Heimstudien aus Österreich
Ralser, Michaela (gemeinsam mit Leitner, Ulrich; Guerrini, Flavia; Bischoff, Nora; Jost, Christine; Reiterer, Martina): Heimkindheiten. Geschichte der Jugendfürsorge und Heimerziehung in Tirol und Vorarlberg. Studienverlag, Innsbruck 2017. [ISBN 978-3-7065-5537-1]
Mehr als zehntausend Kinder und Jugendliche waren bis in die 1990er Jahre einer machtvollen Fürsorgeerziehung in Tirol und Vorarlberg ausgeliefert. In Erziehungsheimen der Länder und katholischer Orden erlitten viele von ihnen psychische, körperliche oder sexualisierte Gewalt. Betroffen waren vor allem Mädchen und Buben sozial benachteiligter Familien. Dem Anspruch nach hätten diese Kinder vor unzulänglicher Versorgung und unzureichender Erziehung zu Hause bewahrt werden sollen, doch die öffentliche Ersatzerziehung erwies sich für die allermeisten als schwerwiegender. Betroffene leiden unter lange nachwirkenden Folgen.
Ein engagiertes AutorInnenteam der Universität Innsbruck beschreibt diese Anstaltserziehung und das umfassende Fürsorgeregime - mit seinen Wurzeln um 1900 und in der Zeit des Nationalsozialismus - als ein Zusammenwirken mehrerer Kräfte: der Jugendfürsorgepolitik und des Fürsorgeapparats, der frühen Kinderpsychiatrie und Heilpädagogik.
Zahlreiche erstmals benützte Quellen und bisher unveröffentlichte Fotos und Materialien zeugen vom Ausmaß des Gewaltsystems in den vier Landesheimen der Region: am Jagdberg, in Kramsach-Mariatal, Kleinvolderberg und St. Martin. Sie zeigen aber auch den öffentlichen Protest von Betroffenen und sozialen Akteuren seit den 1970er Jahren. Als ZeitzeugInnen dokumentieren ehemalige HeimbewohnerInnen aus drei Generationen vielstimmig ihre Erfahrungen.
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John, Michael ; Binder, Dieter A. (2018): Heimerziehung in Oberösterreich. Linz
Auch in Oberösterreich wurden gravierende Vorwürfe gegen die Kinder- und Jugendheime der Nachkriegsjahrzehnte erhoben. Beauftragt von der Oö. Landesregierung haben die Autoren das System der Fürsorge und Heimerziehung nach 1945 untersucht. Der Schwerpunkt lag dabei auf den Heimen des Landes Oberösterreich sowie der Praxis der regionalen Jugendwohlfahrt (heute Kinder- und Jugendhilfe).
Von besonderer Bedeutung war neben der Darstellung der rechtlichen Grundlagen und der pädagogischen Praxis die Annäherung an das individuelle Erleben über autobiographische Aufzeichnungen und Interviews mit ehemaligen Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern, aber auch Erzieherinnen und Erziehern.
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Bauer, Ingrid; Hoffmann, Robert; Kubek, Christina (2013): Abgestempelt und ausgeliefert. Fürsorgeerziehung und Fremdunterbringung in Salzburg nach 1945. Mit einem Ausblick auf die Wende hin zur Sozialen Kinder- und Jugendarbeit von heute. Innsbruck/Wien/Bozen
Ausgehend von den Stimmen der Betroffenen analysiert dieses Buch die Verantwortungskette hinter dem staatlichen System der österreichischen Fürsorge- und Heimerziehung nach 1945. Am Beispiel Salzburg werden das Zusammenwirken von Jugendämtern, heilpädagogischen Einrichtungen, Erziehungsheimen und Politik untersucht sowie der gesetzliche Rahmen und die gesellschaftlichen Haltungen, Normen, aber auch Problemlagen, die dem Handeln der AkteurInnen zugrunde lagen.
In den Blick genommen werden aber auch Gegendiskurse und alternative Entwürfe zur repressiven, vielfach menschenverachtenden Praxis des alten Systems, die sich ab den 1970er Jahren langsam zum Paradigmenwechsel einer Orientierung am „Wohle des Kindes“ und seiner Rechte verdichten.
