Internationales
INTRAWI unterwegs: Erfahrungsberichte
Mein Jahr in Frankreich: von Baguette und der Sprache Molières
Stefanie Riegler
Erasmus in Angers, Studienjahr 2018/19
05:30 Uhr morgens in München. Erschöpft und bepackt mit zwei großen Koffern stand ich mit meiner Familie am Bahnhof. Ich hatte mir für die Fahrt noch schnell ein mittelmäßiges Croissant beim einzigen Bäcker geholt, der um diese Uhrzeit schon geöffnet hatte. Bereits zum zweiten Mal trat ich die Reise in ein (mehr oder weniger) fernes Land an, um dort einen Erasmusaufenthalt zu absolvieren. Da mir mein Semester in Edinburgh, Schottland, anscheinend noch nicht gereicht hatte, sollte es diesmal nach Angers in Frankreich gehen. Der Zug fuhr ab, ich winkte zum Abschied, und als ich aus dem Fenster blickte, veränderten sich Landschaft, Ortstafeln, Architektur und Wetter Stunde um Stunde immer mehr, bis ich irgendwann anstatt vertrauter deutscher Gespräche („Entschuldigen Sie, das hier ist aber unser Sitzplatz!“) plötzlich umgeben war von einer neuen, fremden Geräuschkulisse („Bonjour Madame ! Votre billet, s’il vous plaît !“).
Obwohl ich nicht zum ersten Mal für längere Zeit außerhalb des mir nur allzu vertrauten Landes der Berge leben würde, hatte ich dennoch ein mulmiges Gefühl, als ich in Paris zum Regionalzug nach Angers hetzte („Sind ‚Bonjour‘, ‚Merci‘ und ‚Au Revoir‘ wirklich die einzigen Wörter, die ich nach meinem dreijährigen Bachelorstudium beherrsche?“). Französisch zu verstehen, das traute ich mir zu – doch ganze Gespräche in der Sprache Molières zu führen? Freunde zu finden? Unterrichtet zu werden? Das erschien mir dann doch etwas übertrieben. Umso mehr staunte ich, als ich innerhalb weniger Wochen bereits ein Bankkonto eröffnet, einen Vertrag im Fitnessstudio unterschrieben und französische Freunde gefunden hatte! Nun gut, zugegebenermaßen belegte ‚Oui‘ noch immer Platz eins der Hitliste meiner meistbenutzten französischen Wörter, doch das tat vorerst nichts zur Sache. Ich war endlich angekommen!
Innerhalb von neun spannenden, manchmal nervenaufreibenden, doch immer enorm bereichernden Monaten bereiste ich gemeinsam mit meiner inzwischen guten Freundin Patricia gefühlt ganz Frankreich: Paris, Bordeaux, Nantes und Lille – aber abseits des Hexagone auch Lissabon und Brüssel – waren nur einige der Destinationen, die wir an Wochenenden und während der Ferien bereisten. Mein Freundes- und Bekanntenkreis wuchs stetig, man begrüßte sich nun mit zwei Küsschen, witzelte im Slang über kulturelle Kuriositäten, konversierte bei einem Glas Coteaux du Layon über Weinregionen und die französische Präferenz für Korken und latschte abends mit einer köstlichen Baguette (Nein, Baguette ist in Österreich einfach nicht dasselbe!) zu Fuß nachhause. Irgendwann waren französische Gespräche von einem anstrengenden Drahtseilakt zu einem sprachlichen Walzer geworden: Ich musste meist nicht mehr viel nachdenken, ganz von allein schienen die Worte aus meinem Mund herauszutanzen.
Als ich nach zwei erstaunlich kurzen Semestern in Angers wieder in den Zug nach Paris und dann weiter nach München einstieg, schaute ich neuerlich aus dem Fenster – mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Und wieder veränderten sich allmählich Landschaft, Ortstafeln, Architektur und Wetter Stunde um Stunde vor meinem Blick. Als ich das erste deutsche Gespräch hörte („Annette, kuck mal, hier sitzen wir!“), horchte ich irritiert auf („Mais c’est quoi ça ?“). Nach mehrstündiger Fahrt stieg ich schließlich aus dem Zug und begrüßte freudig meine Familie, die ich trotz allem sehr vermisst hatte.
Zurück in Innsbruck kaufte ich mir ein paar Tage später eine Baguette in einer Bäckerei, „um der alten Zeiten willen“. In freudiger Erwartung des Wiederauflebens alter Erinnerungen biss ich hinein: „Oh là là, das soll ein Baguette sein?“, dachte ich mir nur – und da wusste ich: Frankreich hatte Spuren hinterlassen. Klitzekleine Baguettekrumen. Und obwohl ich Österreicherin bin, wird eine kleine Ecke meines Herzens immer auch ein bisschen français bleiben.
Text und Bilder: Stefanie Riegler
Bild 1 (oben): Ausflug zum Château de Chambord
Bild 2 (unten): Ein Picknick am Meer bei Sonnenuntergang in Pornic