Am 31. Jänner 2018 wurde mit einem Festakt das Innsbruck Center for Philosophy of Religion (ICPR) eröffnet. Das ICPR bündelt in Zukunft die international vernetzte und weit rezipierte religionsphilosophische Forschung an unserer Fakultät. Den akademischen Höhepunkt der Eröffnungsfeier bildete eine Disputation zweier Religionsphilosophen: Prof. Dr. Ansgar Beckermann (Universität Bielefeld) und Prof. Dr. Holm Tetens (Freie Universität Berlin) stellten sich der Frage „Was ist eine gute Religion?“ Die Mitschnitte finden Sie auf Video-Seite unserer Fakultät.
Für den Newsletter nutzten wir die Gelegenheit zu einem Interview mit dem Leiter des ICPR, Univ.-Prof. DDr. Christian Tapp. Weiter unten dokumentieren wir dann Auszüge aus der Eröffnungsansprache – ebenfalls von Christian Tapp – sowie die Grußworte der Vizerektorin für Forschung, Univ.-Prof. Dr. Ulrike Tanzer, und des Bischofs der römisch-katholischen Diözese Innsbruck, MMag. Hermann Glettler.
Lieber Professor Tapp, was ist die Zielsetzung des ICPR und an wen richten sich seine Forschungsergebnisse?
Das ICPR will vor allem religionsphilosophische Forschungen an der Universität Innsbruck bündeln und sichtbar machen. Die Ergebnisse dieser Forschungen richten sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Beispiel in Theologie und Philosophie, aber auch in anderen Fachgebieten, und nicht zuletzt an eine breitere Öffentlichkeit. Sehr viele Menschen sind an Grundfragen der Religionen interessiert, sei es, weil sie sich selbst fragen, wie ihre Glaubensüberzeugungen mit ihren sonstigen Überzeugungen zusammenpassen, sei es, weil sie sich einfach über das Phänomen „Religion“ umfassend informieren wollen. Religionen prägen unseren Lebensalltag nach wie vor. Es ist wichtig, Religionen zu verstehen, um religiöse Menschen zu verstehen. Nur so können wir die starken Triebkräfte der Religiosität vollumfänglich und produktiv in unser gesellschaftliches Leben integrieren. Die Philosophie leistet dazu einen wichtigen Beitrag, weil sie im Vergleich zur Theologie neutraler – nämlich nur der Vernunft verpflichtet – ist und im Vergleich zur Religionswissenschaft stärker inhalts- und geltungsorientiert.
Religionsphilosophische Forschung hat an unserer Fakultät eine lange Tradition; was ist vor diesem Hintergrund das Neue am ICPR?
Nicht immer muss alles neu erfunden werden. Manchmal ist es auch schon „neu“, wenn man das Vorhandene anders sichtbar macht oder zur Geltung bringt. Denn in der Tat steht die Katholisch-Theologische Fakultät für eine lange Tradition der Reflexion auf das Verhältnis von Glaube und Vernunft. Sie fand vor allem in der systematischen Theologie statt, während die „Christlichen Philosophen“ sich immer vor allem als Philosophen gesehen haben. Das tun sie auch heute noch, aber die Auseinandersetzung mit religiösen oder religiös relevanten Themen scheint mir eine verbindende Klammer zu sein, über alle innerphilosophischen Arbeitsschwerpunkte hinweg.
Neu sind vielleicht eine Reihe von Tendenzen: Die Teilnahme am professionellen Diskurs in der internationalen Religionsphilosophie, die Ausweitung auf nicht-christliche Religionen, die Orientierung am heutigen Mainstream der Philosophie, die mit großem Aufwand betriebenen Drittmittelprojekte, die Verstärkung von internationalen Kontakten durch Einladungen nach Innsbruck bzw. die Präsenz von Innsbruckern im Ausland, von Deutschland bis nach Vietnam und von Italien bis nach Großbritannien. Schon lange geht die Entwicklung am Institut für Christliche Philosophie in diese Richtung. Sie hat nun aber einen Punkt erreicht, wo gewissermaßen eine „kritische Masse“ dafür da ist, um das auch nach außen deutlich zu machen.
An welchen Projekten wird im ICPR derzeit konkret gearbeitet?
