Theologie I: Johannes Kleinhappl (1947/48)
Dem Moraltheologen Johannes Kleinhappl (SJ, 1893-1979) wurde 1947/48 die eben erlangte Professur entzogen: „Am Weihnachtstag desselben Jahres, 25.12.1947, eröffnete mir P. Provinzial der österreichischen Ordensprovinz, Pater Georg Bichlmair (schon verstorben), dass ich über Weisung der Ordensleitung der Gesellschaft Jesu in Rom meine Vorlesungen sofort einzustellen, Innsbruck zu verlassen und nach Wien zu übersiedeln habe. Meine Arbeit sei von zwei Zensoren des Ordens überprüft und als bedenklich abgelehnt worden. Wer diese Zensoren waren, wurde mir, wie es im Orden Brauch ist, nicht mitgeteilt. Ihre Einwände wurden mir auf mein Verlangen bekannt gemacht. Sie gingen vor allem darauf hinaus, dass meine Anschauungen mit dem päpstlichen Rundschreiben Q.a. (Quadragesimo anno) nicht vereinbar seien. Es wurde mir keine Gelegenheit gegeben mich mit den Behauptungen der Zensoren auseinander zu setzen und dazu Stellung zu nehmen. Ich musste, wie schon gesagt, meine Vorlesungen sofort einstellen, Innsbruck verlassen und nach Wien übersiedeln. Den bekannten Rechtsatz: Audiatur et altera pars ließ man mir gegenüber nicht gelten.“
Eine Verfassungsbeschwerde Kleinhappls zur Wiedereinsetzung in die Professur wurde 1959 endgültig zurückgewiesen. „Damit war die Causa K. sowohl zur Zufriedenheit der Gesellschaft Jesu wie der Republik Österreich erledigt. Das ist, was ich berichten möchte. Erinnerung an bittere Erlebnisse weckt man nicht gerne auf.“ (UAI, Personalakt Johannes Kleinhappl, Brief von Johannes Kleinhappl an Gerhard Oberkofler vom 26. September 1972, unten noch Briefe 9. Oktober 1972, 9. März 1975 und 3. Oktober 1976 (jeweils in Kopie). Zu Kleinhappls jahrelang vergeblichem Kampf gegen die repressive Ministerialbürokratie vgl. die Dokumentation in Johannes Kleinhappl: Unus contra omnes. Der schwere Weg gegen den Strom – Dokumentation – Reflexion – Kommentar, Innsbruck-Wien 1996, 52-93. Das 1947 inkriminierte Werk Kleinhappls über „die soziale Frage. Wesen – Ursache, Lösung“ ist mittlerweile veröffentlicht in: ebenda, 95-212)
Auch wenn Kleinhappls Kapitalismuskritik sich oft nicht aus romantisch religiösen Fesseln zu lösen vermochte, weniger auf die Eigentumsverhältnisse als der jahrhundertealten Zinsverbotsdebatte folgend auf die „Geld- und Zirkulationssphäre“, also auf eine „Geldreform“ orientierte, brach der Marx‘ Arbeitswertlehre, Mehrwerttheorie aufnehmende Kleinhappl mit der anti-sozialistischen Verteidigung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse in der Tradition seines Innsbrucker Lehrkanze-vorgängers Joseph Biederlack, der in seiner in vielen Auflagen seit den 1890er Jahren erscheinenden „sozialen Frage“ das Privateigentum an den Produktionsmitteln als mit der göttlichen Ordnung voll vereinbar hinstellte, und der ganz enge Grenzen für eine mögliche Sozialisierung oder Verstaatlichung zog, so etwa 1922: „Das Privateigentum auch an den Produktionsmitteln ist aber eine Forderung des Naturrechtes und damit des christlichen Sittengesetzes, wie Leo XIII. z.B. in der Enzyklika Rerum novarum klar dargelegt hat. (…) Weil aber auch das Privateigentum an den Produktionsmitteln vom christlichen Sittengesetz gefordert wird, so lässt sich nicht einsehen, warum es nicht als Gegenstand einer Predigt dienen könnte und sollte. (…) Zudem wird durch die positive Offenbarung Gottes sowohl des Alten wie Neuen Testamentes das in Rede stehende Privateigentum bestätigt und bekräftigt.“
