Reiterbräuche
Viele der mitteleuropäischen Reiterbräuche gehen auf das mittelalterliche Turnier und die Kampfspiele der Ritter zurück. Dabei sind es nicht die Einzelorte, die über eine derartig lange Kontinuität zurückblicken können, sondern es ist die Summe aller Überlieferungen, die uns eine Einordnung dieser Bräuche in verschiedene Traditionsstränge erlaubt. Die Bürger der spätmittelalterlichen Stadt inszenierten Fischerstechen und Reiterspiele, bei denen sich einerseits die einzelnen Zünfte selbst darzustellen versuchten, andererseits auch das ritterliche Turnier parodiert wurde. Aber auch der ländliche Bereich führte das ritterliche Erbe in seinen bäuerlichen Reiterspielen fort. Im Bereich des ehemaligen höfischen Zentrums von Udine finden wir im Gailtal (Kärnten) mit dem Kufenstechen ein Reiterspiel, bei dem eine Atrappe die Rolle des Gegenparts übernommen hat. Es ist schon 1798 erwähnt und ist somit eines der ältesten nachgewiesenen Spiele im Alpenraum.
Bezeichnenderweise finden die meisten Reiterbräuche im Mai oder bis Fronleichnam statt. Damit erinnern sie an die militärischen Übungen, die Waffenschau der Wehrfähigen, die Pippin der Kurze 755 n. Chr. Eingeführt hatte. In engem Zusammenhang stehen daher die Turnierspiele mit anderen Reiterbräuchen, etwa Umritten (Antlaßritt) in Verbindung. Umritte entbehren meist das agonale (wehrhafte) und somit unterhaltsame Element. Dafür kommt ihnen eine klutische Funktion zu. Nicht von ungefähr sind Pfingstumritte, Antlaßritte, Georgi- und Leonhardsritte meist mit einer Feldmesse und einem Flurumgang verbunden. Eine vegetationskultische Funktion kann angenommen, aber nicht bewiesen werden. Die Übergänge von Reiterspielen und religiöseren Umritten sind allerdings fließend. Mit dem Rückgang der Weidewirtschaft im Zeitalter der Industrialisierung gerieten viele Reiterbräuche in Vergessenheit. Wo sie überlebten, hatten meist die Rekruten die früheren Roßknechte und Hirten als Träger der Bräuche ersetzt. Damit kamen aber verstärkt militärische Elemente zum Tragen.
In Tirol sind Reiterbräuche im Brixental (Antlaßritt) und Kundl (Leohardiritt) bekannt. Daneben gab es bis mItte des 20. Jhd. einen Reiterbrauch in der Gerlos /Zillertal.
Literatur:
Haider Friedrich, Haider Friedrich, Tiroler Brauch im Jahreslauf, Innsbruck 1985, 364 f., 444.
Kapfhammer Günther, Brauchtum in den Alpenländern, Ein lexikalischer Führer durch den Jahreslauf, München 1977, 163.
Kretzenbacher Leopold, Die Ketten um die Leonhardskirchen im Ostalpenraume, Kulturhistorische Beiträge zur Frage der Gürtung von Kultobjekten in der religiösen Volkskultur Europas, in: Kultur und Volk, Wien 1954, 165-202. (= Veröff. d. Österr. Museums f. Volkskunde, 5)
Petzoldt Leander, Volkstümliche Feste, Ein Führer zu Volksfesten, Märkten und Messen in Deutschland, München 1983, 358 ff.