Adler

Der Adler

Das ungeliebte Denkmal

Im Oktober 2010, kurz nach Beginn des Wintersemesters, rückten nicht die Studierenden ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Universität und der Innsbrucker Öffentlichkeit, sondern ein Vogel aus Kupfer. Überlebensgroß steht der Adler seit 1926 inmitten von vier Linden vor dem Hauptgebäude und soll eigentlich ein Gedenkort sein. Doch so einfach funktionieren Denkmäler und v. a. Kriegerdenkmäler im 21. Jahrhundert nicht – auch der Innsbrucker Adler löst längst nicht mehr Trauer um Gefallene aus (wenn er es denn überhaupt je hat), sondern Irritation, Unverständnis und Protest.

An diesem zweiten Oktoberwochenende 2010 unternahmen Unbekannte den Versuch, die Botschaft des Adlers umzudeuten – oder zumindest infrage zu stellen. In der Nacht wurde er mit rosaroter Farbe beschmiert. Dazu kam ein Transparent mit der Aufschrift „Zicke, Zacke, Hühnerkacke“. Weder die Hintergründe dieses Protests noch die Aktionistinnen bzw. Aktionisten wurden ermittelt. Der Adler wurde schnell gereinigt, hatte aber noch länger einen metallischen Rosaglanz.

Gegen den Adler wurde aber nicht nur dieses eine Mal protestiert. Beispielsweise wurde 1990 in der Inschrift das Wort „Vaterland“ durch „Mutterland“ übersprüht. Doch woher kommt die Aufregung um das kupferne Tier?

Die Symbolik des Adlers

Das Motiv des Denkmals erklärt sich einerseits durch das auf das Mittelalter zurückgehende Tiroler Landeswappen. Der Adler ist andererseits ein grundsätzlich sehr beliebtes Motiv bei Kriegerdenkmälern, da er Mut, Tapferkeit und Wehrhaftigkeit symbolisiert. Adler finden sich bei mehreren nach dem Ersten Weltkrieg in Österreich errichteten Kriegerdenkmälern. Nach 1918 war der Adler auch ein revanchistisches Symbol – dies zeigt sich auch deutlich beim Innsbrucker Adler vor dem Hauptgebäude der Universität.

Denkmalserrichtung und -einweihung

Die Aufstellung eines Kriegerdenkmals wurde 1925 beschlossen. Es sollte, so die Idee des damaligen Rektors Theodor Rittler, Professor für Strafrecht und Burschenschafter, nicht nur, wie an vielen deutschen Universitäten, an die gefallenen Universitätsangehörigen erinnern, sondern auch an den Verlust Südtirols. Ein eigens gegründeter Verein, dessen Schriftwart, den Historiker Harold Steinacker die Nationalsozialisten nach der Machtübernahme 1938 als Rektor einsetzten, kümmerte sich um die Finanzierung. Die Errichtung des Denkmals erfolgte unter der Leitung des in Innsbruck ansässigen Architekten Lois (Alois) Welzenbacher, der für die Arbeiten laut Vereinbarung mit der Universität nur Deutsche anstellen durfte; am 3. Juli 1926 wurde es von Rektor Egon Schweidler enthüllt.

Im Rahmen des Festaktes wurde die deutschnationale Gesinnung deutlich, die in diesem Denkmal symbolisch zum Ausdruck gebracht werden sollte. Rittler, nunmehr Prorektor, betonte in seiner Rede: „[F]ür Deutschlands Größe, Österreichs Ehre und die Einheit Tirols sind sie in den Kampf gezogen. Im Anblick des Adlers wollen wir uns der Kraft und Stärke unseres Volkstums getrösten und gläubig sprechen: Deutschland, Dein Reich komme!“

Auch die Inschrift auf dem Stein, auf dem der Adler steht, zeigt eindeutig die Ausrichtung: „Ehre – Freiheit – Vaterland“ ist der am meisten verbreitete Wahlspruch deutschnationaler Burschenschaften, die sich bald regelmäßig vor diesem versammelten. Damit ähnelt das Innsbrucker Denkmal in vielerlei Hinsicht dem Siegfrieds-Kopf, der 1923 in der Aula der Universität Wien aufgestellt wurde, den Heldentod symbolisierten sollte und in der Zweiten Republik ebenso umstritten war. Beide Denkmäler wurden in der NS-Zeit weiter symbolisch aufgeladen, indem bei ihnen Langemarck-Feiern veranstaltet wurden, im Zuge derer die deutsche Eroberung des belgischen Ortes Langemarck 1914 mythisch verklärt wurde.