Die drittmittelgeförderten Projekte spannen derzeit einen breiten Rahmen auf. Sie reichen von Editionen mittelalterlicher Texte bis hin zu Großprojekten wie „Analytic Theology“, das an die derzeit aktuellsten Fragen im Schnittfeld von Religionsphilosophie und Theologie anknüpft. Daneben gibt es eine Reihe von spannenden Einzelprojekten, etwa über die Rationalität religiöser Überzeugungen oder über die Kritik des Bolzano-Schülers Franz Prihonsky an David Friedrich Strauß. Wichtig ist es aber, nicht nur Drittmittelförderung zu sehen, sondern auch die regulären Forschungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am ICPR, zum Beispiel über Willensfreiheit, Naturalismus, den klassischen Seelenbegriff, die Gottesbeweise, formallogische Rekonstruktionen klassischer Texte, bio- und medizinethische Fragen und vieles andere mehr.
Zum ICPR gehört auch ein Doktoratskolleg. Was hat es damit auf sich?
Mit dem Doktoratskolleg fördert die Universität Innsbruck das ICPR im Rahmen der Doktoratsausbildung. Doktorandinnen und Doktoranden, die philosophische Themen mit einem Religionsbezug bearbeiten, können sich um Aufnahme bewerben. Das Kolleg soll die Vernetzung untereinander sowie die wissenschaftliche Selbständigkeit etwa in Form von Kongress- und Vortragsreisen fördern. Daneben betreiben wir ein wöchentliches „Forschungsseminar“, in dem die Doktorandinnen und Doktoranden über den Fortschritt ihrer Projekte berichten oder internationale Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler spannende Forschungsvorträge halten.
Welche Frage wird einem Religionsphilosophen eigentlich viel zu selten gestellt?
Das ist schwer zu sagen. Zum Beispiel die Frage, warum seine Antworten immer so lang ausfallen. Er könnte darauf antworten, dass religionsphilosophische Fragen schon eine gehörige Portion Differenzierung verlangen und dass die Philosophie in der heutigen Universitätslandschaft permanent dem Druck der Selbstrechtfertigung ausgesetzt wird. Wir können nicht einfach neue Krebsmedikamente, neue Agrarprodukte oder technologische Innovationen versprechen. Daher müssen wir uns umständlicher rechtfertigen. Der Sinn der Philosophie hat etwas mit unserem Selbstverständnis als Menschen zu tun. Wer sind wir und was wollen wir als Menschen eigentlich? Wo kommen wir her? Was ist der Sinn unseres Daseins? Was können wir prinzipiell erkennen, was aussagen? – Dazu empfehle ich, den Text meiner Eröffnungsansprache des ICPR zu lesen. :-)
Viel wichtiger sind mir aber die inhaltlichen Fragen: Was soll man unter „Gott“ verstehen? Ist es vernünftig, gläubig zu sein? Wie verhält sich der christliche Schöpfungsglaube zu den Erkenntnissen der Naturwissenschaften? Haben die Gottesbeweise irgendeine Beweiskraft? Kann man mit religiösen Überzeugungen eigentlich eine bestimmte Moral begründen? Was macht eigentlich eine Religion aus? Gibt es bessere und schlechtere Religionen – und wie könnte man das beurteilen? Sind unsere religiösen Überzeugungen erkenntnistheoretisch irgendwie defizient? Soll man in den Glauben „springen“, oder Belegen oder Argumenten vertrauen? ... Ich könnte ewig so weitermachen. Ich freue mich persönlich, wenn ich an solchen Fragen merke, wie die teilweise Jahrhunderte alten philosophischen Fragen auch heute noch eine Studentin oder einen Studenten umtreiben!
Aus der Eröffnungsansprache von Univ.-Prof. DDr. Christian Tapp
Ein Forschungszentrum Religionsphilosophie – warum ausgerechnet Religionsphilosophie? Nun, man könnte darauf verweisen, dass es hier in Innsbruck und namentlich am Institut für Christliche Philosophie einfach eine große Expertise in diesem Bereich gibt. Es gibt eine stattliche Zahl von Philosophinnen und Philosophen, die neben ihren anderen philosophischen Arbeitsgebieten auch noch einen starken Religionsbezug haben. Und bekanntlich soll man Stärken stärken. Also, was liegt näher, als die Kräfte zu bündeln und das Bündel nach außen sichtbar zu machen? Wenn das alles wäre, wären solche Entscheidungen jedoch recht zufällig. Ich möchte lieber die inhaltliche Frage stellen, warum eigentlich speziell die Religionsphilosophie ein wichtiges Forschungs- und Lehrgebiet ist.
