Sowi II: Neue Sowi-Fächer. Politikwissenschaft, Soziologie

Am 18. April 1966 hatte der Ausschuss zur „Vorbereitung der [erstmaligen] Besetzung des Extraordinariates ‚Wissenschaft von der Politik‘“ ausgeführt: „Der Besetzungsausschuss hielt sich hinsichtlich des an erster Stelle vorzuschlagenden Kandidaten an die Empfehlungen, welche die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in ihrer Tagung vom 7.-9. Oktober 1964 in Kiel zu der Frage gefasst hat, in welcher Form sich die juristischen Fakultäten in Forschung und Lehre an der Pflege der Wissenschaft von der Politik beteiligen sollten. Diese Empfehlungen wurden bekanntlich vom Bundesministerium für Unterricht über das Rektorat der Universität Innsbruck auch der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät dieser Universität zur Stellungnahme zugeleitet. Die hiesige Fakultät hat sich für die Billigung dieser Empfehlungen ausgesprochen. Demgemäß war für die erste Stelle ein habilitierter Jurist ausfindig zu machen.“ Zusätzlich sollte der Inhaber der politikwissenschaftlichen Professur auch das Öffentliche Recht mitbetreuen.

In diesem Sinn war der zuvor in Wien habilitierte, in rechts- und sozialphilosophischen Fragen vor allem der „christlichen Gesellschaftslehre“ von Johannes Messner verpflichtete, in der ÖVP aktive Herbert Schambeck genannt: „Allen diesen Kriterien entspricht der an erster Stelle vorgeschlagene Univ.-Doz. Dr. Herbert Schambeck (Wien), (…). Schambeck ist für Rechtsphilosophie an der Universität Wien habilitiert und vermag auch auf eine Anzahl von Arbeiten auf dem Gebiet des positiven österreichischen öffentlichen Rechts zu verweisen. Schambeck war auch durch Jahre Assistent des bedeutenden österreichischen Lehrers des öffentlichen Rechtes Professor Dr. Adolf Julius Merkl.“

Die weiteren in den Dreiervorschlag aufgenommenen Kandidaten blieben Statisten, so die beiden zweitgereihten Dozenten Jakobus Wössner (Erlangen-Nürnberg, später Linz) und der von Clemens August Andreae unterstützte Gerhard Scherhorn (Köln). Der gerade in das Amt des Justizministers wechselnde Hans Klecatsky wollte den Marburger Politologen Kurt Lenk an die zweite Stelle setzen, fand hierfür aber keine Mehrheit.

Herbert Schambeck (Jg. 1934) lehrte nur knapp drei Semester in Innsbruck und wechselte zum Jahresende 1967 an die Linzer Hochschule, sodass die Juristenfakultät am 23. Jänner 1968 den Arbeitsrechtler Gerhard Schnorr interimistisch mit der Lehre der „Wissenschaft von der Politik“ beauftragte. Bemühungen des Nationalökonomen und Finanzwissenschaftlers Andreae, Armin Mohler mit der Vertretung zu beauftragen, waren erfolglos, zumal dieser in den Monaten nach seiner Habilitation 1967 zu sehr die Sphäre des vornehmen, Carl Schmitt und dem frühen Ernst Jünger verpflichteten Rechtsintellektuellen verlassen und damit seine Innsbrucker Förderer in eine peinliche Lage gebracht hatte. (Zur Lage der „Wissenschaft von der Politik“ an Österreichs Universitäten knapp nach 1970 vgl. Gustav E. Kafka: Allgemeine Staatslehre und Politikwissenschaft, in: Juristische Blätter 96 (1974), 493-506, sowie neuerdings Tamara Ehs: Über die Ursprünge der österreichischen Politikwissenschaft. Ein Blick zurück im Bologna-Jahr 2010, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 39 (2010), 223-241 oder Thomas König: Vom Naturrecht zum Behavioralismus und darüber hinaus. Konzeptionelle Grundlagen der Disziplin Politikwissenschaft in Österreich, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 41 (2012), 419-438)

Die politikwissenschaftliche Lehre wurde 1968/69 vom Arbeitsrechtler Gerhard Schnorr vertreten. 1969 wollte die Fakultät zwischenzeitig sogar überhaupt auf die Nachbesetzung verzichten. So wurde am 8. Juli 1969 beschlossen, stattdessen einfach Schnorrs Professur um ein Nominalfach zu erweitern: „Nachdem Prof. Schnorr das Sitzungszimmer verlassen hat, beantragt Prof. Nik. Grass auf Grund eines einstimmig gefassten Kommissionsbeschlusses, die Lehrverpflichtung von Prof. Schnorr ad personam unter Beibehaltung seines Ordinariates für Arbeitsrecht – und ohne Berufung auf die Lehrkanzel für die Wissenschaft von der Politik – auf Wissenschaft von der Politik zu erweitern sowie beim Bundesministerium für Unterricht die Zuerkennung von Biennien im Hinblick auf diese erweiterte Lehrverpflichtung und auf die seinerzeit nicht möglich gewesene Honorierung der Berufungsablehnung (auf eine Professur an die Hochschule nach Speyer) zu erwirken.“ Die Professur für „Wissenschaft von der Politik“ sollte in eine für Betriebswirtschaftslehre umgewandelt werden.

