Wolfgang Gröbner (1899-1980), aus Gossensaß am Brenner stammend, lehrte von 1947 bis zu seiner Emeritierung 1969 an der Universität Innsbruck Mathematik. Gröbner gilt als einer der Pioniere der algebraischen Geometrie, der "Lie-Reihen-Forschung", im 20. Jahrhundert. Im folgenden finden sich u.a. mehrere biographische Würdigungen, so etwa eine durch den Wiener Mathematiker Edmund Hlawka. Anfang der 1990er Jahre wurde der wissenschaftliche Nachlass von Wolfgang Gröbner der Universität Innsbruck übergeben. Allein die vielen internationalen Anfragen nach den "Gröbner-Papieren" zeigen den weltweit renommierten Rang dieses Mathematikers.

Der für ein rational-mathematisches Weltbild eintretende Gröbner hielt als Freidenker wiederholt "Grenzprobleme"-Seminare ab. 1963/64 wurde ihm die Abhaltung dieser Seminare von der Philosophischen Fakultät nach Intervention des Bischofs von Innsbruck verboten.

Vgl. Peter Goller und Gerhard Oberkofler: "... dass auf der Universität für die Lehre, die dort vertreten wird, wirkliche Gründe gegeben werden!" Wolfgang Gröbner (1899-1980). Mathematiker und Freidenker, in: Österreichische Mathematik und Physik, hrg. von der Zentralbibliothek für Physik in Wien, Wien 1993, 9-30.

Wolfgang-Groebner 

Wolfgang Gröbners „Lie-Reihen-Mathematik“ und „Grenzprobleme-Seminar“ (1963/64)

Im Studienjahr 1963/64 wurde dem seit 1947 in Innsbruck lehrenden Mathematiker Wolfgang Gröbner (1899-1980) verboten seine an David Hume oder Immanuel Kant anknüpfenden, außerordentlich gut besuchten religionskritischen „Grenzprobleme“-Seminare, in denen er vor allem den Charakter der Theologie als universitärer Wissenschaftsdisziplin anzweifelte, weiter abzuhalten. (Zur Stellung von Gröbner in der mathematischen Wissenschaft des 20. Jahrhunderts, zur Anwendung der Gröbner’schen „Lie-Reihen-Forschung“ in Astronomie, Quantenphysik, in der Raketen-, Satelliten-, Flugzeugtechnik vgl. Roman Liedl und Heinrich Reitberger: Wolfgang Gröbner (11.2.1899-20.8.1980) zum Gedenken, in: Jahrbuch Überblicke Mathematik 1981, 255f. oder Edmund Hlawka: Laudatio auf Wolfgang Gröbner aus Anlass des 80. Geburtstages, in: Internationale Mathematische Nachrichten 124 (1980), 74-80, sowie u.a. Wolfgang Gröbner und Ferdinand Cap: The Three-Body Problem Earth-Moon-Spaceship, in: Astronautica Acta 5 (1959), 287-312.)

Der 1899 im Südtiroler Gossensaß als Sohn einer Hoteliersfamilie – nahe der Brenner-Grenze unter der besonderen Repression des italienischen Faschismus leidend – geborene Mathematiker Wolfgang Gröbner brach in den Jahren um 1930 mit dem ihm auch im Feldkircher „Stella matutina“ Jesuitengymnasium anerzogenen strengen Traditionskatholizismus. Gröbner wandte sich in den 1930er Jahren völkisch irrationalen, jede Vernunft zerstörenden Ideologien zu. Er las die Schriften der „konservativen Revolution“, etwa Paul de Lagardes „Schriften für Deutschland“ oder H.St. Chamberlains „Grundlagen des XIX. Jahrhunderts“. 1935 exzerpierte Gröbner E.G. Kolbenheyers 1925 veröffentlichtes „Bauhütten-Buch. Elemente einer Metaphysik der Gegenwart“. In seiner intellektuellen, stets von allen demokratischen oder sozialistischen Idealen abgeschirmten Isolation zeigte er auch Interesse für völkische Mythologien.