Man kann dazu gewissermaßen von der religiösen Innen- oder von der Außenperspektive her argumentieren.
Von innen betrachtet geben Religionen der Philosophie einiges zu denken. Religionen antworten auf Grundfragen des Menschen. Immanuel Kant hat die wichtigsten Grundfragen bekanntlich einmal so formuliert: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? – Tippen wir diese vier Fragen kurz an:
Was ist der Mensch? Religionen kommen mit einem bestimmten Menschenbild. Entspricht dieses Menschenbild unserem modern-aufgeklärten Verständnis vom Menschen als einem freiheitlich-autonomen Wesen?
Was darf ich hoffen? Religionen stellen Horizonte der Hoffnung bereit. Sind das Horizonte, die zu einem gelingenden sozialen Leben beitragen?
Was soll ich tun? Religionen prägen die Moral ihrer Anhänger. Ist die Moral einer Religion auch ein Baustein gelingenden Lebens? Dürfen wir es zulassen, dass Kinder in dieser Moral erzogen werden?
Was kann ich wissen? Fast alle Religionen stellen Behauptungen über eine transempirische Wirklichkeit auf. Sind diese Behauptungen vernünftig vertretbar? Und sind sie kompatibel mit unserem sonstigen Wissen, aus Alltag, aus den Naturwissenschaften und aus den anderen Wissenschaften?
Vier Grundfragen des Menschen – vier Antworten der Religionen – vier philosophische Fragenkomplexe.
Nun gibt es Menschen, die die meisten dieser Fragen für sich schon längst negativ beantwortet haben. Religionen behindern unsere wissenschaftliche Erkenntnis, vertreten eine Sklavenmoral und stellen lauter ungedeckte Schecks auf ein Leben nach dem Tod aus. Nun, auch wenn diese Sicht den Religionen nicht gerecht wird und auch wenn man das zeigen kann: es wäre mühsam. Schauen wir lieber auf eine weitere Argumentationslinie, von außen. Was hat unsere Gesellschaft von Religionen und davon, dass die Philosophinnen und Philosophen die religiösen Denkherausforderungen annehmen?
Der frühere deutsche Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde hat auf ein Dilemma freiheitlich-säkularer Staaten hingewiesen. Er schrieb:
„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“ (Böckenförde: Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, 60.)
Dieses Dilemma zwischen Freiheitlichkeit einerseits und dem Zwangscharakter regulativer staatlicher Maßnahmen andererseits, geht noch weiter, als Böckenförde es damals zum Ausdruck brachte. Der Staat muss das Zusammenleben der Menschen regulieren. Dazu schränkt er die Freiheit des Einzelnen zugunsten des Wohlergehens aller ein. Doch warum so und nicht anders? Ist das Strafrecht nicht letztlich Gegenstand demokratischer Prozesse? Könnten wir nicht auch demokratisch entscheiden, dass Folter erlaubt ist? Ja, das könnten wir entscheiden. Aber Folter würde durch eine solche Entscheidung nicht gut. Moral wird vom Staat nicht gemacht. Die moralischen Vorstellungen der Bürgerinnen und Bürger sind vielmehr Voraussetzungen für den demokratischen Willensbildungsprozess. Im Hintergrund idealer Gesetzgebung steht eine Art differenzierter moralischer Konsens der Gesellschaft. Dieser ist bei uns noch stark durch christliche Werte geprägt. Wie aber soll ein solcher gesellschaftstragender Konsens in Zukunft gebildet werden, wenn die Menschen nicht mehr mehrheitlich den Grundsätzen einer christlichen Moral folgen? Wenn muslimische Moralvorstellungen oder andere säkulare Moralvorstellungen einen derartig gewichtigen Teil der moralischen Landschaft unserer Gesellschaft ausmachen, dass sie verstärkt in den differenzierten moralischen Konsens einfließen müssen?
Jürgen Habermas spricht davon, dass die Religionen eine vorpolitische, moralische Grundlage für moderne Gesellschaften bilden (Habermas 2001). Diese Grundlage muss in den gesellschaftlichen Konsens integriert werden. Dazu muss sie mit Grundwerten unserer abendländisch-freiheitlichen Rechtsstaaten vermittelt werden: mit der Autonomie des Subjekts, mit der Schutzwürdigkeit menschlicher Personen, mit den individuellen Freiheitsrechten und mit dem demokratischen Entscheidungsprinzip. Auch diese Vermittlung ist eine Aufgabe der Philosophie!
