Projekte und Forschung
Forschungsprojekt ABT
Projektleiterin: Mag. Beatrix Nutz
Förderung:
Tiroler Wissenschaftsfonds (TWF), Stiftung Harpfe
Mittelalterliche Textilien von Schloss Lengberg, Osttirol
Im Zuge umfangreicher, vom Land Tirol geförderter, Umbaumaßnahmen ab Juli 2008 in Schloss Lengberg bei Nikolsdorf wurden baubegleitende archäologische Beobachtungen und Untersuchungen in mehreren Bereichen des Baukomplexes notwendig. Durchgeführt wurden diese vom Archäologischen Dienst Thomas Tischer unter der Leitung von Harald Stadler vom Institut für Archäologien, Fachbereich Ur- und Frühgeschichte sowie Mittelalter- und Neuzeitarchäologie der Universität Innsbruck. Dabei konnte im Südflügel des Schlosses im südwestlich gelegenen Raum 2.07 im 2. Obergeschoss eine Gewölbezwickelfüllung lokalisiert und dokumentiert werden. Das Füllmaterial wurde von Arbeitern einer lokalen Baufirma unter der Aufsicht von T. Tischer und N. Graf entfernt und für eine spätere Siebaktion gelagert. Diese fand im Sommer 2009 in Volders statt. Die Einfüllung bestand aus trockenem Material in unterschiedlichen Schichten, darunter organisches Material wie Äste, Stroh aber auch bearbeitete Hölzer, Leder (vor allem Schuhe) und viele Textilien. Die Baugeschichte des Schlosses (Hinweise auf Umbauten im Reisetagebuch des Paolo Santonino 1485), die bauhistorische Untersuchung von Martin Mittermaier und Walter Hauser vom Landeskonservatorat Tirol, sowie der archäologische Befund legen zunächst eine Datierung der Funde ins 15. Jh. nahe. So kann angenommen werden, dass das meiste Füllmaterial im Zuge einer Aufstockung zur dreigeschossigen Anlage zur Niveauangleichung des Bodens über der Gewölbetonne des darunterliegenden Raumes in die Gewölbezwickel verbracht wurde.
Die aufgefundenen Textilien, sowohl solche aus Leinen als auch aus Wolle und Seide, werden nun von Frau Beatrix Nutz im Rahmen einer Dissertation (Arbeitstitel: Unters Kleid geguckt. Die Textilien aus der Zwickelfüllung von Schloss Lengberg) wissenschaftlich bearbeitet.
Eine erste Durchsicht des Materials ergab eine Fülle unterschiedlicher Textilformen. Darunter eine Reihe fast vollständig erhaltener Kleidungsstücke eindeutig weiblicher Provenienz, ebenso wie Fragmente leinener Innenfutter mit spärlichen Resten der ehemaligen Wollkleider. Fragmente mehrerer Leinenhemden mit starker Fältelung an Kragen und Ärmel mit erhaltenen Textilknöpfen und zugehörigen Knopflöchern, deren Größe, vor allem die kleinen Ärmelbunddurchmesser, nahelegen, dass sie ebenfalls Bestand von weiblicher Kleidung waren oder gar von Kindern getragen wurden. Weiter anzuführen sind noch Reste von Kopfbedeckungen sowohl aus Leinen als auch aus Stroh, eines Handschuhs und Fragmente von bunter Wollkleidung. Der rot-blaue Hosenlatz einer Männerhose ist eines der wenigen Stücke eindeutig männlicher Provenienz. Eine vollständig erhaltene leinene Unterhose, die einst wohl auch von einem Mann getragen wurde zählt ebenfalls dazu.
Zu erhaltenen Nestellöchern, v.a. an den Miederteilen, passen entsprechende geflochtene Bänder (Nestel) und die zugehörigen Nestelhülsen aus Buntmetall, die zum Verschließen der Kleidungsstücke dienten. Zu diesen Kleiderverschlüssen zählen auch Hafteln (Haken und Ösen) aus Buntmetall und Eisen, sowie Textilknöpfe, darunter auch Posamenterieknöpfe, und Holzkerne für die Textilknopfproduktion. Hinweise auf Schneidertätigkeiten bietet der Fund einer eisernen Nähnadel mit erhaltenem Leinenzwirn, der um die Nadel gewickelt ist. Aufgefundene Stecknadeln mit einem Kopf aus gewickeltem Draht können sowohl als Nähbehelf als auch als Schleiernadeln zum Fixieren von Kopftüchern und Schleiern gedient haben.
Besonderes Augenmerk verdienen auch die erhaltenen Seidentextilien, unter anderem ein Fragment unbestimmter Funktion mit broschiertem Muster, möglicherweise ein Kissenbezug oder Ähnliches. Ein kleines Stofffragment mit zusätzlichem Goldlahnfaden und eine blattförmige Applikation aus Silberlahnfaden geben Hinweise auf den Reichtum ihrer ehemaligen Besitzer.
