Wissenschaftskommunikation:
Der Naturwissenschaftlich-Medizinische Verein Innsbruck (1870 gegründet)

1869 tagte die 43. Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte in Innsbruck. Hermann von Helmholtz hielt hier seinen bekannten Vortrag „Über das Ziel und die Fortschritte der Naturwissenschaften“. Unter dem Eindruck dieser Versammlung gründeten Innsbrucker Professoren der Medizin und der Naturwissenschaften 1870 den „nat.-med. Verein“.

Dies entsprach der zeitgemäß bürgerlichen Öffentlichkeit (Vortragseinladungen, Exkursionen, Schriftentausch, Publikationsreihen). In zahlreichen Universitätsstädten wurden gelehrte Gesellschaften als Medien moderner Wissenschaftskommunikation errichtet.

Bis in die 1960er Jahre zumeist blühende Vereine musste der Innsbrucker Zoologie-Professor Wolfgang Schedl 2000 in einer Ansprache „130 Jahre Naturwissenschaftlich-medizinischer Verein Innsbruck“ feststellen: „Naturwissenschaftlich-medizinische Vereine gab es im deutschen Sprachraum ca. ein Dutzend, u.a. einen in Jena und einen noch bis 1972 in Heidelberg. Bei letzterem fanden sich um 1972 keine Funktionäre mehr, die diese Institution führen wollten. Einen Naturwissenschaftlichen Verein gab es auch an der Universität Wien, in der Steiermark und in Kärnten existieren solche weiterhin sehr erfolgreich.“ (in: Berichte des nat.-med. Vereins Innsbruck 87, 2000, 391-397) Insgesamt verlagerte sich diese Variante von Vereinsgeschehen aber in die Richtung der jeweiligen Landesmuseen.

Im Oktober 2019 hat Prof. Erwin Meyer (Institut für Ökologie), langjähriger Redakteur der „Berichte“, dem Universitätsarchiv wertvolle Materialien aus der Vereinsgeschichte übergeben. Diese sind Grundlage für die folgenden Anmerkungen zu einer bedeutenden Wissenschaftsgesellschaft. (Vgl. Heinz Janetschek: Hundert Jahre Naturwissenschaftlich-Medizinischer Verein Innsbruck, in Berichte … 58, 1970, 1-12)

All diesen traditionellen, im späten 19. Jahrhundert gegründeten Gesellschaften hat vor allem ein grundlegender Wandel der universitären Öffentlichkeit zugesetzt. Groß geworden in einer Zeit begrenzten Vortragsangebots und großer „Wissensnachfrage“ waren sie spätestens seit den 1960er Jahren mit einem (sich spezialisierenden) Überangebot an „Information“ konfrontiert.

1954 war dies etwa noch einmal anders: Ein Vortrag des späteren Nobelpreisträgers Karl Frisch über „die ‚Sprache‘ der Bienen“ wurde zu einem Schlüsselereignis für den ganzen naturwissenschaftlichen Fachbereich. Frisch sprach in einem großen überfüllten Hörsaal. Viele Interessierte konnten den Hörsaal nicht betreten!

Bedeutende Gelehrte hatten es sich zur Ehre angerechnet, ein Studienjahr als Vereinsvorsitzender gewirkt zu haben. Dem Verein gehörten auch die späteren Nobelpreisträger Fritz Pregl, Adolf Windaus und Victor Franz Hess an.

Gelehrte von internationalem Rang blieben zumeist in Erinnerung an ihre Innsbrucker Lehrjahre dem Verein verbunden, so 1917 der renommierte „Entwicklungsphysiologe“ Wilhelm Roux [von 1889 bis 1895 Prof. der Anatomie in Innsbruck, nun in Halle], so 1918 Karl Heider [ein 1917 von Innsbruck nach Berlin berufener Pionier der modernen Biologie] oder der mit Innsbruck stets verbundene Wiener Botaniker Richard Wettstein.

Einige ausgewählte Auszüge aus den Vereinsprotokollen und Vereinsberichten bieten schönen wissenschaftsgeschichtlichen Einblick:

  • In der Gründungssitzung hat der bedeutende, später als Nachfolger von Ludwig Boltzmann in Graz lehrende Physiker Leopold Pfaundler am 18. März 1870 über „Rechenmaschinen“ gesprochen.
  • 1896 hat Josef Maria Pernter, Gründungsprofessor der Innsbrucker meteorologischen Lehrkanzel und späterer Direktor der Zentralanstalt für Meteorologie und Geophysik in Wien, zu „Einiges über den Föhn in Innsbruck“ referiert.
  • 1903 hat der Experimentalpsychologe Franz Hillebrand als Vereinsvorstand u.a. den nach Wien berufenen Mathematiker Wilhelm Wirtinger verabschiedet. 1915 spricht Hillebrand „zur Theorie der Lichtmischung“.
  • Der Begründer der „Gefügekunde der Gesteine“ Bruno Sander hielt wiederholt Vereinsvorträge, so 1912 über die Geologie der Zillertaler und Tuxer Berge, oder z.B. 1923 über die „Erfolge und Aufgaben des Röntgenisierens von Kristallen und Gesteinen“.
  • Karl Heider spricht 1913 über die „Bestimmung und Vererbung des Geschlechts“.
  • Arthur March, ab 1926 Professor für theoretische Physik, referierte zu den „Revolutionen“ in der Physik seit der Jahrhundertwende, 1917 „über die Erforschung des Atominneren“, 1920 über „Einsteins berühmte Relativitätstheorie“.
  • Auch Nobelpreisträger V.F. Hess hat vorgetragen, am 8. November 1932 über „erste Ergebnisse der Ultrastrahlenforschung am Hafelekar“.

 

Dokumente im Folgenden:

 

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