Carl Friedrich Lehmann-Haupt (1861-1938): Der Rektor der Universität Innsbruck als NS-„Rassentheoretiker“ 1938 (neben den Arbeiten von Günther Lorenz neuerdings Angelika Kellner: Carl Friedrich Lehmann-Haupt. Das Leben eines fast vergessenen Althistorikers und Altorientalisten, in: Klio. Beiträge zur alten Geschichte 97/1 (2015), 245-292; UAI, NS-Reservatakten; UAI, Nachlass Helmut Gams; UAI, Nachlass Otto Steinböck; zu Gams vgl. mit weiteren faksimilierten Dokumenten Irene Schuster: Helmut Gams 1893-1976. Ein Beitrag zur Geschichte der Botanik an der Universität Innsbruck 1928-1966, phil. Diplomarbeit, Innsbruck 2015; zu Steinböck vgl. Peter Goller und Gerhard Oberkofler: Krise der Wissenschaftspolitik und Faschismus an Österreichs Universitäten. Zur materiellen Basis der Anschlussideologie am Beispiel der Universität Innsbruck, im speziellen des Innsbrucker Zoologen Otto Steinböck 1893-1969, in: Jahrbuch des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes für 1996, Wien 1996, 101-122)
1931 beantwortet der 1918 aus Konstantinopel für die Alte Geschichte berufene Carl Friedrich Lehmann-Haupt die Glück-wünsche zu seiner Emeritierung. Er führt u.a. aus: „Die Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft sandte mir als ‚dem Verfasser des Israel ... im Rahmen der Weltgeschichte‘, dem Herausgeber der Klio, dem Erforscher des Inscriptiones Chaldicae, die herzlichsten Wünsche für noch lange Jahre fruchtbaren Schaffens durch den derzeitigen Herausgeber.“
Glückwünsche hätten seine „Verdienste um die armenische Urgeschichte“ gewürdigt: „Zwar mein ‚Armenien einst und jetzt‘ liegt, bis auf das im Druck befindliche, dem Schlussbande (II 2) anzuhängende Register in allen drei Bänden vollendet vor. Aber schon die Durchführung der Veröffentlichung des Corpus Inscriptionum Chaldicarum in vier Lieferungen, von denen die zweite Lieferung des Text- und des Tafelbandes in Druck ist, bedarf es einer Reihe arbeitsfrischer Jahre – geschweige denn, um anderes zu übergehen, zur Ausarbeitung und Drucklegung der ‚Vergleichenden Metrologie‘, als Zusammenfassung meiner metrologischen, einen wesentlichen Teil meiner Lebensarbeit bildenden Ermittlungen, und zur Gestaltung meiner griechischen Gesamtgeschichte.“
Höhepunkt der Geburtstags- und Emeritierungsfeier 1931 war die Überreichung einer Gedenkmedaille: „Den Höhepunkt der Feier aber bildete die von tief zu Herzen gehenden Worten begleitete Überreichung der Gedenkmedaille von begnadeter Künstlerhand, durch die mein Bildnis in sprechender, lebensvoller Wiedergabe in dauerndem Metall auch für die Nachwelt festgehalten wird und auf deren Revers Klio nach antikem Vorbild dargestellt ist, mit den mich fast erdrückenden an Horaz angelehnten Worten: Quem virum aut heroa, Clio, sumis celebrare?“
Am 24. Juli 1938 ist der zuvor gut in Innsbrucks Universitätswelt verankerte, hoch Verehrte, dann aus „rassischen Gründen“ zunehmend in die universitäre Isolation geratene Lehmann-Haupt, zeitlebens ein Anhänger deutscher bürgerlicher Kulturideale, gestorben. Es gab Spekulationen, dass er aus Angst vor Verfolgung in den Freitod geflüchtet ist. Im Herbst 1938 folgte ihm seine Frau, die Schriftstellerin Therese Lehmann-Haupt in den Tod. Am 10. Oktober 1939 äußerte sich Rektor Harold Steinacker im Sinn der „Nürnberger Rassegesetze“.
Dass Lehmann-Haupts ehemalige Schüler um die drohende Verfolgung, um den Schrecken der „Novembertage“ 1938 Bescheid wussten, geht aus einem Brief des Innsbrucker Geographieordinarius Hans Kinzl (1898-1979) hervor. Am 12. Jänner 1939 schreibt Kinzl nämlich an Peter Paul Nahm, einen Freund aus Innsbrucker Studientagen knapp nach 1918, dass es „wohl auch besser für ihn [war], dass er die Novembertage nicht erlebt hat“. Zum Schicksal des „Ständestaathistorikers“ Ignaz Philipp Dengel fügt Kinzl zynisch an, dass dieser ihn und eine Studentengruppe in den „Umbruchtagen“ im März 1938 in Rom empfangen hat: „Das dürfte seine letzte halboffizielle Handlung gewesen sein.“
Peter Paul Nahm (1901-1981, aus dem Raum Mainz gebürtig, war 1925 bei Lehmann-Haupt und Steinacker mit einer „auf der These von A. Dopsch von der Kontinuität der römischen Kultur in das Mittelalter hinein“ beruhenden Dissertation über „Kultur- und Siedlungsgeschichte von Bingen“ promoviert worden. Als Funktionär der katholischen Zentrumspartei 1933 mehrere Tage interniert, war Nahm ab 1953 als Staatssekretär für „Sowjetzonenflüchtlinge“ in der BRD-Adenauer-Regierung tätig.
Innsbrucks universitäre Elite bediente sich nicht nur im Fall von Lehmann-Haupt ganz offen ns-rassistischer Vorgaben, so u.v.a.m. auch im Fall des Botanikers Helmut Gams (1893-1976). Gams wurde 1938 aus „rassischen Gründen“ die Lehrbefugnis als Privatdozent entzogen. Seine pflanzengeographische Expertise für die Länder Skandinaviens – im Frühjahr 1940 – und für weite Gebiete der Sowjetunion – von enormer Bedeutung ab Juni 1941 – war aber „kriegswichtig“, weshalb es auf Betreiben der Tiroler Gauleitung gegen den Widerstand von Rektor Steinacker zu einer informell teilweisen Rehabilitation von Gams gekommen ist.
Am 30. April 1940 feixte der Geologe Raimund von Klebelsberg in faschistischem Herrenton gegenüber dem strikt nazistischen Zoologie-Ordinarius Otto Steinböck, dass er im Vorfeld des deutschen Überfalls eine Begegnung von Gams mit dem „Führer“ in Berlin vermittelt hat. Gesucht war ein Experte „besonders aus den Gebieten südlich von Narwik. Ich antwortete ihm stante pede, ja einer wäre ohne weiters greifbar, aber es fehlt halt, wie bekannt, an den Großeltern – ‚das ist ganz wurscht‘ war gleich die Antwort, (…).“
Das Schreiben ist weniger wegen seines fragwürdigen Faktengehalts relevant, vielmehr als Dokument der unter Innsbrucks Universitätsprofessoren grassierenden „Hitlerverehrung“.
Rektor Steinacker wollte gegenüber dem stellvertretenden Gauleiter in Tirol und Vorarlberg Helmut Gams Ende 1942 endgültig von der Universität entfernt wissen, rabiat antisemitisch: „... ist der einer Unbedenklichkeit und Anmassung, die man angesichts seines physischen Typus wohl als jüdisch bezeichnen kann.“