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Im Fokus

Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen – Gastbeitrag von Jörg Alt

„Eminenz, ich wende mich an Sie um das ungebührliche Verhalten (von) Pater Jörg Alt (anzuzeigen). Er befürwortet und unterstützt eine linksradikale Gruppe, welche den Klimawandel durch Straßenblockaden aufhalten will. Er argumentiert damit, dass auch Jesus Christus so genannten ‚Zivilen Ungehorsam‘ geleistet hat. Ich finde es unredlich, wenn ein Priester so argumentiert und junge Menschen zu Straftaten ermutigt… Ich würde Sie bitten, gegen diesen Pater etwas zu unternehmen. Meines Erachtens nimmt die Kirche in Deutschland durch solche Aktionen Schaden, weil sie sich so von der Bevölkerung entfernt und nicht, wie einst der Heilige Oscar Romero, auf die Seite der Armen stellt.“

Jörg Alt. Foto: JesuitenweltweitSoweit die Anzeige gegen mich vor der römischen Kleruskongregation. Auch heute denken sicher sehr viele in der katholischen Kirche so wie der Herr, der diese Anzeige geschrieben hat.

Richtig ist: Ich unterstütze die Letzte Generation nach wie vor. Und dem mich anzeigenden Herrn antworte ich mit Petrus: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg. 5,29)

Falsch ist, dass ich die Aktivisten zu irgendetwas ermutige. Diese jungen Leute sind hochintelligent und kennen sich in den einschlägigen Wissenschaften deutlich besser aus als ich. Es war die Begegnung mit diesen Menschen, die MICH bekehrte. Natürlich wusste ich vorher auch schon, dass Klimawandel und Artensterben ein ernstes Problem ist. Ich habe seit Publikation des Buchs „Grenzen des Wachstums“ das Thema immer auf dem Schirm gehabt und Vorträge gehalten, Bücher geschrieben und Diskussionen, Petitionen, Demonstrationen usw. organisiert. Mit überschaubarem Erfolg.

Erst durch die Verzweiflung, den Idealismus und Mut der Aktivistinnen und Aktivisten habe ich VERSTANDEN, wie groß das Problem ist und wie dringend wir handeln müssen. Glaubt man der seriösen Wissenschaft, dass jetzt Weichen zu stellen sind, die über die Lebensqualität künftiger Generationen entscheiden, dann kann man nicht mit Mitteln weitermachen, die Jahrzehntelang zu wenig bewirkten. Es gilt, Gesellschaft und Politik unübersehbar und unignorierbar klarzumachen, auf welche Wand wir gerade zurasen. Und deshalb stehe ich gerne an der Seite dieser „Linksradikalen“ und bezahle gerne den (strafrechtlichen) Preis dafür.

Dabei habe ich lange mit der Methode der Straßenblockade gefremdelt, da auch ich mehr Schaden, Ärger und Polarisierung als Nutzen befürchtete. Aber es waren die Jesuiten des Globalen Südens, die bereits zur allerersten Straßenblockade der Letzten Generation eine Solidaritätsadresse verfassten, in der es heißt:

„Wir … begrüßen und unterstützen das mutige Engagement so vieler junger Menschen in ganz Deutschland für Klimagerechtigkeit. Durch ihre heutigen Aktivitäten wurden Autofahrer gestört. … Gleichzeitig verblassen die Störungen, die diese gerechtfertigten Akte des zivilen Ungehorsams verursachen, im Vergleich zu denen, die der Klimawandel verursacht. ... Die jungen Menschen, die heute deutsche Straßen blockieren, stehen an unserer Stelle.“

Inzwischen wissen wir, dass Straßenblockaden in der Tat zahlreiche Diskussionen provoziert hat, ebenso waren sie Auslöser und Anlass zahlreicher Solidarisierungen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Berufsverbänden… die es ohne die Blockaden nicht gegeben hätten. Ich behaupte: Nur diese nervigen Proteste haben es geschafft, dass das Klimathema neben Corona, Ukrainekrieg, Inflation und vielen anderen Themen immer noch Topthema in Deutschland ist.

Und was ist mit der Anschuldigung, dieses Engagement sei nicht biblisch-christlich-kirchlich… abgesichert?

Nun, die Propheten haben sich durch die Jahrtausende immer wieder mit den Mächtigen im Land angelegt, wenn es um die Rechte der Armen geht. Das tut die Letzte Generation, das tue ich, indem wir immer wieder unsere Stellvertretung für den Globalen Süden betonen, in dem unser Wirtschafts- und Konsummodell JETZT schon Menschenleben und Leid verursacht, ohne dass diese Menschen bei uns ein Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht hätten.

Jesus hat das Sabbathgebot gebrochen, um Kranke zu heilen. Dabei hatten die Pharisäer, Schriftgelehrten und Priester durchaus recht: „Kommt morgen wieder, wenn Werktag ist!“, aber Jesus hat durch seine Gesetzesübertretung deutlich gemacht: Wenn es in unserem Vermögen liegt, einem Menschen JETZT zu helfen, dann sollen wir es tun.

Dann gab es zu allen Zeiten immer wieder Gestalten, denen nicht nur Almosen wichtig waren, sondern die sich aus dem Geist der Propheten und Jesus Christus gegen gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen von Korruption, Machtmissbrauch und Unterdrückung gewandt haben. Für mich ist hier neben Oscar Romero oder den Jesuiten in El-Salvador, die für ihren Einsatz für Glaube und Gerechtigkeit ermordet wurden, Daniel Berrigan wichtig, der gegen den Vietnamkrieg protestierte, oder Stan Swamy, dem die Eingeborenen und Unberührbaren Indiens so wichtig waren, dass er sich für sie einsperren ließ und im Gefängnis starb.

Ich glaube also, mein Engagement steht in einer guten Tradition. Ob es letztlich angemessen und gerechtfertigt ist, wird die Zukunft zeigen und, angesichts der Dinge, um die es geht, würde ich liebend gerne feststellen, dass ich mich täusche und in meiner Angst und Sorge übertrieben habe. Aber leider ist die wissenschaftliche Evidenz angesichts der heraufziehenden Klimakatastrophe dermaßen solide, dass ich (leider) befürchte, Recht zu behalten.

Dann werden auch die „Linksradikalen“ Aktivist:innen der Letzten Generation gerechtfertigt dastehen, denn es war Barack Obama, der gesagt hat: „Wir sind die erste Generation, die die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommt und wir sind die Letzte Generation, die daran noch etwas ändern kann.“

Und wenn Sie Barack Obama nicht mögen, nehmen Sie Papst Franziskus, der vor Beginn der Letzten Klimakonferenz in Dubai in Laudate Deum schrieb:

„Auf Klimakonferenzen ziehen die Aktionen von sogenannten „radikalisierten“ Gruppen oft die Aufmerksamkeit auf sich. In Wirklichkeit füllen sie jedoch eine Lücke in der Gesellschaft als Ganzer, die einen gesunden „Druck“ ausüben müsste, denn es liegt an jeder Familie, zu bedenken, dass die Zukunft ihrer Kinder auf dem Spiel steht.“ (Nr. 58)

Deshalb mein Appell: Engagieren Sie sich. Egal wie. Und warten Sie damit nicht zu lange. Denn wenn viele Menschen unübersehbar und friedlich gegen das mörderische neoliberal-fossile System aufstehen, braucht es keinen nervigen Aktivismus mehr. (Jörg Alt SJ)

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