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Über die Grenze des Todes geführt
(Eine Predigt auf dem Hintergrund der Texte: 2 Makk 7,1-14; Lk 20,27-38)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2004-11-08

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Es gibt kaum einen anderen Sonntag im Kirchenjahr, an dem ein Rollenspiel so viel Magenkrämpfe provozieren würde, wie der heutige - und dies schon bei der Entscheidung über die Wahl der Rollen. Wer von uns - liebe Schwestern und Brüder -, den treuen Kirchgängern, möchte schon die Rolle der makkabäischen Mutter übernehmen, oder wer die Rolle eines ihrer Söhne? Die Rolle einer Frau, die zusehen muss, wie ihre ganze Familie ausgelöscht wird. Eine tiefgläubige Frau, die davon überzeugt ist, dass Gott die Geschicke der Menschen in seiner Hand hält. Eine Frau, die es einfach nicht versteht, wie es dieser Gott zulassen kann, dass Gewalttäter, brutale Despoten, Zyniker sondergleichen die Oberhand gewinnen, Kulturen vernichten, den Glauben verfolgen. Eine Frau, die mit dem Schweigen Gottes konfrontiert wird, die von der Finsternis Gottes gebeugt und an die Grenzen des Todes geführt wird: ihres eigenen Todes und des Todes ihrer Kinder.

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Wer von uns möchte die Rolle eines der Söhne übernehmen? Jung, gesund, schön, voll von Plänen, vielleicht frisch verliebt. Noch gestern schien ihnen die Welt zu Füßen zu liegen: “Anything goes!” Und heute: “Rien n’va plus!” Nur noch die Entscheidung über Leben und Tod; Entscheidung zum fundamentalen Verrat: dem Verrat an sich selbst, an der Tradition der eigenen Familie, der eigenen Kultur und Religion, dem Verrat an Gott - damit aber auch die Entscheidung für das Überleben! Oder aber das Bekenntnis zur Treue - und damit die Entscheidung für das Sterben!

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Wer von uns möchte in einem solchen Dilemma stecken? Wer von uns möchte schon vor dem Henker stehen und das Los des Martyriums auf sich nehmen? - Ich jedenfalls nicht!

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Und die Rolle Jesu? Ich meine nicht die ganze Rolle....: von der Krippe bis Golgota. Nein, nur seine Rolle im Streit mit der Tempelaristokratie. Seien wir ehrlich! Nimmt man ihn beim Wort, schlüpft man in seine Rolle hinein, so wird man sich heutzutage dem Vorwurf des Fundamentalismus nicht entziehen können. Er glaubt ja an die Auferweckung! Der Geist unserer Zeit steht aber nicht unbedingt darauf. Abermillionen von Blumen und Kerzen, die in den letzten Tagen auf die Friedhöfe getragen wurden, sollen nicht darüber hinwegtäuschen: Unsere Kultur hat keinen Bock auf das Jenseits und schon gar nicht auf die leibliche Auferweckung der Toten. Warum soll sie ihn auch haben?

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Da gibt es zuerst die große Menge der glücklichen Konsumenten. “Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!” Die Spaßgesellschaft, die Partykultur, A-dabei-sein-Mentalität: All diese Lebensphilosophien nähren sich doch aus der Überzeugung, dass das Leben selbst die letzte Gelegenheit ist, etwas zu erleben. Es gibt ja ein Leben vor dem Tode! Carpe diem! - Ergreife die Chance des Tages! Konsumunfähig, impotent, ans Bett gefesselt wartet man dann auf das Ende, fügt sich in das unausweichliche Schicksal - oder beschleunigt dieses. Wozu soll man denn noch dahinvegetieren, wenn man nicht mehr konsumieren kann? Allergisch bekämpft diese Lebensphilosophie jegliche Jenseitsvorstellung, weil sie von den neurotischen Ängsten geplagt wird, dass man nach dem Tod zur Kasse gebeten wird, dass man die Zeche für das unbeschwerte Konsumieren bezahlen wird. Nein! Der Geist dieser Zeit hat keinen Bock auf die Auferweckung!

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Und die Kreise der Verantwortlichen? Die Kreise jener, die zwischen Gut und Böse zu unterscheiden wissen, die sich um ein ordentliches Leben bemühen, Verantwortung übernehmen, weil sie diese Welt auch ihren Enkeln in bewohnbarem Zustand überlassen wollen? Die sich mit oder auch ohne Gott für Gerechtigkeit, Frieden und für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen? Auch sie tun sich mit dem Glauben an die Auferweckung der Toten schwer. Die wenigsten von ihnen würden zwar dem großen deutschen Philosophen “nachplappern” und vom “Afterglauben” reden. So vulgär sind wir in unserer Zeit nicht mehr.