Erst Anfang 1971 wurde die politikwissenschaftliche Professur wieder ausgeschrieben. Die Assistentenvertreter – unter den Bewerbern fand sich auch der ehemalige Ermacora-Assistent Andreas Khol, später ÖVP nominierter Präsident des Nationalrats, forcierten einen Vorschlag in der Reihenfolge Klaus König, Gerhard Lehmbruch (Heidelberg/Tübingen) und Helmut Kramer (Institut für Wirtschaftsforschung Wien).

Nach vielen Kampfabstimmungen wurde am 7. Dezember 1971 der Vorschlag primo loco Klaus König (lehrte dann als Öffentlichrechtler Regierungs- und Verwaltungslehre an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer und war in den ersten Jahren der Kohl-Regierung ab 1982 Ministerialdirektor im Bonner Bundeskanzleramt), secundo loco Bruno Simma (soeben habilitierter Innsbrucker Völkerrechtler) und tertio loco Armin Mohler erstellt.

Die sozialdemokratische Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg sah in der Drittreihung von Armin Mohler eine Provokation (vgl. dazu Sowi III-Eintrag). Jedenfalls weigerte sich das Ministerium Anfang 1972 „mit einem der vorgeschlagenen Kandidaten Berufungsverhandlungen“ aufzunehmen. Im Februar 1972 beharrte die Fakultät auf ihrem Vorschlag: „Zu den Äußerungen des BMfWuF bzgl. des tertio loco gereihten Univ.-Doz. Dr. Mohler gibt Prof. Ulmer zu Protokoll, dass er sich für Mohler allein aus sachlichen Gründen eingesetzt habe, jede andere Unterstellung müsse er zurückweisen“: „Das Professorenkollegium betont zunächst nachdrücklichst, dass ihm mit der Nennung des Univ.-Dozenten Dr. Mohler jede Provokation ferngelegen hat. Es hat sich vielmehr einzig und allein von dem sachlichen Argument leiten lassen, dass Dr. Mohler nach wie vor von Rechts wegen die Lehrbefugnis besitzt und dass in einem Rechtsstaat parteipolitische Auseinandersetzungen auf keinen Fall als Maßstab für die Vollziehung von Gesetzen und die damit verbundenen objektiven Erwägungen dienen dürfen. (…) Zur Qualifikation Dr. Mohlers für die gegenständliche Lehrkanzel ist darauf hinzuweisen, dass dieser in seinen Publikationen ein besonders zeitnahes und rationales Verhältnis zur technokratischen Gegenwartsgesellschaft und zu ihren Problemen aufweist. Seine kompromisslose Kritik am klassischen formelhaften Konservativismus (vgl. seine Publikation ‚Konservativ 1969‘, in: Formeln deutscher Politik herausgegeben von H.J. Schoeps und Ch. Dannenmann, München 1969) deckt zahlreiche ungelöste Probleme und Irrwege der kapitalistischen Gesellschaft auf und kann mithin gerade für das sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Studium von eminenter Bedeutung sein. Es sollte hiebei nicht außer acht gelassen werden, dass einer der überzeugtesten Gegner des Konservativismus, Martin Greiffenhagen, in seinem Buch ‚Das Dilemma des Konservativismus (Piper-Verlag 1971)‘ Dr. Mohler in einem durchaus positiven Sinne würdigt.“

Schlussendlich blieb der Vorschlag ohnedies wirkungslos, da der mittlerweile in München Völkerrecht lehrende, knapp zuvor in Innsbruck habilitierte Bruno Simma nach über einem Jahr im April 1973 einen Ruf ablehnte.

Erst der von der noch ungeteilten Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät am 2. April 1974 mit der begrenzten Mehrheit von 18 Ja-Stimmen, 6 Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen beschlossene Vorschlag führte nach siebenjähriger Vakanz zur Besetzung der Professur, nun aber schon unter sozialwissenschaftlichen Vorzeichen, auch wenn alle im Vorschlag Genannten immer noch promovierte Juristen waren, so auch der zum 1. September 1974 berufene Anton Pelinka: Der Besetzungsausschuss hatte einen Vorschlag mit den Namen Siegbert Morscher [Innsbruck, Prof. des Öffentlichen Rechts, später Verfassungsrichter], Prof. Dr. Anton Pelinka, Dozent Peter Gerlich [Wien] und Rolf-Richard Grauhan [Bremen] erstellt.

