PANEL 13
Umbruch und Aushandlung. Geschlechterverhältnisse im Schatten von Krieg und Nachkrieg

Chair: Johanna Gehmacher (Wien)

Donnerstag, 16. April 2020, 16:00–17:30, HS 2

Für das Ende der „bürgerlichen“ Gesellschaftsordnungen gibt es kein Datum, kein Jubiläum, kein öffentliches Gedenken. Anders als (Bürger-)Kriege oder Republikgründungen wird der Übergang der europäischen Gesellschaften zur Massengesellschaft weder positiv noch negativ erinnert. Ursache dafür mag der fehlende Ereignischarakter dieser Entwicklung sein, aber auch die Schwierigkeit, sie wie andere historische Ereignisse wertend einzuordnen.

Dennoch stellten die (Bürger)Kriege und Systemwechsel der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Umbrüche für die europäischen Gesellschaften dar, was sich auch im Reorganisationsbedarf der Geschlechterverhältnisse niederschlug. Am Beispiel der Vernetzung und des Transfers zwischen den Faschistinnen Spaniens, Deutschlands und Italiens, der Laizisierung der Krankenfürsorge und der Regulierung kommerzieller, weiblicher Sexualität im Nachkriegs-Wien steht in diesem Panel die Frage im Zentrum, wie sich diese Umbrüche auf die Lebenswelten von Frauen, Vorstellungen von Weiblichkeit, politisches Engagement, Berufstätigkeit und generell die Verhandlung von Geschlechterrollen ausgewirkt haben.

Wandel und Widersprüche. Faschistische Frauenrollen in Spanien und Deutschland zwischen Bürger- und Weltkrieg

Toni Morant i Ariño (València)

Im Rahmen der zunehmenden Polarisierung Europas bedeutete in Spanien der Militärputsch 1936 einen Bruch nicht nur in der Geschichte, sondern auch durch die Gesellschaft des Landes. In beiden Heimatfronten fielen sofort viele bürgerliche Konventionen – in einer Tendenz, die zwar entgegengesetzt wirkte, aber beiderseits von Frauen mit vorangetrieben wurde.

Viele dieser zum Teil jungen Frauen engagierten sich im Bürgerkrieg bei der „Weiblichen Abteilung“ der Falange, Spaniens faschistischer Partei. Ebenso wie ihre männliche camaradas, wollten sie ihren Beitrag zum Aufbau eines faschistischen Spaniens leisten.

Als politisches Modell blickten die Falangistinnen nach Italien und Deutschland – zuerst nur aus der Ferne über Informationsmaterial. Bald aber reisten hochrangige, ausgewählte Führerinnen dorthin, um sich vor Ort das italienische, vor allem aber das deutsche Vorbild aus nächster Nähe anzugucken.

Dieser Beitrag nimmt diese Kontakte bis 1945 in den Fokus und fragt nach den Grenzüberschreitungen – nicht nur im geographischen Sinne, sondern auch was normative Geschlechterrollen angeht.

Vom Lazarett ans Krankenbett. Faschistische Nachkriegsgesellschaft und weibliche Erwerbstätigkeit

Katharina Seibert (Wien)

Die Wiederbelebung „traditioneller“, binärer Geschlechterordnungen nach dem Ende von Kriegen, die Frauen Hausarbeit und Männer Erwerbstätigkeit zuordneten, lässt sich bei vielen Nachkriegsgesellschaften beobachten. Diese Vorstellungen kollidierten jedoch mit der Erwerbsnot, die große Teile von Nachkriegsbevölkerungen erlitten.

Die Krankenschwester war im Nachbürgerkriegs-Spanien eines der wenigen Berufsbilder, das mit den Gesellschaftsvorstellungen der faschistischen Führung vereinbar war. Aufgrund des massiven Bedarfs an medizinischer Infrastruktur in beiden Konfliktzonen, waren während des Bürgerkriegs sehr viele Spanierinnen zu Krankenschwestern ausgebildet worden. Die Integration dieser Frauen in das Gesundheitswesen der Nachkriegsgesellschaft stellte die faschistische Frauenorganisation der Einheitspartei Falange vor Herausforderungen.

Dieser Beitrag stellt diesen Aushandlungsprozess zwischen franquistischen Geschlechteridealen und nachkriegsbedingter Erwerbsnot in den Mittelpunkt und ordnet ihn vergleichend in den europäischen Kontext ein.

Kommerzielle Sexualität und deren Regulierung während der Besatzungszeit in Österreich (1945–1955)

Nora Lehner (Linz/Wien)

Während sich Geschlechterdifferenzen insbesondere in Übergangsphasen intensivieren, verstärkte die Anwesenheit alliierter Besatzungssoldaten diesen Prozess im Nachkriegsösterreich. Die zahlreichen, gewaltvollen sowie konsensualen (Sexual-)Kontakte zwischen österreichischen Frauen und alliierten Soldaten stellten dabei eine Transgression der nationalen sowie der Geschlechterordnung dar und prägten den Nachkriegsdiskurs hinsichtlich der (Re-)Konstruktion des Geschlechterverhältnisses und der nationalen Identität sowie, längerfristig, das kollektive Gedächtnis. Obwohl Besatzungskontexte neben militärisch-politischen Aspekten auch sexuelle Dimensionen beinhalten, ist insbesondere die kommerzielle Sexualität und deren Regulierung während der Besatzungszeit kaum erforscht. Ausgehend von gesetzlichen Regelungen und Archivmaterialen wird aufgezeigt, welche Rolle kommerzielle Sexualität und deren Regulation in der Reorganisation des Geschlechterverhältnisses im Nachkriegsösterreich spielten.

 

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