Nach 1945 zählte Gröbner dann zu den wenigen bürgerlichen Universitätsprofessoren, die sich nicht nur formal abstrakt, sondern auch inhaltlich mit der faschistischen Vergangenheit und dem eigenen wissenschaftlichen Einsatz für den Nazismus (im Rahmen der „Wehrmachtsmathematik“) auseinandersetzten. Karlheinz Deschners 1965 veröffentlichtes Buch „Mit Gott und den Faschisten. Der Vatikan im Bunde mit Mussolini, Franco, Hitler und Pavelic“ bot Gröbner etwa eine Grundlage für zahlreiche Essays in der Innsbrucker studentischen „Uni-Press“, so zur Rolle der Katholischen Kirche Kroatiens beim Massenmord an Serben während der Jahre der deutschen Okkupation.

Wolfgang Gröbner arbeitete nach 1945 an einer am axiomatischen Muster der Mathematik orientierten „rationalen Metaphysik“. Alle (religiösen) Dogmen müssen sich der mathematischen Denkweise stellen: „Man müsste nur die bisherigen Dogmensysteme in Axiomensysteme umwandeln und deren Widerspruchsfreiheit untersuchen: und zwar Widerspruchsfreiheit nicht nur gegenüber der Logik, sondern auch gegenüber den sittlichen Normen unseres Gewissens.“ 1954 wurden Gröbners „Postulate für eine neue Metaphysik“ sichtbar. Nach dem Vorbild der mathematischen Wissenschaft und beruhend auf dem Fortschritt der empirischen Wissenschaften soll ein Netz von formalen ethischen Prinzipien aufgebaut werden. Bereits Kant hat der Metaphysik die Mathematik zur Nachahmung empfohlen. Die Mathematik hat ihre Krise gerade durch Preisgabe ihrer dogmatisierten Grundlagen überwunden. Als Beispiel einer auch für gesellschaftliche Prozesse vorbildhaften Krisenlösung zitierte Gröbner den Übergang von der Newtonschen Physik zu Relativitätstheorie und Quantenphysik oder die Cantor‘sche Mengenlehre: „Die Krise der Mathematik war damit aber noch lange nicht beendet, sondern sie erreichte ihren Höhepunkt um die Jahrhundertwende, nachdem die Mengenlehre durch G. Cantor geschaffen worden war und das Operieren mit unendlichen Mengen nach rein formalen logischen Grundsätzen zu offenbaren Widersprüchen geführt hatte. Das wirkte auf die damaligen Mathematiker fast wie ein Schock und rief allgemein größte Bestürzung und Ratlosigkeit hervor. Es gelang zwar bald durch geeignete Vorsichtsregeln das Auftreten von Antinomien in der Mengenlehre auszuschließen, aber die Befriedigung darüber war nur halb, weil nun einmal der fatale Eindruck geblieben war, dass unsere Logik kein so unfehlbares Werkzeug ist, wie man seit Aristoteles geglaubt hatte, dass man vor allem nicht blindlings und gedankenlos mit ihr operieren darf ohne Gefahr zu laufen, in Irrtum zu fallen.“

