PANEL 31
Transnationale Perspektiven der Displaced-Persons-Forschung

Chair (inkl. Kurzkommentar): Thomas Albrich (Innsbruck)

Freitag, 17. April 2020, 16:00–17:30, U 3

In den nationalen Nachkriegsgeschichten Mitteleuropas wurden DPs bislang marginalisiert. Dabei kommt der DP-Geschichte eine „Scharnierfunktion“ für die gesamte jüngere europäische Geschichte zu. Sie markiert den Übergang von NS-Herrschaft/Zweitem Weltkrieg über die direkte Nachkriegszeit bis zum Kalten Krieg, einer Zeit, in der sich die Gesellschaften Europas entscheidend veränderten und integrierten. Das Forschungspotential zu DPs liegt deshalb im vergleichenden Blick zwischen unterschiedlichen DP-Gruppen und über nationale und regionale Grenzen hinweg.

Dieses Panel präsentiert neue komparative und transnationale Forschungsansätze und Projekte, die DPs als Faktor in der soziokulturellen Entwicklung der europäischen Nachkriegsgesellschaften sichtbar machen und im Rahmen des Netzwerks Displaced Persons-Forschung entstehen. Im Zentrum steht dabei die Frage nach den Beziehungen zwischen DPs und anderen sozialen Gruppen (z. B. „Einheimische“, Hilfsorganisationen, DPs anderer Nationalität).

Displaced Persons – eine Leerstelle in der österreichischen Migrationsgeschichte?

Nikolaus Hagen (Wien)

Die österreichische Forschung hat DPs zumeist als transitorisches Phänomen der unmittelbaren Nachkriegszeit betrachtet. Dementsprechend lag der Forschungsfokus auf der Verwaltung dieser entwurzelten Massen und deren Transfer und nicht auf dem sozioökonomischen und kulturellen Einfluss, den DPs und Flüchtlinge auf die österreichische Gesellschaft ausgeübt haben. Das erstaunt insofern, als bis zu ein Drittel der etwa 1,65 Millionen DPs, die sich 1945 auf dem Gebiet der Republik befanden, dauerhaft in Österreich verblieb. Während die anglophone Forschung den Zustrom von europäischen DPs als konstitutiv und bedeutsam für die Entwicklung der Nachkriegsgesellschaften erkannt hat, stellen DPs in der österreichischen (Migrations-)Geschichte noch immer eine Leerstelle dar.

Anhand empirischer Fallbeispiele aus einem laufenden Projekt zum DP-Lager Kufstein lotet dieser Vortrag exemplarisch die Potentiale neuer Forschungsansätze für die DP-Forschung und die jüngere österreichische Zeitgeschichte aus.

Vergessene Jubiläen – zur Relevanz der Displaced-Persons-Forschung

Marcus Velke (Bonn)

In der deutschen und österreichischen Erinnerungskultur spielen DPs zumeist eine untergeordnete Rolle. Zum 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs 2009 beschäftigten sich z. B. Medien und Wissenschaft vor allem mit jüdischen DPs und setzten diese meist mit allen, sehr heterogenen DP-Gruppen gleich. 2020 hält die DP-Geschichte ein „vergessenes Jubiläum“ bereit – vor 70 Jahren übergaben die Alliierten die noch in der Bundesrepublik Deutschland lebenden DPs in die Verantwortung der Bundesregierung. Schon jetzt kann davon ausgegangen werden, dass dieses Jubiläum weitgehend unbeachtet vorübergehen wird.

Der Vortrag betrachtet vor diesem Hintergrund den Stand der DP-Forschung in Deutschland und hinterfragt die historiographischen Bezüge: Wie konstruieren Historiker*innen selbst die DP-Thematik? Können wir unseren gängigen Bezugsrahmen transzendieren, um originelle neue Studien zu produzieren? Besonderes Augenmerk wird auf die sich derzeit entwickelnde Kooperation zwischen deutschen und österreichischen DP-Forschenden gelegt.

Nach der Befreiung ist vor der Befreiung – psychosoziale Arbeit in DP-Lagern als Hilfe zur „psychologischen Befreiung“?

Stella Maria Frei (Gießen)

In den DP-Lagern im Nachkriegseuropa erweiterten humanitäre Organisationen erstmals ihren Aufgabenbereich von der klassischen „relief work“, der Erfüllung materieller Bedürfnisse ihrer Schutzbefohlenen, hin zur Hilfe für die psychologische Rehabilitation der Überlebenden. In meinem Vortrag werde ich die Ansätze zweier Akteur*innen jüdischer Hilfsorganisationen beleuchten und die Unterschiede und Widersprüche ihrer Arbeit exemplarisch illustrieren. Im Frühjahr 1946 bereiste der Psychiater Paul Friedman DP-Lager in Europa, um eine Erhebung über die psychische Verfassung von jüdischen Kinder-DPs durchzuführen. Miriam Warburg rang unterdessen vor Ort im DP-Lager täglich darum, den Überlebenden neben der Erfüllung ihrer materiellen Bedürfnisse dabei zu helfen, ihrem Leben wieder Sinn zu verleihen. Die Gegenüberstellung dieser beiden Ansätze wird einen Einblick in konkurrierende Verständnisse der psychologischen Rehabilitationsarbeit und deren politische Dimension geben.

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