Panel 22: „Südostdeutsche“ Kulturarbeit auf dem Prüfstand

Simon Andreas Ebner, Marianne Reisch, Nadja Volderauer, Val Weicherding
Panel 22

Panel 22: „Südostdeutsche“ Kulturarbeit auf dem Prüfstand. Kontinuitäten, Netzwerke, Forschungspotentiale

Samsatg, 18. April 2020, 09.00 bis 10.30 Uhr, Virtueller Konferenzraum 2
Chair: Linda Erker (Wien)

Tobias Weger (München): Das Südostdeutsche Kulturwerk in München im Kontext der westdeutschen „Vertriebenenkulturarbeit“ nach 1945

Enikő Dácz (München): Vom „gottbegnadeten“ Schriftsteller zum Schriftleiter. Heinrich Zillichs literarisches Netzwerk vor und nach 1945

Florian Kührer-Wielach (München): Ein schwieriges Jubiläum. Das Südostdeutsche Kulturwerk 1951–2021

Abstracts


Kommentare

Am letzten Tag des virtuellen österreichischen Zeitgeschichtetages 2020 fand Panel 22 „,Südostdeutsche‘ Kulturarbeit auf dem Prüfstand. Kontinuitäten, Netzwerke, Forschungspotentiale“ statt. Das Panel wurde von Linda Erker aus Wien moderiert, und Tobias Weger, Enikő Dácz und Florian Kührer-Wielach, die alle am Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) arbeiten, präsentierten ihre Forschungsansätze.

Ein inhaltlicher Aspekt des Panels, der besonders interessant war, war das Fallbeispiel über Heinrich Zillich, welches von Enikő Dácz mit dem Titel „Vom ,gottbegnadeten‘ Schriftsteller zum Schriftleiter. Heinrich Zillichs literarisches Netzwerk vor und nach 1945“ vorgetragen wurde. Das Beispiel von Heinrich Zillich bezeugt den Aufstieg eines Dichters zur Zeit des Nationalsozialismus, aber auch dessen Untergang. Schriftsteller hatten während dem NS-Regime eine klare ideologische Aufgabe, die viele davon trotz ihrer eigenen möglicherweise gegensätzlichen politischen Orientierung annahmen, da sie nach literarischer Anerkennung strebten. Bis zur Veröffentlichung von Zillichs Novellenband hatte kein deutschsprachiger Schriftsteller mit rumänischem Hintergrund vor 1932 ein Buch veröffentlicht. Heinrich Zillich konnte tatsächlich große Erfolge erzielen und war in seiner Zeit mit prominenten Literaten aus Deutschland, wie beispielsweise Heinrich Mann, sehr stark vernetzt. Aus Propagandazwecken unternahm Zillich mehrere Reisen, eine davon, die mit neun Wochen geplant gewesen war, musste aber frühzeitig abgebrochen werden. Schließlich sah Zillich sich in einer Klageschrift mit dem Vorwurf konfrontiert, er würde den Antisemitismus verherrlichen, was er entschieden ablehnte, und beharrte, er habe sich nur für das Reichsgefühl begeistert. Nach seiner „Entnazifizierung“ wandelte sich Heinrich Zillich von einem gefeierten zu einem vertriebenen und abgelehnten Schriftsteller.

Das Leben von Schriftstellern während der Zeit des Nationalsozialismus wird im Schulkontext und Geschichteunterricht sehr oft ausgeklammert und kommt nicht zur Sprache; außerdem werden örtliche Klassifizierungen, wie zum Beispiel der Begriff „Ostdeutschland“, meist nicht erläutert. Aus diesem Grund ist es umso erfreulicher und faszinierender, im Rahmen des ersten virtuellen Zeitgeschichtetages 2020 einen Einblick in das Schriftstellerleben im Nationalsozialismus zu bekommen. Außerdem ist es lernförderlich und augenöffnend, eine multiperspektivische Ansicht auf diverse Personengruppen und Regionen in historischen Prozessen zu bekommen und jenen eine Stimme zu geben.

Aus der Perspektive einer zukünftigen Lehrperson im Unterrichtsfach Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung lässt sich auch aus dem Vortrag mitnehmen, wie einprägsam und klar veranschaulicht das didaktische Unterrichtsprinzip des exemplarischen Lernens ist. Dies wurde verständlich und klar strukturiert an Zillichs Fallbeispiel statuiert und dient definitiv als Inspiration für den eigenen zukünftigen Geschichteunterricht; denn das Panel hat deutlich gemacht, wie nachhaltig und einprägsam Fallbeispiele sein können. Darüber hinaus hat die Präsentation dazu inspiriert, sich zukünftig öfter mit vermeintlichen Randthemen zu befassen, denn diese haben ebenso viel Substanz wie typische, mit dem Nationalsozialismus verbundene Themengebiete. Vermutlich war die Behandlung von Schriftstellern zur Zeit Hitlers für einen größeren Teil des Publikums eine willkommene Abwechslung, wodurch sie viel Neues lernen konnten.