Kritiken und Umdeutungsversuche

Nach 1945 entwickelte sich um solche Kriegerdenkmäler zunehmend Kritik. Nachdem der Innsbrucker Adler zunächst mittels Zusatztafeln auch den Gefallenen des Zweiten Weltkrieges gewidmet worden war, ohne jedoch seine grundlegende Botschaft zu ändern, erfolgte 1984 der erste Versuch einer Umdeutung bzw. Ergänzung: Auf Beschluss des Akademischen Senates wurde eine Gedenktafel angebracht, die an den kurzzeitig in Innsbruck inskribierten Medizinstudenten Christoph Probst erinnern soll, der in der Widerstandsgruppe Weiße Rose aktiv war und von den Nationalsozialisten 1943 zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.

Aufgrund eines Antrages des damaligen Leiters des Universitätsarchivs, Gerhard Oberkofler, beschloss der Senat im Jänner 1990 eine zweite Gedenktafel am Ehrenmal anzubringen. Diese erinnert an die Jesuitenpater Ignacio Ellacuría und Segundo Montes, die in Innsbruck studiert hatten und im November 1989 in San Salvador gemeinsam mit sechs anderen Menschen ermordet wurden.

Die nachfolgenden Protestaktionen zeigen jedoch deutlich, dass diese beiden Zusatztafeln keine (ausreichende) Umdeutung des Denkmals bewirkt haben. In den 2000er-Jahren forderten Studierende in einem Flugblatt, das Denkmal zu schleifen: „Ein düsterer Adler breitet bedrohlich seine Schwingen vor der Hauptuni aus. Er kam, um den Krieg zu verherrlichen und der Anschluss-Sehnsucht an Deutschland Ausdruck zu geben.“

Die Entfernung ungeliebter in Stein gemeißelter Botschaften ist freilich eine häufig angewandte Strategie. Eine andere Möglichkeit ist eine deutlich sichtbare Kontextualisierung des Denkmals, wie dies seit Herbst 2019 erfolgt ist; inwiefern diese geeignet ist, einen historisch-politischen Diskurs anzuregen, werden die kommenden Jahre zeigen.

(Andrea Brait)

 Das Hauptgebäude der Universität Innsbruck 1927

Credit: Universitätsarchiv (Beschriftung auf der Rückseite "Universität 1927")

 

Ina Friedmann/Dirk Rupnow, Die Universität im 20. Jahrhundert, in: Friedrich, Margret/Rupnow, Dirk (Hrsg.), Geschichte der Universität Innsbruck 1669–2019. Band I: Phasen der Universitätsgeschichte, Teilband 2, Innsbruck 2019.

Bernhard Natter, Die Universität und das Vaterlandsdenkmal, in: Gabriele Rath/Andrea Sommerauer/Martha Verdorfer (Hrsg.), Bozen – Innsbruck. Zeitgeschichtliche Stadtrundgänge, Wien-Bozen 2000, S. 129–133.

Helena Pereña, Ein Fall für die Geschichtsentsorgung? Lois Welzenbachers Universitätsdenkmal, in: Christoph Bertsch/Rosanna Dematté/Claudia Mark (Hrsg.), Kunst | Sammlung | Universität: Kunst in Tirol nach 1945, Band 3, Innsbruck-Wien 2014, S. 1235–1246.

Alexandra Vasak, Sichtbare Erinnerung. Der Umgang mit Denkmälern in Österreich, Frankfurt am Main u. a. 2004.

 

Andrea Brait ist Zeithistorikerin und Geschichtsdidaktikerin. Sie beschäftigt sich insbesondere mit der Vermittlung und Interpretation der Vergangenheit in der Gegenwart (u. a. in Museen).

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