Karl Rahner (1904—1984) – ein theologisches Leben
Roman Siebenrock
Als P. Karl Rahner SJ am Ende seines Lebens in seiner Heimatstadt Freiburg von den Erfahrungen eines katholischen Theologen berichten sollte, beschrieb er seine Erfahrungen als die "eines Menschen, der beauftragt war, ein Theologe zu sein, aber nicht so recht weiß, ob er diesem Auftrag gerecht geworden ist". Diese ihn charakterisierende Selbstzurücknahme rühre nicht allein von der persönlichen Unzulänglichkeit her, sondern wisse vor allem um eine grundsätzliche Überforderung der Theologie, weil sie von der Unbegreiflichkeit Gottes und seinem liebend nahegekommenen Geheimnis sprechen müsse.
Kein geplantes, kein einfach selbstbestimmtes oder durch akademische Privatmotive angezieltes Leben für die katholische Theologie tritt uns in seiner theologischen Existenz entgegen. Eine biographische Grundorientierung ist rasch gegeben und fällt im wesentlichen mit den Stationen seiner Ordensexistenz und der daraus resultierenden theologisch-akademischen und kirchlichen Arbeit zusammen. Befähigt war er zu vielem, und seine Ausbildung hätte auch verschiedene Bestimmungen und Einsatzfelder ermöglicht.
Am 5. März 1904 wurde Karl Rahner in Freiburg im Breisgau geboren. Wie zuvor schon sein Bruder Hugo trat er in die Gesellschaft Jesu ein (1922). Nach der ordensüblichen Ausbildung (Noviziat 1922-1924; Philosophie 1924-1927; praktische Erfahrung als Erzieher 1927-1929; Theologiestudium 1929-1933; Priesterweihe 1932 und Tertiat 1933-1934) absolvierte er, weil er einmal Professor für Philosophiegeschichte werden sollte, ein philosophisches Spezialstudium in seiner Heimatstadt. Dort konnte er auch Martin Heidegger als Lehrer erleben (1934—1936). Vor Abschluß dieses Studiums wurde er von seinen Ordensoberen auf Theologie 'umbestimmt'. Aus diesem Grunde promovierte (1936) und habilitierte (1937) er sich in Innsbruck. Hier begann er auch seine Dozententätigkeit (1937/1938), die aber bald durch die Aufhebung der Theologischen Fakultät (1938) und das Gauverbot für Jesuiten (1939) durch die Nationalsozialisten abgebrochen wurde. 1939—1944 war er am Seelsorgeinstitut in Wien und in einer inoffiziellen theologischen Ausbildung im Orden tätig. Als Pfarrer in Niederbayern (1944/1945) erlebte er das Kriegsende. Als Professor (1945—1948 in Pullach bei München; 1948—1964 in Innsbruck; 1964—1967 in München als Nachfolger Romano Guardinis an der Philosophischen Fakultät; 1967—1971 in Münster wieder als Dogmatiker) trug er wesentlich zum Aufbruch der katholischen Theologie in diesem Jahrhundert bei. Als Konzilsberater von Kardinal König und dann als offizieller Konzilstheologe stellte er sich dem großen Ereignis der katholischen Kirche in diesem Jahrhundert, dem Zweiten Vatikanischen Konzil, zur Verfügung, für das er – ohne im geringsten an ein solches gedacht zu haben – wesentliche Perspektiven und Weichenstellungen zuvor miterarbeitet hat: in seinen "Schriften zur Theologie", in der Herausgabe der "Quaestiones disputatae" und vor allem in der zweiten Auflage des "Lexikons für Theologie und Kirche".
Die letzten Jahre seiner akademischen Tätigkeit und die Zeit seiner Emeritierung in München (1971—1981) waren erfüllt vom Ringen um eine zeitgemäße Rezeption des Konzils in Theologie und Kirche. 1981 kehrte er nach Innsbruck zurück, wo er kurz nach seinem 80. Geburtstag, am 30. März 1984, starb. Beigesetzt ist P. Karl Rahner SJ in der Krypta der Jesuitenkirche zu Innsbruck.
Die Dynamik, ja Dramatik seines Lebens resultiert aus den gesellschaftlichen und kirchlichen Umbrüchen seiner Lebenszeit, denen er sich vor allem als Dogmatikprofessor in Innsbruck mutig stellte und bis zu seinem Lebensende nie entzog: der Glaubensnot in der Diasporasituation der Christen, den Herausforderungen der Moderne in Technik, Naturwissenschaft, Pluralismus und ihrer Grundfrage nach der Bedeutung des menschlichen Subjekts, aber auch den innerchristlichen Fragen nach einer Ökumene der christlichen Konfessionen und dem Verhältnis des Christentums zu anderen Religionen und Weltanschauungen. Vor allem aber fragte er: Wie kann die Kirche überzeugend in Übereinstimmung mit ihrem Ursprung und in Kontinuität mit ihrer verpflichtenden Überlieferung ihre Botschaft von der Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus und im Heiligen Geist, der über alles Fleisch ausgegossen ist, einer säkular gewordenen, zunehmend agnostisch-pluralistisch sich verstehenden Welt als ihr Heil zusagen? Anstrengungen bis hinein in einen Strukturwandel der Kirche sind seiner Ansicht nach hierfür erforderlich. Fragen – fast zu viel für ein Leben; Perspektiven – (noch) zu kühn für seine und unsere Kirche? Er hat eine Wende zum Besseren in der katholischen Theologie bewirkt, die in seinem Geiste menschengemäßer und gottwürdiger sein kann. Die Zukunft wird zeigen, daß er dem christlichen Glauben und der sich heute schon abzeichnenden Weltkirche Türen ins nächste Jahrtausend geöffnet hat. Es liegt an uns, den Schritt zu wagen.