(Simon Andreas Ebner)

 

Die komplexe Geschichte des Süddeutschen Kulturwerks  

Das 22. Panel des 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetages 2020 mit dem Titel „Südostdeutsche“ Kulturarbeit auf dem Prüfstand. Kontinuitäten, Netzwerke, Forschungspotentiale fand unter der Leitung von Linda Erker statt. Das Panel widmete sich unterschiedlichen Aspekten der Vergangenheit sowie zukünftigen Fragestellungen in der Aufarbeitung der eigenen Geschichte des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) in München.  

Die Gründung der Südostdeutschen Kultur- und Forschungsstelle (SOKFS) im April 1951 setzte Tobias Weger im ersten Vortrag des Panels in den allgemeinen Kontext der „Vertriebenenkulturarbeit“ nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Fokus des Instituts lag damals auf der Pflege der Kultur vor Ort und dem Aufzeigen der Verbindungen zur deutschen Kultur. Schon in den Anfangsjahren des Instituts ließen sich dabei mittels netzwerkanalytischer Zugänge unterschiedliche Intentionen und Hintergründe der Gründungsmitglieder erkennen. 

Eine starke Prägung über die Ansichten des Ostens hatten die Werke des Schriftstellers Heinrich Zillich, welcher in Siebenbürgen lebte. Die Verwendung seiner Bücher als Propagandamittel machten ihn in Deutschland berühmt. Sein Leben und sein Netzwerk vor und nach 1945 wurden von Enikő Dácz geschildert, welche sich mit dem Nachlass von Heinrich Zillich auseinandersetzte.  

Den letzten Vortrag des Panels widmete Florian Kührer-Wielach der kritischen Beschäftigung mit dem 2021 zu feiernden Jubiläum des Institutes zu 70 Jahren SOKFS beziehungsweise 20 Jahren des daraus entstandenen IKGS. Der Auftrag eines solchen Jubiläums sei es jedoch nicht nur, seine Erfolgsgeschichte zu feiern, sondern auch die nationalsozialistischen Verflechtungen innerhalb der Mitglieder des SOKFS genauer zu beleuchten. Für dieses Unterfangen sollte sowohl eine hausinterne als auch eine externe Aufarbeitung forciert werden.  

Umgang mit der eigenen Geschichte 

Das Panel über die Geschichte und die Akteure des IKGS in München zeigte auf, wie verflochten und vielschichtig eine Institutsgeschichte sein kann. Sowohl kulturelle als auch biografische Zugänge und Netzwerkanalysen offenbaren, mit welchen unterschiedlichen Blickwinkeln bei der Institutserforschung angesetzt werden kann. Eine detaillierte Aufarbeitung dieser Geschichte scheint aufgrund der guten Datengrundlage machbar zu sein. 

Jede Organisation hat eine Entstehungsgeschichte, einen Werdegang in der Geschichte und eine aktuelle Position in der Gesellschaft. Diese historischen Hintergründe als Forschungsobjekt aktiv wahrzunehmen und zu bearbeiten, ist ein Forschungsfeld, welches viele Zugänge erlaubt und sicherlich auch für Studenten informativ ist.

(Marianne Reisch)

 

Panel 22 zum Thema „,Südostdeutsche‘ Kulturarbeit auf dem Prüfstand. Kontinuitäten, Netzwerke, Forschungspotentiale“, welches im Zuge des 13. bzw. 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetages 2020 abgehalten wurde, gliederte sich in drei diverse und doch miteinander verknüpfte Themenschwerpunkte. Vorerst ist jedoch anzumerken, dass im Mittelpunkt dieser Forschungssparte gegenwärtig das nächstjährige Doppeljubiläum steht: Das erste Jubiläum ist auf das Jahr 1931 zurückzuführen, in dem in Wien die Südostdeutsche Forschungsgemeinschaft, also die erste Wissenschaftseinrichtung mit jenem Schwerpunkt, gegründet wurde. Zweiteres der beiden Jubiläen hebt das Jahr 1951 hervor, wo in der Stadt München die Südostdeutsche Kultur und Forschungsstelle eingerichtet wurde und die bis zum heutigen Zeitpunkt existiert.