Und schließlich ex negativo: Fast täglich werden wir mit schrecklichen Bildern von Kriegen, Attentaten, Terror und Gewalt konfrontiert, bei denen die Täterinnen und Täter durch religiöse Vorstellungen motiviert sind oder das zumindest vorgeben. Religiöse Überzeugungen sind extrem wirksam. Und daher ist es umso wichtiger, dass sie auch inhaltlich vernünftig reflektiert werden, um sie zunächst einmal überhaupt zu verstehen. Dann aber auch, um ihre Wirkung im Sinne unserer Grundwerte beeinflussen zu können. Religion kann zu Ideologie werden, wenn sie sich der rationalen Auseinandersetzung verschließt. Und Ideologien sind wirklich etwas Gefährliches, weil sie dem vernünftigen Diskurs und dem Appell an die Humanität nicht mehr zugänglich sind. Hier liegt eine wichtige Funktion theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten: Theologinnen und Theologen fühlen sich sowohl den säkularen Wissenschaftsidealen verpflichtet als auch ihrer Religion. So wirken sie auf die Studierenden, aber auch auf die Selbstverständigungsprozesse ihrer Religion ein in Richtung eines aufgeklärt-rationalen Standpunktes. Eine Religion, bei der auch die leitenden Vertreter sich in ihrem Studium den Ansprüchen der säkularen Vernunft aussetzen mussten, ist für unsere Gesellschaft sicher besser als eine Religion, die sich der Vernunft und der diskursiven Auseinandersetzung verschließt. Diese Auseinandersetzung muss aber eben auch auf der inhaltlichen Ebene der religiösen Überzeugungen, sprich: der konkurrierenden Wahrheitsansprüche geführt werden. Es nützt nicht viel, wenn Bischöfe NUR Kunstgeschichte oder, sagen wir, Juristerei oder Medizin studiert hätten. Der eigentliche Mehrwert entsteht erst dann, wenn die eigene Religion auch zu einem intellektuellen Abenteuer geworden ist. Wenn man eben keinen religiösen Sonderbereich im eigenen Leben pflegt, wenn man die eigene Religion nicht vom Zugriff der kritischen Reflexion ausnimmt, sondern darin einbezieht. Dann entstehen religiös mündige Bürger, von deren religiöser Positionierung keine Gefahr für die liberale Gesellschaft ausgeht, sondern ein großer Nutzen. Dann liefern Religionen etwas von dem Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält, dann organisieren sie Wohlfahrtseinrichtungen, helfen mit, gravierende Einzelschicksale abzufedern, dann bieten sie dem Einzelnen Orientierung und Sinn, und zwar solche, die unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung eben förderlich sind. – Ich betone noch einmal: Das funktioniert letztlich nur dann, wenn die religiösen Überzeugungen auch inhaltlich zum Gegenstand vernünftiger Reflexion und so zum Teil des öffentlichen gesellschaftlichen Diskurses werden. Und das ist eine gemeinsame Aufgabe von Philosophie und Theologie. Theologie führt diese Reflexion v.a. vom religiösen Standpunkt selbst aus. Die Philosophie führt sie eher im Namen der menschlichen Vernunft. Was sind die religiösen Überzeugungen einer bestimmten Religion? Wie lässt sich in klare Begriffe fassen, was in den Religionen selbst eher bildlich oder diffus bleibt? Was davon ist vernünftig und was nicht? Welche Kriterien für Vernünftigkeit kann man in Anschlag bringen? Welche Argumente sprechen für bestimmte Überzeugungen, welche dagegen? Welche Erklärungsleistung bieten die weltanschaulichen Annahmen einer Religion, können sie beitragen, eine integrative Sicht auf die Welt zu erzeugen? Welche Teile der religiösen Moral lassen sich ansatzweise auch ohne religiöse Annahmen begründen – und empfehlen sich daher als Grundlage eines gesellschaftlichen moralischen Konsenses? Und wie vernünftig ist es für den Einzelnen eigentlich, religiös zu sein?
