PANEL 9
Gedenken
Chair: Karin Liebhart (Wien)
17:30–19:00, Virtueller Konferenzraum 1
Der Opfermythos. Besichtigung eines dominanten Konzeptes
Peter Pirker (Wien/Innsbruck)
Kein anderer Begriff hat die geschichtspolitische Diskussion über Österreich in den letzten Jahren so geprägt wie der „Opfermythos“. Mitte der 1980er-Jahre als kritisches Konzept eingeführt, ist es zum Common sense in Wissenschaft, Literatur und Politik erstarrt. Das Gedenkjahr 2018 hat das eindrucksvoll belegt: Auch wenn es durch die Regierungsbeteiligung der FPÖ Brüche gegenüber der dominanten politischen Erinnerungsordnung seit Mitte der 2000er-Jahre gab, war die Rhetorik des Opfermythos, das Eingeständnis, dass sich die Österreicher zu Unrecht über Jahrzehnte hinweg pauschal als Opfer des Nationalsozialismus dargestellt hatten, ein gemeinsamer Refrain. Der Vortrag analysiert den Entstehungszusammenhang des Begriffes Mitte der 1980er-Jahre im internationalen Kontext hinsichtlich seiner Opfersemantiken und untersucht, was aus den kritischen Intentionen in der jüngsten Erinnerungspolitik geworden sind, etwa hinsichtlich der Errichtung neuer nationaler Denkmäler für die Opfer der Shoah.
Die Glorifizierung des Todes: die Rituale zum „Heldengedenktag“ im Reichsgau „Groß-Wien“ 1938–1945
Richard Hufschmied (Wien)
Die primäre Forschungsfrage, die im Rahmen des Vortrages auch beantwortet werden wird, lautet: Inwieweit beeinflusste der Vernichtungskrieg des Deutschen Reiches ab 1939 die Rituale zum Heldengedenktag in Wien, und wenn ja, in welcher Art und Weise?
Die Selbstpräsentation des NS-Regimes im Rahmen des gesamtdeutschen Heldengedenktages erfolgte in Wien von 1938 bis 1945 unter Einbeziehung des „Österreichischen Heldendenkmals“ auf dem „Aufmarscharschplatz der Ideologien“, dem Wiener Heldenplatz. Bereits am 15. März 1938 kam es dort zu einer Kranzniederlegung durch Adolf Hitler, zahlreiche weitere, auch durch Spitzen des NS-Regimes wie Hermann Göring und Rudolf Hess, sollten folgen.
Von 1939 bis 1945 inszenierte das Regime eigene Erinnerungs- und Trauerakte im Rahmen des gesamtdeutschen Heldengedenktages, jeweils im März des laufenden Kalenderjahres auf dem Wiener Heldenplatz. Im Vortrag werden diese Rituale, ihre – militärischen, architektonischen, ideologischen und musikalischen – Spielarten und ihre Inszenierungen erläutert und analysiert.
Jubiläen als neue Forschungsimpulse? Franz Jägerstätter abseits medialer Wahrnehmung
Verena Lorber (Linz)
Jubiläen spielen im Gedenken an Franz Jägerstätter – Kriegsdienstverweigerer aus religiösen Gründen – eine bedeutende Rolle. Sein Todestag am 9. August 1943 oder die Seligsprechung am 26. Oktober 2007 bilden zentrale Wegmarken in der Erinnerungskultur und führ(t)en zu positiven wie auch negativen Auseinandersetzungen mit seinem Handeln in der medialen Öffentlichkeit. Wenn wir den Blick auf die frühe Rezeption Jägerstätters im Rahmen solcher Jubiläen richten, liefern diese aus heutiger Sicht wichtige Impulse für neue Fragestellungen. So war beispielsweise der Wehrmachtsseelsorger Kreutzberg, der Jägerstätter im Gefängnis in Berlin betreute, auch ein zentraler Akteur im frühen Gedenken an Franz Jägerstätter. Dies war der Ausgangspunkt, sich verstärkt mit dem Themenbereich der Wehrmachtsseelsorge und den religiösen Handlungsräumen auf individueller Ebene in NS-Haftanstalten auseinanderzusetzen.