PANEL 39
„Wandel durch Annäherung“ oder Status quo? 30 Jahre nach Ende des Kalten Krieges: Ostpolitiken und die KSZE in der zeithistorischen Forschung

Chair: Günter Bischof (New Orleans)

Samstag, 18. April 2020, 10:50–12:20, U 3

30 Jahre nach Ende des Kalten Krieges wird in den Cold War Studies eine hitzige Debatte über die Intentionalität und Folgewirkungen des Politikansatzes „Wandel durch Annäherung“ hinsichtlich der Überwindung des Status quo im geteilten Europa geführt. Während die einen eine direkte Linie von Brandts Ostpolitik zur deutschen Einheit ziehen, sprechen die anderen von teleologischem Unsinn. Dieses Panel präsentiert österreichische Beiträge zu dieser internationalen Kontroverse: Im Fokus stehen neue archivgestützte Erkenntnisse zur Haltung Moskaus gegenüber der deutschen „Ostpolitik“ mit der Unterzeichnung der Ostverträge vor 50 Jahren, zu den sowjetischen Vorstellungen über die Rolle des neutralen Österreich auf dem Weg nach Helsinki, wo die KSZE-Schlussakte vor 45 Jahren unterzeichnet wurde, und zum Verhalten Österreichs während der „polnischen Krise“ Anfang der 1980er-Jahre im internationalen Kontext.

„Ostpolitik“ – Wandel durch Annäherung?

Peter Ruggenthaler (Graz)

Als mit Brandt 1969 erstmals ein SPD-Politiker Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wurde, musste er einen pragmatischen Umgang mit dem Thema Wiedervereinigung finden. Seine Regierung war dem Grundgesetz verpflichtet und das hieß in der Praxis, aus dem Dilemma herauskommen, dass die westdeutsche Regierung gegenüber ihren Verbündeten noch immer darauf beharrte, einen Friedenvertrag mit Deutschland – und damit die Voraussetzung für die deutsche Einheit – erreichen zu müssen. Die deutsche Einheit hatte sich nach der Bildung zweier deutscher Staaten 1949, insbesondere nach dem Bau der Berliner Mauer 1961, längst als politisch unrealistisch, als Illusion, erwiesen. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma war, zu einer realistischen Bewertung der Möglichkeiten der Bundesrepublik überzugehen. Und das hieß, eine neue „Ostpolitik“ unter der Überschrift „Wandel durch Annäherung“ anstelle der international gebetsmühlenartig vorgetragenen juristischen Forderungen nach Wiedervereinigung. Das galt es für Brandts Regierung im Hinblick auf die künftige Gestaltung der sowjetisch-deutschen Beziehungen in Einklang zu bringen. Im Rahmen eines groß angelegten Aktenerhebungsprojektes in Moskau kann diese wichtige Phase der Entspannungspolitik im Kalten Krieg anhand von sowjetischen Primärquellen erforscht werden.

Die Rolle des neutralen Österreich in der außenpolitischen Strategie der Sowjetunion, 1969–1975

Anna Steiner (Graz)

Die UdSSR drängte seit den 1950er-Jahren auf eine Gesamteuropäische Konferenz und nahm ab 1966 die neutralen Staaten als Fürsprecher und mögliche Initiatoren ins Visier. Sowjetisches Hauptziel einer solchen Konferenz war, den Status quo in Europa zu fixieren. Besonders auf Österreich wurde – ohne Erfolg – Druck ausgeübt, Initiative für eine Konferenz zu ergreifen. In den Verhandlungen in Helsinki und Genf wurde nach Konsensprinzip abgestimmt, weshalb den Neutralen erwähnenswerter Einfluss zukam. Das Interesse der österreichischen Delegation galt bald Korb III, die meisten Texte zum Thema „menschliche Kontakte“ stammen aus ihrer Feder. Vor 45 Jahren wurde mit der Schlussakte ein Kompromiss unterzeichnet, der neben der Unverletzlichkeit der Grenzen auch das Prinzip friedlicher Grenzänderung und Bestimmungen zu menschlichen Kontakten und Informationsfreiheit enthielt. Kürzlich deklassifizierte sowjetische Akten geben ein umfassenderes Bild über den Verhandlungsverlauf und Österreichs Rolle darin.

Österreich und die „polnische Krise“ im internationalen Kontext

Maximilian Graf (Prag)

Im Sommer 1980 stürzte die Gewerkschaftsbewegung Solidarność das kommunistische Regime in Polen in eine schwere Krise, die erst durch die Verhängung des Kriegsrechts Dezember 1981 wieder unter Kontrolle gebracht wurde. Zudem stand das Land infolge seiner exorbitanten Verschuldung am Rande des ökonomischen Zusammenbruchs. Österreich war von der polnischen Zahlungsunfähigkeit massiv betroffen. Zudem hatten bereits vor dem Kriegsrecht 40.000 Polen in Österreich um Asyl angesucht, die von Politik und Bevölkerung primär als Arbeitsmigranten angesehen wurden. Vor diesem Hintergrund musste die Regierung Kreisky zwischen Solidarität mit der Solidarność und der Fortsetzung guter Beziehungen zur Regierung abwägen. Dies führte zu innerösterreichischen Kontroversen über die Nachbarschaftspolitik (Gewerkschaften, Kirche, Parteien). In der letzten Hochphase des Kalten Kriegs verfolgte Österreich eine Status-quo-orientierte Entspannungspolitik und trat für die wirtschaftliche Unterstützung Polens ein.

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