Der Großteil aller Textilfunde besteht aus größeren und kleineren Fragmenten, meist aus Leinen (die Wolltextilien sind generell in einem schlechteren Erhaltungszustand und wesentlich fragmentierter), viele davon mit Nähten und/oder Säumen. Etliche Fragmente bieten Hinweise auf eine sekundäre Verwendung. Sie wurden augenscheinlich in Streifen gerissen und als Bindematerial verwendet, wie einige Stücke mit Knoten vermuten lassen.
Nicht zu den Textilien zählend, aber wohl Bestandteile der Kleidung, sind einige Fragmente von zusammengenähten kleinen Fellteilen (das Fell ist größtenteils nur noch in Spuren erhalten), die an mittelalterliche Kürschnerarbeit, wie die Verarbeitung von Fehfellen (Felle von Eichhörnchen) denken lassen. Eine eventuelle Verwendung als Pelzfutter für wärmende Kleidung kann nicht ausgeschlossen werden.
Durch die ersten Aufnahme und Sichtung des Materials wurde die Datierung des Fundkomplexes nochmals erhärtet. Es konnten keine für das 15. Jh. unüblichen oder unbekannten textilen Herstellungstechniken gefunden werden.
Im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit sollen alle Fundobjekte auf Herstellung, Herkunft, Alter und Verwendungszweck untersucht werden und ihre Bedeutung im kostüm-, wirtschafts-und sozialhistorischen Kontext herausgestellt werden.
Kooperationen:
- Abegg-Stifung, Ch - Riggisberg
- Forschungsinstitut für Textilchemie und Textilphysik, Universität Innsbruck
Aktivitäten:
- Arbeitsaufenthalt Abegg Stiftung 02.2011
- REM-Analysen VIAS, 02.2011
- Sortieraktion der Textil-fragmente von Schloss Lengberg, Osttirol, 03.2011
Publikationen (Print und online)
- The Tudor Child, Kleidung und Kultur von 1485 bis 1625, Clothing and Culture 1485 to 1625, 18.03.2013 DE/EN
- Medieval lingerie, historyextra.com (The official website of BBC History Magazine)
- B. Nutz, Mittelalterliche Unterwäsche aus Schloss Lengberg, Osttirol, 07.2012 DE/EN
- B. Nutz, "Die Unaussprechlichen", in: Harpfe. Zeitschrift für Landes-kunde, Dez. 2010
- B. Nutz, "Erfindung" der Nadelspitze in Osttirol?, 08.2011 DE/EN
- B. Nutz, Rekonstruktion der Tuttenseck (BHs) aus dem 15. Jh. von Schloss Lengberg in Osttirol, 12.5.2015 DE/EN
Medienberichte (Print und online):
- "Доњи веш из замка Ленгберг", Istorijska biblioteka, 12.2012 (online am 11.05.2016)
- "Medieval Fashion Statement", Archaeology, Nov.-Dec. 2012
- "中世のブ、ラにも乙女心", Asahi Shimbun, 01.10.2012
- "Bras from the medieval ages discovered in Austrian castle", Toronto Star, 23.08.2012 (online am 11.05.2016)
- "Bras from Middle Ages found in castle", CNN, 26.07.2012 (online am 11.05.2016)
- "Q&A: Archaeologist Unearths 600-year-old Bra in Castle", Blog Smithonian, 23.07.2012 (online am 11.05.2016)
- "15th century bra found in Austrian castle", The History Blog, July 2012 (online am 11.05.2016)
- "Ur-BH in Osttirol gefunden", Der Standard, 20.07.2012
- "Tirol: Büstenhalter aus dem 15. Jahrhundert gefunden", Die Presse.com, 19.07.2012 (online am 11.05.2016)
- "So modisch waren die Dessous im Mittelalter" , Welt.de, 19.07.2012 (online am 11.05.2016)
- "Sensation: 532 Jahre alter BH gefunden", Tirol.orf.at, 19.07.2012 (online am 11.05.2016)
- "Forscherin entdeckt den ältesten BH der Welt", Focus.de, 19.07.2012 (online am 11.05.2016)
- "Newly Discovered: The Oldest Known Bra", Rock the curves, 18.07.2012 (online am 11.05.2016)
- "Medieval “Lingerie” From 15th Century Castle Stuns Fashion Historians", Ecouterre.com 18.07.2012 (online am 11.05.2016)
- "Medieval Lingerie", Medievalhistories.com, 18.07.2012 (online am 11.05.2016)
- "Unters Kleid geschaut", Huscarl.at, 17.07.2012 (online am 11.05.2016)
- "Discovered in a castle vault, the scraps of lace that show lingerie was all the rage 500 years ago", Dailymail.co.uk 16.07.2012 (online am 11.05.2016)
- "Tiroler trugen früher Tanga", Tiroler Tageszeitung, 19.01.2011