Projekte
Projektleitung:
Ass. Prof. Mag. Dr. Barbara Hausmair
Barbara.Hausmair@uibk.ac.at
Innsbrucker Team:
Barbara Hausmair (PI, Historische Archäologie)
Ulrike Töchterle (Konservierung und Traceologie)
Peter Tropper (Geochemie und Archäometallurgie)
KooperationspartnerInnen:
Mauthausen Memorial (Yvonne Burger & Ralf Lechner)
Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim (Florian Schwanninger, Simone Loistl & Peter Eigelsberger)
Häftlingsmarken aus NS-Konzentrationslagern
„Der Raub des Eigennamens gehört zu den tiefgreifendsten Verstümmelungen des Selbst. Er dokumentiert das Ende der eigenen Lebensgeschichte. … Die Nummer bedeutete die Umwandlung des Individuums zum Massenmenschen, die Transformation der personalen Gesellschaft zur seriellen Gesellschaft der Namenlosen.“ (Sofsky 1993, 101)
In den nationalsozialistischen Konzentrationslagern war eine der verheerendsten Angriffe auf die Identität und das Menschsein der Opfer die Ersetzung des Namens durch eine Nummer. Die Nummernvergabe war Teil der Registrierungsprozedur in allen Konzentrationslagern, der die Deportierten nach oft tagelangen, katastrophalen Transporten ausgeliefert waren. In den Erinnerungen vieler Überlebender wird diese Erfahrung als ein erschütternder Akt der Identitätszerstörung und Verlust der Menschlichkeit beschrieben. Die Häftlingsnummern spielten eine entscheidende Rolle in der Verwaltung der KZs. In der Regel wurden sie auf die Kleidung der Häftlinge genäht oder im Extremfall Auschwitz sogar auf die Haut der Opfer tätowiert. Allerdings gibt es keine bekannten SS-Aufzeichnungen die erklären, warum in einigen Konzentrationslagern die Nummern zusätzlich auf Metallmarken ausgegeben wurden.
Erhaltene Artefakte aus verschiedenen Lagern (Abb. 1), Unterlagen nachkriegszeitlicher Exhumierungen (Abb. 2) und – wenn auch nur sehr wenige – Überlebendenberichte bezeugen aber deren Existenz und deuten an, dass diese Marken der zusätzlichen Kontrolle und Schikanierung der Inhaftierten dienten. Unter den derzeit bekannten Häftlingsmarken gibt es jedoch auch eine beachtliche Anzahl von Objekten, die eindeutig von Häftlingen handgefertigt wurden. Sie sind oft dekoriert mit Datumsangaben, Initialen und Verzierungen die darauf hinweisen, dass solche Objekte wichtige Mittel der Selbstbehauptung und des Überlebenswillens der Häftlinge waren.
Dieses Projekt baut auf einer ethnografischen Studie von M. Schütz (2013) und historisch-archäologischen Forschungen zu Häftlingsmarken aus dem Konzentrationslager Mauthausen von B. Hausmair (2018) auf. Es hat zum Ziel, die Materialität der Entmenschlichung, aber auch des Widerstands in den nationalsozialistischen Lagern umfassend zu erforschen, indem die Marken, ihre Objektbiografien, ihre Materialität und archäologischen Kontexte, ihr Bedeutungswandel in verschiedenen Phasen der nationalsozialistischen Herrschaft und in unterschiedlichen Lagern, sowie ihre Transformation zu Objekten der Identifikation und Erinnerung nach dem Ende des NS-Regimes untersucht werden.
Besonders interessieren uns die archäologischen Kontexte, aus denen solche Marken geborgen wurden, sowie die Materialeigenschaften verschiedener Marken, da diese mehr Informationen über die Funktion innerhalb der Lagerbürokratie (sowohl in spezifischen Lagern als auch im Konzentrationslagersystem insgesamt) liefern können, aber auch Einblicke in kreative Praktiken der Häftlinge und die Rolle der materiellen Kultur für den Erhalt des Selbstwertgefühls innerhalb des Terrorapparats der SS.
Die bestehende Projektdatenbank (Abb. 3) wurde in den letzten Jahren von der Projekt-PI aufgebaut und vereint die Daten zu Artefakten, biografische Informationen identifizierter Häftlinge und andere relevante Archivquellen. Derzeit enthält sie über 1300 Datensätze von Häftlingsmarken. Durch diese Grundlagenrecherche und Datensammlung konnte die Nutzung von Häftlingsmarken in mehreren Konzentrationslagern nachgewiesen werden. Bisher sind das die Lager
Auschwitz
Buchenwald
Dachau / Allach
Flossenbürg
Groß-Rosen
Majdanek
Mauthausen
Neuengamme
Sachsenhausen
Eine umfassende Studie wird sich nun der Materialzusammensetzung (Abb. 4), Herstellung und Fertigungstechniken der Marken (Abb. 5) aus dem Konzentrationslager Mauthausen widmen. Gekoppelt mit Vergleichen der Marken aus anderen Lagern, weiterer Archivforschung und Auswertung von Oral-History-Interviews soll diese Forschung das Wissen über diese ambivalenten Artefaktgruppe erweitern und so auch zur Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes beitragen (Abb. 6).
Danksagungen
Im Laufe dieser Forschung haben viele KZ-Gedenkstätten sowie Archive und Museen, die dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gewidmet sind, Zugang zu ihren Sammlungen, Archivmaterialien und Wissen gewährt. Fotos von Häftlingsmarken aus privaten Familiensammlungen und/oder Informationen über Häftlingsmarken und die Biografien der mit ihnen verbundenen Menschen wurden uns von engagierten Einzelpersonen oder Angehörigen von Menschen, die von den Nazis inhaftiert wurden, übermittelt. Diese Einblicke sind von unschätzbarem Wert für das Projekt, und wir danken allen, die unsere Bemühungen unterstützen.
Kontakt: barbara.hausmair@uibk.ac.at
Themenbezogene Lehre
- Mauthausen kuratieren: Objekte aus der Sammlung des Mauthausen Memorial (MA Seminar und Praktikum, Universität Innsbruck, Lehrende: Barbara Hausmair und Yvonne Burger, Sommersemester 2023, LVNo: 644160)
- Archäologien des NS-Terrors (MA Vorlesung, Universität Innsbruck, Lehrende: Barbara Hausmair, Sommersemester 2022, LVNo: 644160)
- Archäologie der Weltkriege (BA/MA Seminar, Universität Tübingen, Lehrende: Barbara Hausmair, Wintersemester 2019/20)
Literatur
Burger, Yvonne. 2019. Das vergessene Lager: das ehemalige Waldlager Gunskirchen. MA-Arbeit., Wien: Universität Wien.
Hausmair, Barbara. 2016. ‘Jenseits des „Sichtbarmachens“. Überlegungen zur Relevanz materieller Kultur für die Erforschung nationalsozialistischer Lager am Beispiel Mauthausen’. In Archäologie und Gedächtnis. NS-Lagerstandorte: Erforschen – Bewahren – Vermitteln, hg. von Thomas Kersting, Claudia Theune, Axel Drieschner, and Astrid Ley, 31–45. Denkmalpflege in Berlin und Brandenburg Arbeitsheft 4. Petersberg: Imhof Verlag.
———. 2018. ‘Identity Destruction or Survival in Small Things? Rethinking Prisoner Tags from the Mauthausen Concentration Camp’. International Journal of Historical Archaeology 22 (3): 472–91. https://doi.org/10.1007/s10761-017-0436-z
———. 2024. ‘Camp Archaeology in Germany and Austria. A Prospective Review’. In Archäologie und Krieg, hg. von Svend Hansen und Christian Jansen, 35–55. Kolloquien zur Vor- und Frühgeschichte 28. Wiesbaden: Harrassowitz-Verlag.
Klimesch, Wolfgang. 2002. ‘Veritatem dies aperit. Vernichtet – Vergraben – Vergessen. Archäologische Spurensuche im Schloss Hartheim’. Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereins 147 (1): 411–34.
Loistl, Simone, und Florian Schwanninger. 2018. ‘Vestiges and Witnesses: Archaeological Finds from the Nazi Euthanasia Institution of Hartheim as Objects of Research and Education’. International Journal of Historical Archaeology 22 (3): 614–38. https://doi.org/10.1007/s10761-017-0441-2
Schütze, Marlene.2013. Löffel, Zigarettenetui, Erkennungsmarke – Möglichkeiten und Grenzen der Analyse von Dingen aus dem Konzentrationslager Mauthausen. Univ. Dipl., Wien: Universität Wien.
Sofsky, Wolfgang. 1993. Die Ordnung des Terrors: Das Konzentrationslager. Frankfurt a. Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag.
Valley, Émile und Amicale de Mauthausen. 1950. Mauthausen: Plus jamais ça. Paris: Amicale de Mauthausen.