Sowi III: Der Fall „Armin Mohler“ (1966-1968)
Zum 1. August 1966 wurde der Wiener Dozent Herbert Schambeck erster Innsbrucker Professor für die „Wissenschaft von der Politik“. Zu einer ersten Aufgabe des neuen Extraordinarius zählte es, ein Habilitationsgutachten über die vom umstrittenen deutschen Publizisten Armin Mohler (Jg. 1920) eingereichte Schrift über die gaullistische „fünfte Republik“ (1963) zu erstellen.
Am 12. Dezember 1966 wurde dieses Gutachten in den Bericht der Dreier-Kommission – der neben Schambeck Clemens August Andreae und Ernst Kolb angehörten – übernommen: „Solche ‚wissenschaftliche Redlichkeit‘ (§ 1 AHStG) kennzeichnet Mohlers ‚Konservative Revolution‘ (1950) und ‚Die fünfte Republik‘ (1963), aber auch sein übriges Schrifttum.“ Kolb ergänzte als federführender Vorsitzender: „Der Berichterstatter konnte keine Mängel feststellen, wohl aber muss er darauf hinweisen, dass die Habilitationsschrift die erste deutschsprachige Darstellung des gaullistischen Regimes ist, dass der Habilitationswerber der deutschsprachigen Öffentlichkeit verhältnismäßig früh ‚Neue Institutionen in Frankreich‘ zugänglich gemacht und auch ‚Die Rolle der Ideologie in der fünften Republik‘ gebührend gewürdigt hat. Zur Geschichte der politischen Parteien liefert die 1958 erschienene Einführung ‚Die französische Rechte‘ einen Beitrag, der wünschen lässt, dass sich der Habilitationswerber weiterhin auch diesem Arbeitsbereich widmet.“
Mohlers Arbeiten entsprachen nach Auffassung der Kommission dem Beschluss der Fakultät, die „Wissenschaft von der Politik im Sinne einer empirischen Staats- und Verwaltungslehre“ zu pflegen. Im Gutachten angeführte Beispiele sollten zeigen, dass sich Politikwissenschaft in einem Spannungsfeld von normativer und „empirischer Staats- und Verwaltungslehre“ zu bewegen hat, wie dies Mohler am französischen Beispiel demonstriert habe.
Am 10. Jänner 1967 referierte Mohler im Rahmen des Kolloquiums über „Technokratie, gezeigt am französischen Beispiel“. Am 22. Februar 1967 wurde Mohlers Dozentur für „Wissenschaft von der Politik“ vom Ministerium bestätigt. Schon am 23. Dezember 1966 hatte Mohler Carl Schmitt über das laufende Habilitationsverfahren berichtet. (Vgl. Carl Schmitt – Briefwechsel mit einem seiner Schüler, hrg. von Armin Mohler in Zusammenarbeit mit Irmgard Huhn und Piet Tommissen, Berlin 1995, 375-377. Zuvor hatte Schmitt die Neuauflage von Mohlers „Deutschen“ begrüßt: „Vielen Dank für die Zusendung und beides: die zur gedruckten Widmung hinzugefügte schriftliche Widmung! Ich lese diese Taschenausgabe ebensogern wie die Original-Ausgabe. Es ist ein sehr gediegenes Buch und wäre eine ideale Grundlage für ‚politologische‘ Übungen.“)
Das Habilitationsverfahren Mohler verlief ohne öffentliche politische Beobachtung. Erst Tage nach bestätigter Dozentur geriet das Verfahren zur politischen „Affaire“. An Armin Mohler wurde nämlich fast zeitgleich in München der „Adenauer-Preis“ einer nationalkonservativen Stiftung verliehen. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete am 2. März 1967 über Armin Mohler, der dann gegen die Verbreitung der Behauptung vom seinerzeitigen „Überwechseln in die deutsche Wehrmacht“ mehrere einstweilige Verfügungen erwirkte: „Jeder der Preisträger begann, indem er Erstaunen äußerte, dass ihm der Preis zuerkannt worden sei. (…) ‚Dieser Preis verwirrt mich … das Feld, auf dem der Publizist wirkt ist ungesichert und unsicher. Es liegt draußen im Niemandsland … das gilt doppelt für das kleine Grüppchen konservativer Publizisten, die gegen den Strom zu schwimmen suchen.‘ (Armin Mohler). (…) Ergreifende Schilderungen der Einsamkeit wurden zu Gehör gebracht. Wie entsagungsvoll ist es doch, gegen den Strom zu schwimmen in einer Zeit, da ‚gewisse linke Kreise‘ überall die Hand am Drücker haben. Da muss ein anständiger konservativer Nationaler sich mühsam durchschlagen, als Professor an einer pädagogischen Hochschule und mit Forschungsstudien für Bundesministerien (bezahlt aus dem Reptilienfonds) über die Risiken der Abrüstung und der Entspannung (Ludwig Freund); oder man schlägt sich als Geschäftsführer einer großen Industrie-Stiftung [Siemens] und mit einem Exklusiv-Vertrag im Springer-Verlag durch (Mohler); (…) Solcherart sind die Leiden konservativer Wissenschaftler, Publizisten und Dichter in unserem Land. Einsam schwimmen sie gegen den Strom, bis sie einmal 10000 Mark Konrad-Adenauer-Trostpreis bekommen und in einer Feier der Universität der Geschwister Scholl die moralische Unterstützung der Gesellschaft vom Professor aufwärts bekommen.“