In einem, im April 1958 im Wiener Institut für Wissenschaft und Kunst gehaltenen Vortrag „Der Beitrag der Mathematik zu einem modernen Weltbild“ führte Gröbner neuerlich seine These aus, wonach eine offene Revision von Dogmen weder zu „Anarchie“ führt noch einen apokalyptischen Endzustand auslöst, sondern vielmehr zu kultureller Erneuerung führt: „Das Weltbild muss die wissenschaftlichen Erkenntnisse der äußeren Welt wahrheitsgetreu enthalten und in logisch widerspruchsfreie Beziehungen untereinander setzen. (...) Die gegenwärtige Krise beruht darauf, dass die transzendenten Elemente durch Dogmen festgelegt sind und nicht abgeändert werden dürfen, auch wenn sie den eben ausgesprochenen Forderungen nicht genügen, aus Sorge, dass eine Revision der Grundlagen eine Gefahr für das Weiterbestehen der Kultur bedeuten könnte. Aber das Beispiel der Mathematik hat gezeigt, dass diese Sorge unberechtigt ist und gerade das Festhalten an den Dogmen die Existenz der Menschheit aufs Spiel setzt.“ (Wolfgang Gröbner: Über die gegenwärtige Krise unserer Kultur, in: Studium Generale 7/2 (1954), 122-130, hier: 124, 129 und UAI, Nachlass Wolfgang Gröbner, Vortragsmanuskript 1958.)

1963 forderten das bischöfliche Ordinariat und die theologische Fakultät die Professoren der philosophischen Fakultät und den Rektor der Universität Innsbruck auf, gegen Gröbners „Grenzproblem“-Seminar einzuschreiten. In Reaktion auf ein Gröbner-Papier über „Wissen und Glaube“ alarmierte Paul Rusch, der damalige Apostolische Administrator von Innsbruck-Feldkirch und angehende Bischof, im März 1963 „im Interesse der katholischen Hörerschaft“ die Theologieprofessoren: „Mir wird von verschiedenen sowohl Hochschülern wie auch einigen Universitätsprofessoren mitgeteilt, dass Herr Univ.-Prof. Dr. Gröbner, seines Zeichen Mathematiker, in seinen Vorlesungen fachwidrige Angriffe gegen die christlichen Kirchen einfügt und hierüber auch Kleinschriften an seine Hörer ausfolgt. Diese Kleinschriften stellen einen grundsätzlichen Angriff auf alle christlichen Kirchen dar. Es wurde mir nun mitgeteilt, man möge einen der Herren Theologieprofessoren bitten, mit ihm eine Besprechung durchzuführen etwa des Sinnes, was ihn, den anerkannten Mathematiker, veranlasse, Anschauungen zu vertreten, die seinem Fach ferne liegen und die seine Hörer nur befremden.“ Die Theologische Fakultät bezeichnete darauf wenige Monate später Gröbners Seminar als „unakademisch, die Art und Weise der Behandlung der Probleme als unwissenschaftlich und die sprachlichen Ausdrucksformen als beleidigend“. Die Theologen würden von Gröbner als „Hohlköpfe und Betrüger“ hingestellt. An Gröbners Thesen zur Religion, die nichts anderes bieten würden, „als in den Freidenkerversammlungen der zwanziger Jahre zur Verbreitung des Atheismus vorgebracht“ wurde, besonders verwerflich waren der theologischen Fakultät zufolge Formulierungen wie: „Es ist freilich einfach, unmündigen Kindern in der Schule solche Beweise beizubringen, und es ist auch nicht schwer, Studenten, die etwa vor einer philosophischen Pflichtprüfung stehen oder gewisse Voraussetzungen für ihre Karriere zu erfüllen haben, neben anderen Ungereimtheiten auch die Zustimmung zu derartigen theologischen Beweisen abzuverlangen.“ Gröbner zeichne in inkompetenter Weise ein Bild von Gott als einem „rasenden Hasser“, blasphemisch seien Bemerkungen wie: „Andererseits ist Gott nach magischen Gesetzen den Zaubersprüchen der Sakramente spendenden Priester unterworfen und muss die ihm eben noch verhasste Seele in dem Augenblick in Liebe umfassen, in dem die Taufzeremonie vollzogen wird.“ oder: „Alle jemals berichteten Wunder, wenn sie als solche angenommen werden, sind nur klägliche Taschenspielerkunststücke, die ein schlechtes Zeugnis von ihrem angeblichen Urheber abgeben.“