Dies alles, meine Damen und Herren, sind zentrale Fragen der Religionsphilosophie. Mein Anliegen war es, in groben Strichen zu skizzieren, dass diese Fragen im Kernbereich dessen liegen, was eine Universität als Ort höchster Verpflichtung auf die Vernunft in einem freiheitlich-autonomen Rechtsstaat zu einem gelungenen Leben mit den Religionen beitragen kann.
Grußwort der Vizerektorin für Forschung, Univ.-Prof. Dr. Ulrike Tanzer
Im Jahr 2010 hat der deutsche Wissenschaftsrat, der in Fragen von Wissenschaftspolitik die Bundes- und Länderregierungen berät, „Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsspezifischen Wissenschaften an deutschen Hochschulen“ veröffentlicht. (https://www.bmbf.de/files/WissenschaftsratEmpfehlung2010.pdf) Der Blick in diese Empfehlungen lohnt. Hier lotet eine staatliche Einrichtung das Potenzial der Theologie im Kontext von Universität, Gesellschaft und Kirchen aus. Zum einen wird die besondere Stellung der Theologie betont, zum anderen schaut man auf Gemeinsamkeiten mit anderen universitären Disziplinen (Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaften und Philosophie). Ich greife hier nur einige Punkte heraus:
- Das Gremium plädiert dafür, dass die Theologie weiterhin an staatlichen Hochschulen verankert sein soll.
- Weil die Kirchen als „Resonanzraum für theologische Forschung“ an Bedeutung verlieren, muss sich Theologie vermehrt um „Ausstrahlungskraft“ bemühen. (S. 66) Gerade im Bereich der Third Mission ist ein großes Aufgabenfeld vorhanden.
- Die Fakultäten selbst sollten sich in Forschung und Lehre stärker vernetzen, und zwar intra- wie interdisziplinär. (Vgl. ebd.)
- Mit der Einrichtung des neuen Forschungszentrums für Religionsphilosophie / ICPR (Innsbruck Center for Philosophy of Religion) verfolgt die Katholisch-Theologische Fakultät – und hier insbesondere das Institut für Christliche Philosophie – den hier beschriebenen Weg. Philosophie ist ein integraler Bestandteil der Theologie in Lehre und Forschung. Ziele in der Lehre sind kritische Urteilsfähigkeit und Kompetenz im Umgang mit dem religiösen Erbe in der heutigen Zeit, Argumentationsfähigkeit in religiösen Kontexten, eine kritisch-abwägende Grundhaltung sowie die Förderung des Differenzierungsvermögens. In der Forschung liegen die Schwerpunkte in den Bereichen Sprachphilosophie, Ontologie/Metaphysik, philosophische Gotteslehre, Erkenntnistheorie und Philosophie des Mittelalters. Insgesamt ist das Institut international eine führende Adresse.
Rektorat, Senat und Universitätsrat der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck begrüßen die Einrichtung des neuen Forschungszentrums, das religionsphilosophische Kompetenzen bündelt und damit dieses wichtige Forschungsparadigma einer inner- und außeruniversitären Öffentlichkeit gegenüber sichtbarer macht.
Das Institut ist erfreulich offen für die Zusammenarbeit mit anderen religionsphilosophisch arbeitenden Kolleginnen und Kollegen. Das Forschungszentrum bietet die geeignete Plattform, um die internationalen Kontakte weiter zu stärken, den wissenschaftlichen Austausch zu fördern und um Innsbruck als eine Art „europäisches Gravitationszentrum für Religionsphilosophie“ (Rektor Tilmann Märk) zu etablieren. Die Einladung der zwei renommierten Gastvortragenden ist ein eindrucksvolles Zeichen.
Der Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann, Mitglied der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Berater verschiedener Kommissionen der Deutschen Bischofskonferenz, hat in einem Vortrag kürzlich die Herausforderungen der Theologie in Gesellschaft, Universität und Kirche skizziert. (Benedikt Kranemann: Vortrag an der Theologischen Fakultät der Universität Salzburg zur Semestereröffnung, 3.10.2017, unveröffentlichter Text.) Darin formuliert er drei Zukunftsaufgaben, die ich Ihnen schlagwortartig nenne:
- Theologie gehört von ihrem Selbstverständnis her in die Öffentlichkeit.
- Die Ausdifferenzierung der Theologie ist mit Blick auf die Herausforderungen der Gegenwart von Gewicht.