Bezüglich der Vorträge wurde der Start von Tobias Weger gesetzt, welcher sich mit dem Südostdeutschen Kulturwerk in München im Kontext der westdeutschen „Vertriebenenkulturarbeit“ nach 1945 auseinandersetzte. Fortgesetzt wurde dieses Panel von Enikő Dácz, welche den Schriftsteller Heinrich Zillich mitsamt seinem literarischen Netzwerk skizzierte. Letztlich konkludierte Florian Kührer-Wielach mit seiner Präsentation über die kritische Auseinandersetzung mit dem bereits angesprochenen bevorstehenden Jubiläum. Um hier an den letzten Referenten anzuschließen, so ist für mich vor allem das immer wieder angesprochene Gründungsdatum der Südostdeutschen Kultur und Forschungsstelle interessant und inwiefern dies in der weiteren Entwicklung Spuren des Nationalsozialismus hinterließ. Es veranschaulichte mir erneut die Relevanz, allseits Nachfragen anzustellen und, vor allem als Historiker, stets eine kritische Perspektive zu bewahren. Zusätzlich gilt es ein gesellschaftlich so sensibles und immer noch aufzubereitendes Thema wie jenes des Nationalsozialismus umso ausreichender zu reflektieren, um eine objektive Sichtweise zu gewinnen. Ein weiterer wesentlicher Aspekt, den ich aus diesen Vorträgen mitnehmen durfte und welcher für mich als angehende Geschichtelehrperson auch hinsichtlich deren Kompetenz im Unterricht als bedeutend erscheint, ist der gewählte Umgang mit Begrifflichkeiten. Ich wurde darauf aufmerksam, dass es vor allem in der Geschichtsforschung nicht ausreicht, Ereignissen eine universale Bedeutung zu verleihen. Es gilt viel mehr, nach einer tiefgehenden Auseinandersetzung und Aufarbeitung einen passenden Begriff zu definieren, der sowohl für die Gesellschaft als auch für weitere Forschungszwecke und für das Verständnis von Geschehenem passend ist und keine verfälschten Informationen widerspiegelt.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass es stets gilt, eine weitreichende Perspektive zu bewahren und die Entwicklung hin zu aktuellen Gegebenheiten nicht einfach anzunehmen, sondern deren vergangenen Schritte zu beleuchten und kritisch zu hinterfragen.

(Nadja Volderauer)

 

Das Panel 22 befasste sich mit unterschiedlichen Aspekten von südostdeutscher Kulturarbeit, vor allem im Kontext des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der LMU München, an welchem alle drei Vortragenden Mitglieder sind. Enikő Dácz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IKGS, befasste sich in dem Kontext mit dem aus Siebenbürgen stammenden Schriftsteller Heinrich Zillich (* 23. Mai 1898; † 22. Mai 1988). Dieser gehörte der deutschsprachigen siebenbürgisch-sächsischen Minderheit an. Ein zu Beginn der Präsentation erwähnter Aspekt hat mich hierbei besonders interessiert: War Heinrich Zillich „nur“ ein Kind seiner Zeit, das die Konzepte und Ideen, mit welchen er aufgewachsen ist, nie überwinden konnte? Zu ebenjenen Konzepten und Ideen zählten unter anderem eine seit der Reichsgründung wachsende Anlehnung an Deutschland, ein ausgeprägtes sprachliches und ethnisches Nationalgefühl sowie Antisemitismus. Ähnlich wie der Großteil der südostdeutschen Eliten bekannte auch er sich offen zum Nationalsozialismus. Er passte sich den vorgegebenen Leitlinien an, erhielt zahlreiche Preise und Ehrungen und profitierte von Förderungen. Er ließ sich aber nicht nur zu Propagandazwecken nutzen, sondern arbeitete aktiv daran mit und war vor allem vom Gemeinschaftsbewusstsein im Dritten Reich angetan.

Er äußerte sich allerdings bereits vor der Machtergreifung Hitlers offen antisemitisch, wobei er nach 1945 jegliche Affinität zum Nationalsozialismus abstritt; gleichzeitig aber verbreitete er weiterhin offen nationalsozialistisches Gedankengut. Doch kann man letzteres wirklich behaupten, oder entstammen seine Ideen anderen Ursprungs? Muss man seine Aussagen relativieren und ihn aus einer zeitgenössischen Perspektive betrachten?

Als Historiker muss man jedes Ereignis und jede Person in einem gewissen historischen Kontext sehen und dementsprechend bewerten. Ebenso wie man sich bewusst sein muss, dass man selbst aus einem gewissen Zeitgeist und einer spezifischen Perspektive heraus schreibt, sollte man auch historische Persönlichkeiten in ihrem Kontext betrachten. Allerdings kann man dennoch nicht behaupten, das Verbreiten antisemitischer Aussagen sei gerechtfertigt, nur weil man einer gewissen Zeit entstammt. Auch 1940 gab es alternative Wertvorstellungen zu jenen der Nationalsozialisten und diese wurden nicht überall bedingungslos akzeptiert. Selbst als „Kind seiner Zeit“ hat man die Möglichkeit, moralische Entscheidungen zu treffen und muss Verantwortung für diese übernehmen. 

(Val Weicherding)

 

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