Der Innsbrucker Forschungscluster Kommunikative Theologie beschäftigt sich im Vorfeld des 5. Kongresses Kommunikative Theologie „Moving Home – Heimat im Europa der Gegenwart“ vom 21.-23.05.2020 in Graz intensiv mit den schillernden Aspekten dieses vielgebrauchten Begriffes. Ein Anlass, um mit Annemarie Hochrainer und Maria Juen darüber ins Gespräch zu kommen.
Wie kommt ihr zum Thema „Heimat“?
Maria Juen: Erstmals kam das Thema im Kontext der Migrationsbewegungen 2015 in den Blick. Unter dem Titel „Moving Home“ hat sich damals eine Arbeitsgruppe intensiv mit den Fragen rund um das Thema Heimat und mit dem umstrittenen Begriff selbst auseinandergesetzt. Auffallend war und ist, dass der Begriff plötzlich nicht nur im politischen, sondern auch im wissenschaftlichen Diskurs hochaktuell wurde und ist. Ein wichtiger Meilenstein war sicherlich das gemeinsame Symposion mit der Katholisch-Theologischen Fakultät in Split, das wir gemeinsam mit der Religionspädagogin Jadranka Garmaz, die an unserer Fakultät bei Matthias Scharer promovierte, in Sinj und Split organisiert haben. Gemeinsam mit unseren kroatischen Kolleg*innen an der Theologischen Fakultät teilen wir das Anliegen, dieses umstrittene Wortfeld aus mehr als einem Blickwinkel zu beleuchten und in die wissenschaftliche Diskussion zu bringen. Besonders interessant war und ist zu sehen, wie anders der Begriff vor dem Hintergrund der jüngsten kroatischen Geschichte interpretiert wird. Aber genau da wird es ja spannend, denn gerade das Fremde, Störende und mitunter auch Verstörende hat für die Kommunikative Theologie eine zentrale Bedeutung, jener Moment, wo es prickelt, wo es Spannungen, Störendes gibt.
… eigentlich möchte man doch wissenschaftliche Theorien störungsfrei halten, oder?
Annemarie Hochrainer: Ja, das mag für ein eher abstrahierendes, harmoniebedachtes Verständnis von Wissenschaft sprechen. Der Ansatz der Kommunikativen Theologie arbeitet eher praktisch-theologisch und damit immer mit der ungereimten und konfliktbehafteten Wirklichkeit. In dieser epistemologischen Herangehensweise – so gesehen – scheinen Störungen als erkenntnisproduktiv auf. Sie können auf nicht beachtete Fragen, zu kurz gekommene Anliegen und ausgeblendete Themen hinweisen. Die Schatten in unserem wissenschaftlichen Betrieb.
Was ist Kommunikative Theologie?
MJ: Kommunikativ-theologisch arbeiten bedeutet, sich in einer bestimmten Haltung, einer Kultur des Nachdenkens, die interdisziplinär und besonders erfahrungszugewandt ist, einzuüben. Biographische und kollektive Erfahrungen werden als loci theologici für diese Theologien relevant. In Innsbruck ist der Forschungscluster im Forschungszentrum Religion-Gewalt-Kommunikation-Weltordnung verortet. Seit ca. 2002 wird diese vielfältige Art des Forschens und Arbeitens im Internationalen Forschungskreis vorangetrieben. Zwei Bandreihen und bisher vier Kongresse verdeutlichen die Ergebnisse.
Wer macht Kommunikative Theologie?
MJ: Begonnen haben der Innsbrucker Religionspädagoge Matthias Scharer, der Tübinger Dogmatiker Bernd Jochen Hilberath sowie der systematische Theologe Bradford Hinze (New York), die versuchten, Theologie konsequent aus den Kommunikationsprozessen mit den Menschen zu gewinnen. Es entwickelte sich eine Methodologie für ein prozesssensibles und offenes Verfahren, Theologie aus der Beachtung unterschiedlicher „Orte“ zu generieren. Momentan leiten die Grazer Dogmatikerin Gunda Werner, der Wiener Ethiker Gunter Prüller-Jagenteufel und ich den Internationalen Forschungskreis. Der Cluster in Innsbruck wird von Martina Kraml und Christian Bauer koordiniert.
Was erwartet die Leser*innen des Bandes „Vielfältige Heimat(en)“, der demnächst erscheinen wird?
