Mit Beginn des Sommersemesters 2021 treten Wilhelm Guggenberger und Liborius Lumma die Ämter des Dekans und des Studiendekans an. Zu diesem Anlass führte Claudia Paganini mit ihnen für den Newsletter ein Interview.
Zunächst einmal darf ich euch natürlich zu eurer Wahl gratulieren und möchte euch auch gleich bitten, ein paar Worte zu euch selbst zu sagen.
Wilhelm Guggenberger: Vielleicht bin ich ja schon so etwas wie Inventar an dieser Fakultät. Ich habe hier Philosophie und Fachtheologie studiert; die Philosophie allerdings nicht abgeschlossen. Seit 1991 arbeite ich mit einer kurzen Unterbrechung in verschiedenen Funktionen an unserer Fakultät. Dass ich hier einmal Dekan sein sollte, war bis vor Kurzem keineswegs Teil meiner Pläne. Während meiner Schulzeit hatte ich lange Biologie als Studienziel im Auge. Aber dann begann ich mich einerseits immer mehr für gesellschaftspolitische Fragen zu interessieren, und andererseits bin ich in eine Jugendgruppe geraten, die Herr Norbert Gapp vom Stift Wilten ins Leben gerufen hat. Dort haben wir ausgehend von der Bibel herausfordernde Fragen diskutiert, die intensiv mit meinem Leben zu tun hatten, und wir haben auch intensiv miteinander gelebt. Da schien mir dann die Theologie noch spannender als die Biologie. Die christliche Gesellschaftslehre hat sich schließlich als das Fach erwiesen, in dem zur Sprache kommt, was mich interessiert. Im Rahmen der ethischen Fragen um Nachhaltigkeit kommt heute sogar wieder ein wenig die Biologie ins Spiel. Auch meine Frau habe ich an dieser Fakultät kennengelernt. Wenn ich das so sagen darf, war sie doch mein größter Gewinn aus dem Studium. Unsere beiden Buben sind heute schon wieder aus dem Haus und finden wohl ganz gut ihre eigenen Wege.
Liborius Lumma: Ich habe in Münster Katholische Theologie und Philosophie studiert und zwischendrin ein Intermezzo in München eingelegt, wo ich an der Hochschule für Philosophie zum ersten Mal näheren Kontakt zu Jesuiten hatte – nicht ahnend, dass ich später wieder an einer jesuitisch geprägten Einrichtung landen würde. Meine Diplomarbeit war im Bereich der philosophischen Ethik angesiedelt, danach wollte ich eine Doktorarbeit über Gregorianischen Choral schreiben und bin dadurch 2003 nach Innsbruck und in die Liturgiewissenschaft geraten. Ich hielt das damals nur für eine biographische Zwischenstation, wurde dann aber 2005 zuerst Projektmitarbeiter, dann Universitätsassistent an unserer Fakultät. Nach verschiedenen Aufgaben am Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie, im Forschungszentrum „Synagoge und Kirchen“ und als Fakultätsbeauftragter für Digitale Medien in der Lehre wird mein Schwerpunkt nun das Studiendekanat sein. Über das Interesse an Liturgiegeschichte habe ich auch ins Themenfeld Ökumene gefunden und bin unter anderem Ökumene-Beauftragter der Diözese Innsbruck. Außerhalb der akademischen Tätigkeit habe ich in den letzten Jahren mein altes Hobby Schach wiederbelebt, auch wenn Begeisterung und Begabung sich leider zueinander umgekehrt proportional verhalten.
Ihr beide seid nun seit 1. März das Leitungsteam der Katholisch-Theologischen Fakultät. Wo siehst du, Willy, die Theologie heute?
WG: Dort, wo sie schon immer war oder zumindest hätte sein sollen; im Herzen der Gesellschaft. Wenn Theologie nicht an das rührt, was uns als Einzelne und als Gemeinschaft im Innersten berührt und betrifft, dann ist sie vielleicht ein nettes Spiel, aber doch verzichtbar. Freilich müssen wir ehrlich sein und zugeben, dass sie für viele Menschen – auch an der Universität – längst überflüssig geworden ist. Die Welt lässt sich ohne Gott erklären, für die Lebensorientierung haben wir z.B. die Menschenrechte und für die Seelsorge Therapeuten und Therapeutinnen. Dennoch gibt es nach wie vor zahlreiche Menschen, die zutiefst davon überzeugt sind, dass unsere Welt der Intention eines personalen Du entspringt, das das Wohlergehen dieser Welt und das Heil aller Menschen will. Solange das so ist, lohnt es sich auch rational darüber nachzudenken, was das bedeutet und was daraus folgt.
Und wo siehst du die Theologie in zehn Jahren?
WG: Ich rechne mich nicht zu den Propheten. Allerdings hoffe ich, dass unsere Universität und die Gesellschaft Theologie auch weiterhin als wichtig wahrnehmen und daher bereit sind, sich eine Wissenschaft zu leisten, die keinen Beitrag zum technischen Fortschritt und zum wirtschaftlichen Wachstum leistet. Ich denke aber ohnedies, dass in den kommenden Jahrzehnten Fragen des Lebensstils und damit im weitesten Sinn des Wortes auch der Spiritualität bedeutsamer werden. Zumindest sollte das wohl so sein, wollen wir als Menschheit eine Zukunft auf diesem Planeten haben. Ich hoffe freilich auch, dass die gläubigen Menschen, dass die Kirche nicht ihr Interesse am Nachdenken über den Glauben verlieren. Theologie braucht beides: ein leidenschaftliches Herz und einen kühlen Kopf. Sind beide Bedingungen gegeben, dann wird die Theologie auch in zehn Jahren eine Stimme im polyphonen Chor der Wissenschaften sein.