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Michaela Ralser, Anneliese Bechter, Flavia Guerrini (2014):Regime der Fürsorge. Eine Vorstudie zur Geschichte der Tiroler und Vorarlberger Erziehungsheime und Fürsorgeerziehungssysteme der Zweiten Republik, Innsbruck
Redaktionell überarbeitet ist die Vorstudie zur Geschichte der Tiroler und Vorarlberger Erziehungsheime und Fürsorgeerziehungssysteme der Zweiten Republik (2012) in Buchform erschienen. Der Band liefert eine Bestandsaufnahme der Tiroler und Vorarlberger Fürsorgeerziehungslandschaft der Nachkriegsjahrzehnte.
Er zeigt, dass sich das historische Fürsorgeerziehungssystem als Ensemble zusammenwirkender Akteurskonstellationen, Kräfte und Machtwirkungen darstellt und Tausende Kinder auf eine Weise auslieferte, die heute kaum noch vorstellbar scheint. Es ist die Effizienz der Symbiose zwischen dem System Jugendfürsorge, dem System Erziehungsheim und dem System Kinderpsychiatrie, welches die historischen Vorgänge am deutlichsten kennzeichnet und von den Autorinnen als Fürsorgeerziehungsregime bezeichnet wird. Nie wieder werden derart viele Kinder und Jugendliche aus deprivilegierten Schichten in Erziehungsheimen und Kinderbeobachtungsstationen untergebracht und dort einer Korrektur- und Strafpädagogik ausgesetzt wie in den ersten Nachkriegsjahrzehnten.
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Schreiber, Horst (2010): Im Namen der Ordnung. Heimerziehung in Tirol. Innsbruck/Wien/Bozen
Horst Schreiber hat mit vielen ehemaligen Zöglingen aus Tiroler Heimen lebensge-schichtliche Interviews geführt. Die Stimmen der Betroffenen stehen im Zentrum des Buches. Sie lassen erahnen, welche Leiden sie erduldeten und wieviel Mut, Widerstandskraft und Überlebensenergie sie entwickeln mussten und noch immer brauchen.
Am Beispiel Tirols diskutiert dieses Buch die gesellschaftlichen Hintergründe für die unerbittlich harte Erziehung von Kindern aus armen, deklassierten Tiroler Familien. Auftrag und Duldung durch weltliche und geistliche Autoritäten und die Mittäterschaft sowie das Schweigen oder die Hilflosigkeit von FürsorgerInnen, ErzieherInnen und PsychiaterInnen waren dabei zentrale Rahmenbedingungen.
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Sieder, Reinhard; Smioski, Andrea (2012): Der Kindheit beraubt. Gewalt in den Erziehungsheimen der Stadt Wien. Innsbruck/ Wien/ Bozen
Die Gewalt in den Kinderheimen der Stadt Wien war kein Unfall, sondern Instrument der „totalen Erziehung". Entgegen dem offiziellen Zweck der Heimerziehung wurden hier Menschen für ihr ganzes Leben geschwächt, nicht wenige zerbrochen. Frauen und Männer berichten über ihre Kindheit in diesen Heimen. Sie erzählen von Einsperrung, Briefzensur, Kontaktsperre, von körperlichen Schmerzen, von sexueller und sexualisierter Gewalt, von seelischen Verletzungen und Todesängsten, von unterlassener Förderung der Begabten, vom Zwang zu schwerer körperlicher Arbeit u. a. m. Viele verloren Selbstwert und Zuversicht; bis heute plagen sie Einsamkeit, Depression, Selbstmordgedanken.
Weil es ihre Eltern nicht konnten oder nicht wollten, sollten professionelle ErzieherInnen ihre Erziehung übernehmen. Doch jeder zweite Erzieher hatte dazu keinerlei Ausbildung. Und das akademische und professionelle Personal? Juristen und PsychologInnen des Jugendamtes, Psychiater, Heilpädagogen, Richter, Heimleiter, Fürsorgerinnen und SozialarbeiterInnen belieferten die Heime mit Kindern, ohne den Gerüchten über die Gewalt jemals ernsthaft nachzugehen. Mit diesem Bericht ist der Pakt des Schweigens über die Gewalt endgültig gebrochen. Das Verschwiegene drängt zur Erzählung. Es anzuhören ist schmerzhaft, und doch führt kein Weg daran vorbei.
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