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Trotzdem: die Gebildeten, die Humanisten, die aufgeklärten Theologen, die kritischen Kirchenfunktionäre und das gläubige Volk, das die religionskritische Volkshochschule absolviert hat: Wir alle drängen den Glauben an die Auferweckung der Toten zumindest an den Rand unserer Lebensphilosophie. So paradox es auch klingen mag: Wir alle schlüpfen in die Rolle der Sadduzäer, der gebildeten Tempelaristokratie. Gottgläubig waren diese doch! Aber nur an dieser Welt und an den Geschäften dieser Zeit interessiert. Dass eben alles funktioniert: heute, morgen und wenn es geht auch immer. Durchaus mit Gottes Segen. Ewige Kirchenreform bloß um der Kirche willen! Wozu braucht man da noch die Auferweckung? Beschert uns die hiesige Welt nicht schon genügend Probleme?

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Mit einem Schuss von Humor, mit einer gesunden Prise von Zynismus führte diese intellektuelle Tempelaristokratie schon immer den Glauben an die Auferweckung ad absurdum. “Die Frau mit sieben Männern ... Um Gottes willen! Man stelle sich bloß die Szene modernisiert vor: bei unserer heutigen Scheidungspraxis. Und dann das Gedränge im Jenseits, das Essen und Trinken, von der Verdauung ganz zu schweigen - und von den Folgen der Verdauung.” Sehr schnell sind wir da in einer Sackgasse. Schnell haben wir das Ziel erreicht. Durch gekonnte Verlagerung des Schwerpunktes verschwinden die makkabäische Mutter und ihre sieben Söhne aus unserem Blickwinkel und mit ihnen auch ihre Hoffnung auf Gerechtigkeit. Durch die Entfachung brillanter Argumentationskriege an Nebenschauplätzen vergessen wir die Not der Märtyrer und verdrängen auch ihr Bekenntnis: “Gott wird die Toten auferwecken!”

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Der Konsens der liberalen Welt ist jedenfalls klar: Auferweckung der Toten sei eben etwas gestriges, etwas unaufgeklärtes, etwas, was der heutigen Tempelaristokratie jedenfalls unwürdig ist. Kurz und bündig: nicht modern genug! Und wer von uns vermag sich diesem Zeitgeist gänzlich zu entziehen? Und dies umso mehr - so würden die liberalen Medien aufheulen -, als die Fundamentalisten diesen Glauben lauthals bekennen, deswegen auch keine Probleme haben, Kriege zu führen - wie etwa Bush, oder sich selber in die Luft sprengen - wie die islamischen Terroristen. Nein! - liebe Schwestern und Brüder -, selbst diejenigen, die Verantwortung übernehmen, haben meistens keinen Bock auf die Auferweckung. Selbst dann, wenn sie sich auf Jesus berufen, schlüpfen sie dennoch in die Rolle der Sadduzäer.

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Eine regelrecht paradoxe Situation in dieser heutigen Liturgie also! Mir - dem gebildeten Theologen und Priester und - so schätze ich - nicht nur mir, dem Zeitgenossen, der wenn er ehrlich ist, sich zuerst am ehesten mit der Rolle eines Sadduzäers anfreunden könnte: weil er das Martyrium fürchtet, weil er gerne in der Gegenwart lebt, zwar kein Konsummonster ist, sich aber doch des Lebens erfreut, weil er auch mit der Vorstellung einer leiblichen Auferweckung von Milliarden von Menschen intellektuelle Probleme hat; mir - diesem Priester und Prediger - tritt Christus heute mit seinem klaren Bekenntnis zum Gott der Lebenden und nicht der Toten entgegen. Wird er mich überzeugen? So überraschend es ist, so ist es auch wahr. Das will er gar nicht. Anstatt der intellektuellen Überzeugung nimmt er mich mit in die Feier seines Lebens, seines Sterbens und seiner Auferweckung hinein...: in die Eucharistie. Er lässt mir also etwas widerfahren: etwas, das ich mir selber nicht unbedingt aussuchen würde. Und was ist das? Er lässt mich Anteil haben an seinem Leben, seinem Sterben und seiner Auferweckung, damit ich durch dieses Rollenspiel etwas lerne. Ja - liebe Schwestern und Brüder -, damit mich dieses Spiel verändert, immer neu verändert!

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Die “Mittelalterlichen” sprachen davon, dass die Eucharistie die Speise der Unsterblichkeit sei. Und sie hatten recht! Indem wir den sterbenden und auferweckten Christus feiern, indem wir Ihn immer wieder feiern, indem wir Ihn uns einverleiben, Ihn uns immer neu einverleiben, werden wir - selbst dann wenn uns nicht danach ist - immer neu über die Grenze des Todes geführt. Und wozu? Damit ich auch dann, wenn der Tod unausweichlich vor meiner Tür steht, zum Leben gelange: zusammen mit den makkabäischen Märtyrern. Und nicht nur mit ihnen.

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Es ist also gut, immer wieder die Eucharistie zu feiern und sich verwandeln zu lassen in der eigenen Skepsis bezüglich der Auferweckung. Es ist gut, die intellektuellen Schwierigkeiten in diese Feier des Mysteriums mit hineinzunehmen, auf dass ER selber meine Hoffnung stärke.

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