1947 wurde Kleinhappls Manuskript „Die soziale Frage. Wesen-Ursache-Lösung“ der innerkirchlichen Zensur unterworfen, ein Referent urteilte in deutscher Sprache: „Dass Verf. philosophisch das Element der Macht und ihrer wesentlichen Bedeutung im gesellschaftlichen Leben nicht geklärt hat, verursacht sein Mitgehen mit dem Sozialismus in der Auffassung von Klasse, Klassen-kampf und klassenloser Gesellschaft, verursacht seine, ihm selbst singulär vorkommende Auffassung von der inneren Be-grenzung des Privateigentums durch die Möglichkeit, es mit eigener Arbeit, aber nicht mit fremder Arbeit nützen zu können usw., verursacht seine Quadragesimo anno nicht entsprechende, Marx ausdrücklich billigende Auffassung vom Wesen der ‚kapitalistischen Wirtschaftsweise‘ und des Arbeitsvertrages, verursacht schließlich auch seine Betrugs- oder Gewaltthese, wo immer arbeitsloses Einkommen in der gesellschaftlichen Wirtschaft als Dauererscheinung auftritt. (…) Mit solcher Ver-fahrensweise läuft Autor Gefahr, die heute in manchen katholischen Kreisen verbreitete Auffassung und Ablehnung der Quadragesimo anno als ein ‚kapitalistisches‘ Dokument zu stützen.“
Johannes Kleinhappl hat Motive der Kritik an der katholischen Naturrechtslehre, wie sie der späte, deshalb auch im weltlichen akademischen Wiener Milieu geächtete August Maria Knoll 1962 in „Katholische Kirche und scholastisches Naturrecht“ formulieren sollte, vorweggenommen: Das katholische Naturrecht ist in seinen Hauptströmungen eine opportunistisch die jeweiligen herrschenden Verhältnisse rechtfertigende, eine akkommodierend vom sozialen Widerspruch auf das „Seelenheil“ ablenkende Ideologie. Sie legitimiert deshalb den Feudalismus, die koloniale Sklavenausbeutung, dann den Kapitalismus, konkret im Österreich der jüngeren Vergangenheit erst den Austrofaschismus dann nach 1945 die so genannte „soziale Marktwirtschaft“, die „Sozialpartnerschaft“.
Knoll, der den Mainzer Bischof Wilhelm Ketteler als einen „ersten katholischen Lassalleaner“ und den für Kleinhappl so wichtigen „roten“ Paderborner Pfarrer Wilhelm Hohoff als den „ersten katholischen Marxisten“ beschreibt, notiert: „Besonders wagemutig war Johann Keinhappl, der seine Wirksamkeit sogleich nach 1945 als ein Sozialrevolutionär im Jesuitenrock an der theologischen Fakultät der Universität Innsbruck begann und drei Jahre darauf, im Jahre 1948, Orden und Lehrkanzel verlassen musste, um in Wien – als einfacher Weltpriester weiterzuwirken, zuletzt in aufsehenerregender Weise bei der Arbeitstagung der ‚Arbeits-gemeinschaft katholischer Sozialisten‘ in Wien 1959. Keinhappl hatte zum Thema: ‚Marxsche Sozialanalyse und katholische Soziallehre‘ gesprochen, worin er Marx als Kapitalkritiker und Prophet einer klassenlosen Gesellschaft bejahte und Marx als Atheisten damit entschuldigte, dass ja ‚Marxens Bild von der Religion durch das herrschende Christentum seiner Zeit, von dem keine Umgestaltung der Gesellschaftsordnung zu erwarten war, bestimmt wurde‘.“ (August M. Knoll: Katholische Kirche und scholastisches Naturrecht. Zur Frage der Freiheit [1962], Neuwied-Berlin 1968, 67, 70f.)
Gegen die erdrückende Autorität von „Quadragesimo anno“ und gegen die dominierende katholische Soziallehre eines Oswald Nell-Breuning oder eines Johannes Messner rang sich Kleinhappl zur Forderung nach Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln durch. Er konnte im März 1975 nicht verstehen, dass die sozialdemokratische Wiener „Arbeiterzeitung“ mit Nell-Breuning den Schattenautor von „Quadragesimo anno“, einem Schlüsseldokument der „Ständestaats“-Ideologie des Dollfuss-Schuschnigg-Regimes, zu dessen 85. Geburtstag feierte. Er konnte am 3. Oktober 1976 noch viel weniger verstehen, dass „Dr. Johannes Messner von der roten Gemeinde Wien den Ehrenring“ erhält. Jener Messner, der in seinem „Naturrecht“ die bürgerliche Eigentumsordnung verteidigt und die Arbeiter mit Phrasen vom „gerechten Lohn“ ruhig stellen will, der deshalb zum „päpstlichen Hausprälaten“ und „Ehrendoktor juridischer Fakultäten“ aufgestiegen ist.
Vor allem aber blieb Keinhappl mit Recht unerklärlich, warum das „Rote Wien“ jenen Messner auszeichnet, der 1935 in seiner Dollfuß-Hagiographie davon gesprochen hatte, dass am 12. Februar 1934 der „bolschewistische Eiterherd“ des Austromarxismus glücklich liquidiert worden war, „dass es Kanzler Dollfuß und seiner Staatsführung im Augenblick der höchsten Bedrohung von Staat und Verfassung gelungen war, den marxistischen Umsturzversuch abzuschlagen.“ (Johannes Messner: Dollfuß, Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck-Wien-München 1935, 60)