Du hast von deinem Interesse für Gesellschaftspolitik gesprochen. Was sind für dich die wichtigsten ekklesialen und sozialen Herausforderungen der Gegenwart?
WG: Im Zentrum der christlichen Theologie steht das Bekenntnis zur Inkarnation Gottes in Jesus Christus. Wir haben im Laufe der Tradition eine Terminologie dafür entwickelt und theologische Konzepte, um darüber reden und damit arbeiten zu können. Faktisch ist es für mich aber nach wie vor die größte Herausforderung, im Denken und Handeln das zusammen zu bringen, was eben himmelweit voneinander entfernt scheint: Gott und Welt. Kirchlich kann es nicht darum gehen, bestimmte Strukturen oder liturgische Formen um ihrer selbst willen in die Zukunft zu retten, ebenso wenig geht es um Theologie und Philosophie als solche. Die Frage ist doch immer, ob all das der Welt und den Menschen in ihr dient. Da müssen wir uns in die großen Herausforderungen der Zeit einbringen. Zu diesen Fragen zählt zweifellos die Klimaproblematik und damit verbunden die Frage, wie wir global friedlich und konstruktiv zusammenarbeiten, wie wir unsere Ressourcen gerecht verteilen und gebrauchen können. Das wird massive Veränderungen in Lebens- und Wirtschaftsweise erfordern; auch hier in Tirol. Bedeutet ein solcher Fokus eine Verweltlichung von Theologie? Wenn wir inkarnatorisch denken, eben nicht. Als Sozialethiker würde ich sagen: Es geht darum, sich mit aller Kraft für diese Welt einzusetzen im Bewusstsein, dass diese Welt nicht das Letzte ist. Im Versuch, dazu einen Beitrag zu leisten, besteht für mich konkret die Aufgabe, der Einheit von Gott und Welt gerecht zu werden. Damit wir das tun können, müssen wir im interdisziplinären Gespräch präsent sein, in kritischer Solidarität, zugleich selbstbewusst und bescheiden, mit einer festen Überzeugung, die wir anderen aber nur als Möglichkeit, als Hypothese anbieten können. Das ist nicht leicht. Die Kirche muss diese selbstbewusste und bescheidene Rolle in der Gesellschaft und die dazugehörigen Ausdrucksformen auch erst finden, wie mir scheint.
Liborius, was sagst du jungen Menschen, die gerade vor der Entscheidung stehen, was sie studieren sollen? Theologische Studien scheinen ja derzeit nicht gerade großen Zulauf zu haben.
LL: Die Stärke einer Universität liegt darin, zentralen Fragen des Menschseins Raum zu bieten: Was ist Wahrheit und wie können wir sie erkennen? Wie soll ich persönlich leben, und wie kann das Zusammenleben der Menschen gestaltet werden? Was wissen wir über die Natur und den Kosmos? Was haben Menschen an Kultur und Technik hervorgebracht, und was können sie in Zukunft hervorbringen? Hat unsere Existenz einen Sinn? – Einen Menschen, der studieren möchte, würde ich fragen: Welche Fragestellungen faszinieren dich so sehr, dass du dich sogar manche durchwachte Nacht damit beschäftigen kannst, ohne dass sie dich loslassen? Ob das dann Geschichte, Physik, Musikwissenschaft, Informatik oder Theologie ist, halte ich für zweitrangig. Wer sich jedenfalls menschlicher Existenz und Erkenntnis, dem Phänomen der Religion oder konkret dem Christentum widmen möchte, wird an unserer Fakultät gewiss fündig. Mit Philosophie, Fachtheologie, Religionspädagogik und dem Lehramtsstudium eröffnen wir eine Vielfalt inhaltlicher und methodischer Zugänge und damit auch potenzieller Berufsfelder.
Es gibt also eine ganze Reihe von Aspekten, die die Studien an der Katholisch-Theologischen Fakultät attraktiv machen. Wo möchtest du in den nächsten Jahren Akzente setzen, um diese Attraktivität vielleicht sogar noch zu erhöhen?
LL: Wir sind fast am Ziel unserer Curriculumsreform angekommen und zuversichtlich, dass die neuen Studienpläne schon im Wintersemester 2021/22 starten können. Es wird für die Studentinnen und Studenten weniger Präsenzpflicht und mehr Wahlmöglichkeiten geben. Die Themenfestlegung für Seminare wird flexibler und aktueller sein als bisher. Die neuen Curricula ermöglichen mehr individuelle Schwerpunktsetzung und sie werden sich auch besser als bisher berufsbegleitend oder als Zweitstudium betreiben lassen. Wir sind auch dabei, Programme auszuarbeiten, die gezielt als Ergänzung zu anderen Studienrichtungen gewählt werden können.
Stichwort Neue Medien: Im letzten Jahr musste das gesamte Lehrangebot sehr kurzfristig auf Online-Unterricht umgestellt werden. Welches Resümee ziehst du aus der Krise? Was hat sich bewährt, welche Ansätze in der digitalen Lehre willst du in Zukunft weiterverfolgen?
LL: Wir haben eine erstaunliche Flexibilisierung der Lehr- und Lernmethoden und der Prüfungsorganisation erlebt. Im Zentrum stand die Frage: Was ist gerade jetzt für die Studierenden zum Erreichen der Lernziele am sinnvollsten, und welche didaktischen und technischen Kompetenzen habe ich, die ich in diesen Prozess einbringen kann? Auch wenn die kurzfristige Umstellung viel Kraft gekostet hat, halte ich diese Erfahrung für einen großen Gewinn. Soweit es in meine Zuständigkeit als Studiendekan fällt, werde ich die Flexibilisierung der Lehre auch nach dem Ende der Pandemie gezielt fördern.
Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch und wünsche euch beiden viel Erfolg für die neuen Herausforderungen.