten neuer Vernetzungen.
Und sie fügt sich in diesen Gang, besser sollte ich sagen: Der Gang selbst wird Teil dieser Ausstellung und zur Metapher eines Abschreitens, das Zwischenorten Raum geben soll.
Wenn die Künstlerin davon künden will, wie sich Gestalten in andere Körper wandeln, ist das eine Einladung an die Betrachterinnen, durch dieses Buch hindurch zu gehen und der Phantasie und den Assoziationen freien Lauf und die Bilder des Lebens in ihrer Wandelbarkeit vorbeiziehen zu lassen.
Text: Bernhard Braun