In Österreich wurde das Habilitationsverfahren mit einem weiteren halben Jahr Verzögerung zum Politikum, nachdem der konservative Innsbrucker „Volksbote“ am 2. September 1967 Mohler vorgeworfen hatte, unter dem Pseudonym „Michael Hintermwald“ in der rechtsextremen „Deutschen National- und Soldatenzeitung“ publiziert zu haben: „Nochmals sei’s geklagt: Dr. Armin Mohler ist Lehrbeauftragter für das Fach ‚Die Wissenschaft von der Politik‘ an der Universität Innsbruck. Dr. Herbert Schambeck, Ordinarius für Staatsrecht an den Universitäten Innsbruck und Linz und kulturpolitischer Bundesreferent des ÖAAB, begutachtete seine Habilitationsschrift. Die Amsterdamer Zeitung ‚De Tijd“ nennt Mohler einen ‚nationalistischen, hypergaullistischen Autor‘, der wegen seiner antisemitischen Auslassungen in seinem Buch ‚Was die Deutschen fürchten‘ in Deutschland stark umstritten ist.“
Abgeordnete der sozialdemokratischen Opposition griffen im Nationalrat den Bericht des „Volksboten“ auf. Am 27. Oktober 1967 erklärte die „Sozialistische Korrespondenz“: „In der Fragestunde am Mittwoch bestätigte der Unterrichtsminister, dass an der Universität Innsbruck kürzlich ein gewisser Dr. Armin Mohler habilitiert wurde. Dieser Herr bewarb sich am 24. März 1942 um Aufnahme an die Universität Berlin mit einem Gesuch, das von SS- und SA-Offizieren befürwortet und daraufhin bewilligt wurde. In einem eigenhändig unterfertigen Lebenslauf preist sich Mohler damals selbst als einen guten Nazi an.“
Die von Mohler in Vorwegnahme des „Historikerstreits“ der 1980er Jahre verlangte „Historisierung“ und „Enttabuisierung“ des „Dritten Reichs“ hat dazu geführt, dass die Verleihung des Adenauer-Preises an Mohler „in der demokratischen Öffentlichkeit Deutschlands – vom konservativen ‚Rheinischen Merkur‘ bis zur linksbürgerlichen ‚Zeit‘ – eine Welle der Empörung“ ausgelöst hat.
Heinz Fischer, damals Sekretär der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion, sah im Jänner 1968 in der „Zukunft“, der theoretischen Zeitschrift der SPÖ, den „Fall Armin Mohler“ in der Linie des Borodajkewycz-Skandals 1965. Unter Verwendung der „entlarvenden Äußerung“ von den „Kadavern der Juden“ denunziert Mohler die antifaschistische Erinnerung. Fischer zitiert: „Wenn ein überlebender Jude es ablehnt, sich unvoreingenommen mit Nationalsozialismus und Drittem Reich zu beschäftigen, so ist das nicht nur menschlich verständlich, sondern auch legitim. In den Diskussionen, die ich selber miterlebte, waren es meist Nichtjuden, die zu jener Formel griffen. Es war peinlich, wenn das Deutsche taten, die selber im Dritten Reich gelebt hatten und ihm darum durch soundsoviele Kompromisse verbunden bleiben. Sie wollten sich offensichtlich dadurch moralisch aufwerten. Aber ebenso peinlich war es, wenn junge Deutsche, die das Dritte Reich bloß vom Hörensagen kennen, das taten. Sie türmten die Kadaver der Juden, die nicht für sie gestorben waren, als Wall um sich auf, um Feldvorteil zu haben.“ (Zitiert aus Armin Mohler: Was die Deutschen fürchten. Angst vor der Politik – Angst vor der Geschichte – Angst vor der Macht, Seewald-Verlag, Stuttgart-Degerloch 1965, 171f. In der späteren Ullstein-Ausgabe heißt es statt „Kadaver der Juden“ nun „Leichen der Juden“. Vgl. Ludwig Elm (Hrg.): Leitbilder des deutschen Konservativismus. Schopenhauer, Nietzsche, Spengler, Heidegger, Schelsky, Rohrmoser, Kaltenbrunner u.a., Köln 1984, 233-245)
Dokument im Folgenden: