PANEL 21
Der lange Schatten der Kriege – Erinnerungsdiskurse und Zeichensetzungen in Stadt und „Provinz“ im 20. Jahrhundert
Karin M. Schmidlechner (Graz)
Freitag, 17. April 2020, 10:50–12:20, HS 2
Kriegs-Denkmäler verhalten sich zu Jubiläen ambivalent. Einerseits sind Kriege als „jubiläen-machende“ Ereignisse Anlass ihrer Errichtung. Gleichzeitig dienen sie deren nachträglicher gesellschaftlicher Verarbeitung und der Herstellung dauerhafter Erinnerung, die „grief communities“ schafft oder dies zumindest intendiert. Denn sowohl zum Zeitpunkt ihrer Errichtung als auch im zeitlichen Abstand fungieren Denkmäler als Zeichensetzung für kontroverse Erinnerungserzählungen. Gerade Kriegs-Denkmäler sind infolge ihres Verweises auf Tod und kollektive Verlust- und Gewalterfahrungen mit starker Emotionalität und dem Bedürfnis nach Sinn- und Identitätsstiftung in der Polarität von „Held“ und „Opfer“ aufgeladen. Durch gesellschaftliche Diskurse können sie reaktualisiert, vom Speicher- ins Funktionsgedächtnis (A. Assmann) transferiert werden. Das Panel untersucht diese politischen und soziokulturellen Dynamiken anhand von drei Fallbeispielen, deren Ausgangspunkte die beiden Weltkriege sind.
„Stellungskrieg der Denkmäler“ in der „Provinz“. Denkmalskonflikte in österreichischen Klein- und Mittelstädten in den 1920er-Jahren
Werner Suppanz (Graz)
Zu den sichtbaren Auswirkungen des Ersten Weltkriegs in weiten Teilen Europas zählt die „flächendeckende“ Errichtung von Kriegerdenkmälern, die vor allem seit den 1920er-Jahren die Topographien von Dörfern, Ortschaften und Städten mitbestimmt. Die politische Lagerbildung in Österreich prägte auch in Gemeinden unterhalb der Ebene der Landeshauptstädte die konflikthafte Deutung des Weltkriegs. Die Intensität des „Stellungskriegs der Denkmäler“ (Christian Saehrendt) war dabei von den sozialen Nahebeziehungen mitbestimmt. Anhand von Fallbeispielen untersucht der Beitrag den Zusammenhang von Lagerkonflikten und Kriegerdenkmalserrichtungen in Klein- und Mittelstädten der 1920er-Jahre. Ein Fokus liegt dabei auf den Fragen nach den Inklusions- und Exklusionsprozessen durch die Teilnahme an ihrer Planung und Einweihung, ein weiterer auf der Frage nach der Verflechtung mit den politischen Lagerkonflikten auf Ebene des Bundes bzw. der Bundesländer sowie mit deren (potenziellen) Interventionen.
Von der Jahrhundertschlacht zur Völkerverständigung. Verdun 1916–2016
Richard Lein (Wien)
Die Schlacht von Verdun steht stellvertretend für die Gräuel des Ersten Weltkriegs und die von ihm verursachten Opfer. Der Austragungsort der Schlacht ist jedoch auch ein exemplarisches Beispiel für das Bemühen, den Ereignissen in angemessener Weise zu gedenken, wobei augenfällig ist, dass das Erinnern einen fließenden, von Bruchlinien durchzogenen Prozess darstellt. So lassen sich in Verdun anhand der verschiedenen Denkmalsetzungen sowie der politischen Inszenierung der Gedenktage mehrere „Wellen“ der Erinnerungen identifizieren, die jeweils eine teilweise bzw. völlige Neudefinition der Gedächtniskultur mit sich brachten. Zunächst als Ort des Gedenkens an die Opfer Frankreichs eingerichtet, wandelte sich Verdun zunächst zur Stätte der deutsch-französischen Aussöhnung und schließlich, 100 Jahre nach den Ereignissen, zum gesamteuropäischen Gedächtnisort gegen den Krieg. Der Beitrag setzt sich anhand exemplarischer Beispiele mit der Transformation der Erinnerungskultur rund um die Schlacht von Verdun auseinander.
Ein „Schlachtfeld“ der Erinnerung? Erinnerungsdiskurse zum Bombenkrieg in Stadt und „Provinz“
Nicole-Melanie Goll (Wien)
Als am 1. Oktober 2018 auf der Mölker Bastei ein Denkmal für die „Trümmerfrauen“ enthüllt wurde, war das mediale Echo groß. Der Errichtung waren jahrzehntelange Diskussionen vorangegangen. Im Jubiläumsjahr 2018 konnte das Projekt nun verwirklicht werden. Es soll(t)e an jene Frauen erinnern, die den Wiederaufbau Österreichs „unter unvorstellbaren Bedingungen“ vorangetrieben hatten. Besonders hatten sie – so die Initiatoren – unter den alliierten Bombardements gelitten. Wurden wesentliche Forschungen der letzten Jahrzehnte vollkommen ausgeklammert, zeigt das neugeschaffene Denkmal dennoch eines auf: Der Bombenkrieg hatte sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Rückzugsort des österreichischen Opfermythos entwickelt. Darin eingebunden, finden sich starke Täter-Opfer-Zuschreibungen, die in den oftmals in Jubiläumsjahren errichteten Denkmälern manifest werden. Der Vortrag widmet sich diesem Spannungsfeld, analysiert anhand der in den letzten Jahren initiierten Bombenkriegs-Erinnerungs- und Gedenkzeichen den „Erinnerungsort“ Luftkrieg und fragt nach „grief communities“.