Michaela Quast-Neulinger vertritt seit September 2022 das Fach Fundamentaltheologie an unserer Fakultät (im Rahmen einer sog. Tenure-Track-Stelle). Sie ist damit auch für den Bereich der Religionswissenschaft und des interreligiösen Dialogs zuständig.
Liebe Michaela, Du berichtest an der Fakultät immer wieder von Deinen Aktivitäten im Netzwerk PLURIEL. Kaum jemand unter den Leser*innen dieses Newsletters wird mit diesem Begriff etwas anfangen können. Kannst Du uns kurz beschreiben, worum es sich bei PLURIEL handelt?
PLURIEL ist die Abkürzung für „Plateforme universitaire de recherche sur l’Islam en Europe et au Liban“ und wurde 2014 von der Vereinigung Katholischer Universitäten in Europa (FUCE) gegründet. Ziel ist es, Forscher*innen, die sich mit dem Islam und christlich-muslimischem Dialog in Europa und dem Mittelmeerraum befassen, miteinander zu vernetzen und Brücken zu schaffen zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Mittlerweile gehören dazu über 180 Wissenschaftler*innen in 27 Ländern. Seit 2019 bin ich im Scientific Committee und plane darin unsere Tagungen und Aktivitäten mit.
Warum ist es so bedeutsam, dass sich Katholische Theologie mit dem Islam beschäftigt?
Auf theologischer Ebene hat das Zweite Vatikanische Konzil die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen auf eine völlig neue Basis gestellt. Nostra Aetate spricht „mit Hochachtung“ vom muslimischen Glauben. Was bedeutet das nun aber für unsere Theologie, unser Zusammenleben? Da sind wir erst langsam dabei, dies aufzuarbeiten. Die Geschichte und Theologie von Judentum, Christentum und Islam ist auf vielfältige, auch konfliktive Weise miteinander verschränkt. Wenn wir dies ernst nehmen, dann bedeutet das: Wir können nicht ohne „den Anderen“ – und es darf keinen Dialog gegen den Dritten geben.
In der Theologie der Religionen prallen theologische, gesellschaftliche und politische Themen und vor allem auch Interessen aufeinander. Das macht sie spannend, aber auch unglaublich schwierig und notwendig für ein friedvolles Zusammenleben.
Welche konkreten Initiativen setzt PLURIEL?
Alle zwei Jahre gibt es eine große internationale Tagung. Nach Lyon, Rom und Beirut geht es 2024 nach Abu Dhabi, wo fünf Jahre nach der Unterzeichnung des „Document on Human Fraternity“ durch Papst Franziskus und Großimam al-Tayyib gemeinsam die Rezeption dieses Dokuments reflektiert wird.
Unsere Website „pluriel.fuce.eu“ bietet ein interaktives Netzwerk unserer Forschungsgruppen, eine wachsende digitale Bibliothek mit Artikeln und Videos sowie einen Newsroom zu aktuellen Entwicklungen. Alle unsere Aktivitäten sind auf Englisch, Französisch und Arabisch dokumentiert. Dies ist essenziell, um den Austausch zwischen den Kultur- und Religionsräumen zu fördern. Unser Ziel ist es, einen aufrichtigen Dialog ohne Arroganz, aber auch ohne Naivität zu etablieren und Brücken zu stiften zwischen Forschung und gesellschaftlichem Engagement.
Die Religiosität der Menschen in unserer Gesellschaft scheint einerseits immer weiter zu schwinden, andererseits steht gerade der Islam in der öffentlichen Wahrnehmung immer wieder für Fundamentalismus und Radikalität bis hin zum Terror. Wie könnte deiner Meinung nach eine Beziehung der monotheistischen Religionen in Europa in Zukunft sinnvoll gestaltet werden?
Ich beobachte auf vielen Seiten eine Reduktion von Komplexität, wachsende Empathielosigkeit und einen fehlenden Sinn für die Ambiguität der Welt. Diese Kombination mündet in totalitärem Denken und Handeln, sowohl im religiösen wie im politischen Bereich. Extremismus ist kein islamisches Phänomen, sondern ein massives Problem unserer Zeit, das sich in jeder Religion und Weltanschauung einnisten kann. Als Theolog*innen ist es unsere Aufgabe genau hinzublicken, wo Mächte beschworen werden, die Leben vernichten sollen, wo Gruppen auftreten, die exklusiv für sich die absolute Wahrheit beanspruchen und jeden Widerspruch ausmerzen wollen. Theolog*innen müssen ideologiekritisch nach innen und außen sein. Nur einer ist Gott, niemand besitzt Gott – wir alle sind auf Pilgerschaft. Eine gemeinsame Zukunft zu gestalten, erfordert in einem ersten Schritt überhaupt „WIR“ zu denken. Nicht mehr länger „wir machen das so“ und „ihr so“, sondern: Was können wir tun, damit ein Leben in Würde für alle möglich ist – heute und morgen? Wie können wir tiefe Solidarität leben, die die Grundlage wahrer Freiheit in Beziehung ist?
Als Theolog*innen müssen wir hier auch mutiger sein, öffentliche Theologie wagen und in aller Bescheidenheit resolut auftreten, wo grundlegende Rechte und die Würde des Menschen mit Füßen getreten werden. Dazu gehört wesentlich, unsere Studierenden zum Reden und Handeln aus christlicher Verantwortung zu befähigen.
Das Interview mit Michaela Quast-Neulinger führte Dekan Wilhelm Guggenberger.
4. Internationaler Kongress von PLURIEL „Islam et Fraternité“ vom 4. bis 7. Februar 2024 in Abu Dhabi
Im Fokus des Kongresses steht die Rezeption des „Dokuments über die menschliche Brüderlichkeit“, das vor fünf Jahren von Papst Franziskus und dem Großimam Ahmad al-Tayyib unterzeichnet wurde, dessen Auswirkungen auf das Zusammenleben von Christen und Muslimen in der Welt und mögliche Zukunftsperspektiven.
Zur Vorbereitung auf den Kongress findet am 27. Oktober 2023, 15.00 Uhr, ein Webinar mit Laurent Basanese SJ (Gregoriana), Wael Saleh Seleh (Trends / University of Quebec Montreal) und Franziska Honsowitz-Friessnigg (österr. Außenministerium, Leiterin der Abt. Wissenschaftliche Zusammenarbeit und Dialog der Kulturen und Religionen) statt.
Unter diesem Zoom-Link können Sie am Webinar teilnehmen.