1976 kam es zu der im Universitätsorganisationsgesetz 1975 vorgesehenen Teilung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultäten: Sowohl Peter Gerlich in Wien als auch der bei Norbert Leser in Salzburg habilitierte, zwischenzeitig an der Gesamthochschule Essen und dann an der Pädagogischen Hochschule Berlin lehrende Anton Pelinka in Innsbruck wählten eine Zuordnung der politikwissenschaftlichen Professur zur neu errichteten Sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. (Vgl. 40 Jahre Institut für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Eine Festschrift, hrg. von M. Senn, Innsbruck 2017)

 

Soziologie

Mühevoll wie die Besetzung der „Politologie“ war auch jene des fachnahen Ordinariats für Soziologie. Über vier Jahre von 1965 bis 1969 zog sich das vor allem von zahlreichen Rufablehnungen bestimmte Verfahren. Im Juli 1965 nannte die Fakultät ihren langjährigen Honorardozenten Emerich K. Francis (seit 1958 in München) vor dem politisch (wegen seiner Kontakte zu griechischen Rechtskreisen) umstrittenen ehemaligen Innsbrucker Dozenten Johannes Ch. Papalekas, nun in Bochum lehrend, und dem für Innsbruck eher nicht erreichbaren Friedrich H. Tenbruck. (Zur Entwicklung von Francis vom jugendbündisch katholisch deutschnationalen „böhmischen Volkstumskampf“, von der „Kulturgrenzen-Forschung“ in Richtung amerikanischer soziologischer Theorien (R. Merton oder T. Parsons), vgl. Karin Pohl: Die Soziologen Eugen Lemberg und Emerich K. Francis. Wissenschaftsgeschichtliche Überlegungen zu den Biographien zweier „Staffelsteiner“ im „Volkstumskampf“ und im Nachkriegsdeutschland, in: Bohemia 45 (2004), 24-76)

Auch der zwei Jahre später im Mai 1967 erstellte Vorschlag mit dem Mainzer Professor Helmut Schoeck und den ihm nachnominierten Professoren der Soziologie an der Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz Erich Bodzenta, Friedrich Fürstenberg und Jakobus Wössner endete ohne Berufungsergebnis.

Unter Bezug auf Schoecks Buch „Neid. Eine Theorie der Gesellschaft“ notierte die Fakultät: Schoeck ist als ein „bedeutender konservativer Soziologe“ ausgewiesen. Er „hat ebenso eindeutige Freunde wie Feinde, doch beziehen sich Gegnerschaften niemals auf seine Qualifikation, sondern mehr auf seine Grundposition. (…) Als Schüler von Spranger vermag er auch die Verbindung zur philosophischen Fakultät zu halten, die ja in Innsbruck keine soziologische Lehrkanzel besitzt. Einige seiner Publikationen lassen es auch als denkbar erscheinen, dass er der theologischen Fakultät aushelfen kann, die mit dem Weggang von Prof. Schasching einen schweren Verlust erlitten hat.“ (Über den zum „Conservative Movement“ (der USA) zählenden Kritiker der „Jugendrebellion“ von 1968 oder des „Spätmarxismus“ Helmut Schoeck (1922-1993, mit einer Arbeit über „Karl Mannheim als Wissenssoziologe“ bei Eduard Spranger in Tübingen 1948 promoviert) vgl. den biographischen Artikel von Dirk Käsler in: Neue Deutsche Biographie 23, Berlin 2007, 355f.)

Erst die im Juli 1969 erstellte Reihung: 1. Julius Morel (Innsbruck), 2. Lars Clausen (Münster, zuvor Assistent von Helmut Schelsky), 3. Josef Walleitner führte zum Erfolg. Friedrich Nowakowskis offensichtlicher Widerstand gegen die Berufung des Jesuiten Julius Morel blieb erfolglos. Nowakowski hatte für Karl-Otto Hendrich, Schüler von René König, an erster Stelle vor Lars Clausen und dem erst drittgereihten Morel plädiert.

Julius Morel, Mitglied des Jesuitenordens, wurde „im Jahre 1927 in Budapest geboren, hat die Studien der Philosophie und der Theologie mit Lizentiaten und das Studium der Soziologie mit dem Doktorat der Philosophie abgeschlossen und habilitierte sich im Jahre 1968 an der theologischen Fakultät der Universität Innsbruck für die Fachgebiete Soziologie und Religionssoziologie. Die Habilitationsschrift über ‚Religion in der kommunistischen Presse‘ ist in der Reihe der Veröffentlichungen der Universität Innsbruck erschienen. Für die Reihung Morels an erster Stelle waren insbesonders dessen Arbeiten auf dem Gebiet der empirischen Soziologie und dessen Bewährung als Lehrbeauftragter für Soziologie im Rahmen der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Studienrichtungen an unserer Fakultät maßgebend.“

So wie die an der neuen Linzer Hochschule lehrenden Soziologen Erich Bodzenta, Friedrich Fürstenberg und Jakobus Wössner gehörte auch Morel einem hermetisch verengten katholischen Soziologennetz an. Morel war im September 1968 an der katholisch theologischen Fakultät Innsbruck auf Grundlage eines Gutachtens des 1966 an die päpstliche Gregoriana berufenen langjährigen Jesuiten-Ordensprovinzials und „Sozialethikers“ Johann Schasching habilitiert worden. (Vgl. Tamás Meleghy: In memoriam Julius Morel (1927-2003), in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 39/1 (2004), 101-106)

Dokumente im Folgenden:

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