- Die Sorge um den wissenschaftlichen Nachwuchs ist für die Weiterentwicklung theologischer Forschung und Lehre von zentraler Bedeutung.
Das Forschungszentrum könnte und sollte die Möglichkeit bieten, sich diesen Aufgaben entsprechend zu stellen. Im Namen des Rektorats wünsche ich Ihnen alles Gute für Ihre zukünftige Arbeit: inspirierende Diskussionen und nachhaltige Impulse für die Universität, für die Kirche und die Gesellschaft.
Grußwort des Bischofs der römisch-katholischen Diözese Innsbruck, MMag. Hermann Glettler
Als neuer Bischof der Diözese Innsbruck gratuliere ich ganz herzlich zur Eröffnung eines weiteren Forschungszentrums an unserer Theologischen Fakultät.
Für die hier Versammelten ist die Bedeutung der Philosophie für die Katholische Theologie und für die Mission der Kirche im je spezifischen soziokulturellen Kontext selbstverständlich. Es erübrigt sich an diesem Ort, darauf hinzuweisen, dass es keinen reifen, weltbewussten und kommunikationsbereiten Glauben ohne die permanente Mühe des kritischen Denkens geben kann. Dazu gehören nicht nur eine Grundkenntnis der wichtigsten philosophischen Denktraditionen, sondern selbstverständlich auch die Auseinandersetzung mit der Religionskritik und die Befähigung zur Standortbestimmung von Theologie in der Auseinandersetzung mit der klassischen Moderne. Durch ein qualifiziertes Philosophiestudium soll die Argumentations- und Urteilsfähigkeit geschult werden. Damit wird eine Basis gelegt, die für die Kernfächer der Theologie unersetzlich ist, aber vor allem auch im Bereich christlicher Spiritualität als Handwerkszeug zur Unterscheidung der Geister von unschätzbarem Wert ist. 2011 ist ein römisches Dokument zur Stärkung der Bedeutung des Philosophiestudiums innerhalb des Theologiestudiums herausgekommen, das gewisse Pflichtfächer als unabdingbar einfordert (z.B. Logik, Erkenntnistheorie u.a.). Ich darf stolz darauf hinweisen, dass diese Fächer in Innsbruck immer schon standardmäßig zur Philosophie-Ausbildung gehört haben. Ausdrücklich möchte ich in diesem Grußwort das Institut für Christliche Philosophie an unserer Theologischen Fakultät würdigen. In dieser Größe ist es im deutschsprachigen Raum singulär – derzeit besetzt mit zwei Universitätsprofessoren und fünf weiteren Professoren im Mittelbau.
Das soeben lobend skizzierte Selbstverständliche – fides quaerens intellectum, Philosophie als Voraussetzung und Partnerin für eine ernsthaft betriebene Theologie – ist zur Frage geworden. In der Vielfalt religiöser Bekenntnisse und in der für die späte Postmoderne typischen Einflachung spezifischer Profile scheint die Anstrengung zur Klärung der Begriffe überholt zu sein. Religion reduziert sich in dieser relativierenden Sicht auf Emotion. Zu glauben ist, was sich gut anfühlt. Wahr ist, was gut tut. Irrationalität ist kein Problem, ganz im Gegenteil, es weckt Interesse. Sich in ein umfassend großes Ganzes einzufühlen, scheint in diesem religiösen Fluidum schon das Maximum an Bekenntnis zu sein. Eine auf Ratio und Urteilskraft setzende Hinterfragung des Geglaubten erübrigt sich in dieser Weichzeichnung spiritueller Vielfalt. Eine kritische Philosophie der Religion(en) würde dieses wohltuende Einverständnis nur stören.