Wolfgang Gröbner erwiderte vergeblich, es gehe es nicht um eine respektlose Polemik gegen den privaten Glauben des Einzelnen, es müsse aber geprüft werden, ob die dogmatischen Wahrheitsansprüche der katholischen Kirche zu Recht bestünden oder pseudowissenschaftlicher Natur seien: „Tatsächlich jedoch tritt die Theologie mit dem Anspruch auf, ‚objektiv wahr und darum auch allgemein verbindlich zu sein‘ (Karl Rahner, Das Selbstverständnis der Theologie vor dem Anspruch der anderen Wissenschaften, Salzburg 1963, S.79). Ob dieser Anspruch zurecht besteht, muss kritisch geprüft werden und es kann keinesfalls unwidersprochen hingenommen werden, dass dieser Anspruch bestehen bleibe ‚unter Absehung davon, wie diese (theologischen) Aussagen gewonnen, wie sie verifiziert werden und welche Chancen sie haben, faktisch auch allgemein angenommen zu werden‘ (Karl Rahner, a.a.O). Denn wenn man diesen Anspruch gelten ließe, welcher Pseudowissenschaft könnte dann noch ihr Anspruch auf objektive Wahrheit und allgemeine Verbindlichkeit aberkannt werden?“

Im April 1964 konnte die den eigenen Fachkollegen unter Druck setzende Philosophenfakultät den Theologen unter Preisgabe der gleichzeitig rituell beschworenen „akademischen Lehrfreiheit“ mitteilen, dass man Gröbner zur Aufgabe seiner „Grenzproblem“-Seminare gezwungen hat, nicht zuletzt durch restriktive Zugangsbestimmungen, wonach also „die gesetzlichen Bestimmungen, nach denen nur inskribierte Hörer Zutritt haben können, jedenfalls eingehalten werden müssen“.

1976 erinnerte Gröbner noch einmal offen an den liberalen Kulturkampf an der Universität Innsbruck ein Jahrhundert zuvor, an den Kampf liberaler Professoren gegen die „Jesuitenfakultät“. In einem Essay „Der Streit der Fakultäten nach Immanuel Kant 1798 bis heute“ resümiert Gröbner leicht resignativ, aber ungebrochen kämpferisch: „Was Kant als selbstverständliches Recht und Pflicht der unteren Fakultäten herausgestellt hatte, nämlich die Lehren der oberen vom Standpunkt der reinen Vernunft aus zu prüfen, wird heute verboten, weil nicht nur die Prüfung ihrer Lehren, sondern ihre bloße In-Frage-Stellung wie eine Majestätsverletzung an der theologischen Fakultät zu werten und ahnden sei. (...) Heute ist es in der philosophischen Fakultät der Universität Innsbruck schon selbstverständlich, sich in allen Belangen der theologischen Fakultät unterzuordnen und beispielsweise fehlende Prüfer im Fach der Philosophie einfach von jener auszuleihen. Das wäre auch in Innsbruck vor 100 Jahren noch nicht möglich gewesen, wie der damalige Widerstand gegen die Errichtung der theologischen Jesuiten-Fakultät beweist.“ (Vgl. Peter Goller und Gerhard Oberkofler: „… dass auf der Universität für die Lehre, die dort vertreten wird, wirkliche Gründe gegeben werden!‘ Wolfgang Gröbner (1899-1908). Mathematiker und Freidenker, in: Wolfgang Gröbner – Richard von Mises – Wolfgang Pauli, hrg. von der Zentralbibliothek für Physik in Wien, Wien 1993, 9-49. Dazu auch Gerhard Oberkofler: Wissen und Glauben. Eine Diskussion zwischen den Mathematikern Leopold Vietoris und Wolfgang Gröbner, in: Philosophie und Wissenschaft in Vergangenheit und Gegenwart. Festschrift zum 70. Geburtstag von Herbert Hörz, hrg. von Gerhard Banse und Siegfried Wollgast, Berlin 2003, 315-337.)

 

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