AH: Ich möchte mit Ernst Bloch sagen, Heimat ist „etwas, das allen in die Kindheit scheint, und worin noch niemand war“. Sie führt uns zu zurückliegenden Gefühlen und zu einer eigentümlichen Sehnsucht. Die Erfahrungen des Verlustes und der Bedrohung von Heimat erschüttern tiefe Schichten. In unserem Band sind viele Stimmen konsequent zweisprachig (kroatisch/deutsch) versammelt. Biblisch setzt z.B. Domagoj Runje an und sucht Anknüpfungspunkte für die kroatische Gegenwart. Gunda Werner interpretiert den Heimatbegriff als geschichtlich konstruiert. Christian Bauer prüft die Pluralitätstauglichkeit eines christlichen Heimatverständnisses. Er plädiert für multiple Heimaten.
Ist nicht gerade „Heimat“ ein zerstörerisches Wort?
MJ: In der Tat ist vor allem die politische Funktionalisierung zu kritisieren. Hierfür macht sich Bernhard Grümme stark. Ihm geht es um eine Dekonstruktion der hegemonialen Ausrichtung des Konzepts „Heimat“ und gleichzeitig um ein Bewahren des kritisch-konstruktiven Potentials. Gewissermaßen „das Kind nicht gleich mit dem Bade ausschütten“. Die zerstörerische Seite kommt auch in den Perspektiven kroatischer Kriegsveteranen zu Wort. Gina Šparada und Boris Vidović beschäftigen sich mit den Konsequenzen des Krieges, die diese Personen tragen müssen.
Ich kenne das Wort „Heimat“ zumeist aus der Ecke der „Neuen (und alten) Rechten“?
AH: Ich denke gerade in unserer Zeit, in welcher populistische Töne sich so oft in den Mantel von Heimatschutz kleiden und immer lauter werden, ist es wichtig, das Friedenspotential unserer gemeinsamen Beheimatung in Europa herauszuarbeiten. In dieser Hinsicht vergegenwärtigt Matthias Scharer ein vielfältiges Miteinander in einem postmigrantischen Europa. Gerade die politischen Implikationen der Themenzentrierten Interaktion nach Ruth Cohn zieht er für ein couragiertes Eintreten für eine Lebensberechtigung aller neu in Betracht.
Muss es denn immer ein Ort sein?
AH: Mir ist die „Heimat im Wort“, wie sie Ottmar Fuchs aufzeigt, ein wertvoller Zugang. Er generiert einen Heimatbegriff „inversiver Offenheit im Wider-Stand gegen nationale und religiöse Fundamentalismen“. Sprachen und Gedichte sind solche Beheimatungsräume, die so etwas bieten können. Die Erfahrungshorizonte unglaublich vieler junger Menschen, der Digital Natives, die in permanenter Mobilität und Aktivität ort-los leben, bringt Christian Henkel in die Diskussion. Im Nirgendwo gewissermaßen, als Young Professionals hypermobil, studieren, arbeiten und leben sie an mehreren Orten gleichzeitig. Er stellt sich die Frage, welche Knotenpunkte diesen Erfahrungen „räumliche Verankerung“ sein könnten. Er meint, dass für sie die Religionsgemeinschaft nicht mehr im Zentrum ihrer Welt stehen kann. Rund um Heimat(en) kreisen auch Anđelko Domazet, Nicole Bauer, Jadranka Garmaz, Mihael Prović und Sabina Marunčić, sowie Roman Siebenrock, die für diesen Band 21 der Reihe Kommunikative Theologie einen Artikel geschrieben haben.
Wie geht es mit den Erkenntnissen nun weiter?
MJ: Ich denke, dass wesentlich für die Kommunikative Theologie die Prozessoffenheit ist. Ein wesentliches Anliegen in der Auseinandersetzung mit Heimat bleibt sicherlich, Ausgrenzungsdynamiken in der Gesellschaft wahrzunehmen und zu bearbeiten. Dabei geht es nicht um einfache Lösungen oder endgültige Antworten. Wir ringen um einen balancierten Heimatbegriff, der zu einem friedlichen Miteinander beitragen kann und setzen unsere Arbeit am 5. Kongress fort, der im Mai in Graz stattfinden wird.
Wo seid ihr beide daheim?
AH: Das frage ich mich verstärkt, seit meine Mutter gestorben ist. Mit ihr habe ich auch Heimat verloren. Daheim bin ich hier und dort, bei Menschen, in Worten, manchmal zwischen Zeilen, in der Erinnerung, bei mir allenthalben.
MJ: Auch für mich sind es vor allem Menschen, die mir ein Gefühl von Beheimatung geben. Aber auch Landschaften prägen mein Heimatgefühl stark, das merke ich immer dann, wenn ich an meinen Geburtsort in Oberösterreich zurückkomme.
Danke für das Gespräch!
Annemarie Hochrainer ist Universitätsassistentin Postdoc am Institut für Praktische Theologie, Fachbereich Katechetik/Religionspädagogik und Religionsdidaktik. Maria Juen arbeitet als Senior Lecturer am selben Institut.
Das Gespräch führte Irmgard Klein.