Die zweite aktuelle Infragestellung der Bedeutung von Philosophie im Lehrgebäude der Theologie speist sich aus einer Überbewertung der übernatürlichen Dimension von Offenbarung, die es ganz gerne verdrängt, dass Gott in seiner Offenbarung zu den Menschen nach Menschenart spricht. Es ist die religiös-fundamentalistische Infragestellung. Man gibt zu verstehen, dass es besser sei, den menschlichen Verstand auszuschalten, um Gottes Offenbarung zu erfassen. Frei nach der Devise: Je unverständlicher, desto göttlicher. Das unvermittelt von oben, scheinbar von Gott selbst Diktierte ist das nicht zu hinterfragende Glaubensgut. Das logische Denken steht unter Verdacht, Gott bevormunden bzw. ihm unsere Denkschemata aufzwingen zu wollen. Eine sich in dieser Weise selbst behauptende rechtgläubige Theologie müsse sich doch nicht vor einem „weltlichen Denken“ rechtfertigen. Unreflektierte Offenbarungsverständnisse dieser Art führen nicht nur auf der Basis der tradierten Gottesoffenbarungen zu Gesprächsverweigerungen, sondern öffnen im Grunde auch der Behauptung aller möglichen Sonderoffenbarungen und esoterischen Lehren Tür und Tor. Gerade angesichts dieser Infragestellungen braucht es eine qualifizierte philosophische Reflexion über den Ausgangspunkt, die Entwicklung und das Selbstverständnis von Religion. Vor allem wird dabei der Selbst- und Weltbezug des Menschen Gegenstand der Reflexion sein. In dieser Wertschätzung der zukünftigen Arbeit des neuen Forschungszentrums gibt es nun auch eine deutliche Schützenhilfe aus Rom. Papst Franziskus will die Arbeit und Gestaltung kirchlicher Hochschulen und Fakultäten neu formieren und aktuellen Herausforderungen anpassen. Dazu veröffentlichte der Vatikan am 29. Januar 2018 eine Apostolische Konstitution mit dem Titel „Veritatis gaudium“ (Freude der Wahrheit).
Für kirchliche Fakultäten, Institute oder auch theologische Fakultäten an nicht-kirchlichen Universitäten formuliert der Papst vier Kriterien:
- Kontemplation und Verinnerlichung: Es gehe darum, das Wesen der christlichen Botschaft intellektuell, geistlich und existenziell angesichts der globalen Veränderungen neu zu verstehen;
- Kultur der Begegnung: Es braucht einen Dialog auch mit nicht-katholischen oder nicht-religiösen Fachleuten als Mittel, die Wahrheit besser zu erkennen;
- Konzentration auf das Wesentliche: Bei aller fachlichen Differenzierung und unterschiedlichen kulturellen Ausdrucksformen von Wissen ist es notwendig, dieses zu bündeln;
- Vernetzung des Wissens: Es braucht ein Netzwerk von Einrichtungen sowie Forschungsschwerpunkte, die sich auf das Studium der „epochalen Probleme“ von heute konzentrieren und dazu „geeignete, realistische Lösungsvorschläge machen“.
Kirchliche Studien könnten sich nicht darauf beschränken, Wissen, Fähigkeiten und Erfahrungen zu vermitteln, heißt es im neuen Schreiben des Papstes. Vielmehr gelte es intellektuelle Instrumente zu entwickeln, „die sich als Paradigmen eines Handelns und Denkens erweisen, die für die Verkündigung in einer Welt, die von einem ethisch-religiösen Pluralismus geprägt ist, nützlich sind“. In diesem Zusammenhang sei die Schaffung „neuer qualifizierter Forschungszentren unerlässlich, in denen Wissenschaftler mit unterschiedlichem religiösen Hintergrund und aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen mit verantwortungsvoller Freiheit und gegenseitiger Transparenz interagieren können“.
Durch die Errichtung des neuen Forschungszentrums kommen wir dieser Forderung des Papstes mit einer Promptheit nach, die ihn vielleicht selbst verlegen machen würde. Das Institut für Christliche Philosophie steht nun ausdrücklich allen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen offen, die im Bereich der Religionsphilosophie arbeiten möchten, und ist ebenso für den Dialog mit interessierten Personen außerhalb der akademischen Community bereit. Die internationale Ausstrahlung, die das Institut jetzt schon stolz vorweisen kann – Postdocs in vielen Forschungsprojekten, viele internationale Doktoranden, zu einem großen Teil auch über das Canisianum –, wird dadurch wohl noch stärker werden. Ich bin dankbar für die Arbeit an diesem Institut und an unserer Fakultät insgesamt. Das hohe begriffliche und argumentative Niveau der in Innsbruck geforschten und gelehrten Theologie ist ein wichtiger Beitrag zur Gestaltung der Weltkirche. Ein solches Niveau setzt eine starke Philosophie voraus!
Herzlichen Glückwunsch zur Gründung des neuen Zentrums, und – aufgrund des soeben publizierten Schreibens aus dem Vatikan – übermittle ich dafür nicht nur den bischöflichen, sondern ein wenig auch den päpstlichen Segen!